iv. nur eine kleine überraschung

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Juliet

›Ich kann das nicht.‹

Ich kann das nicht. Ich. Kann. Das. Nicht.

Vier Wörter, die mich mehr verletzt haben, als ich zunächst gedacht habe.

Aber ist es nicht das, was ich erwartet habe?

Vielleicht habe ich es mir aber auch anders vorgestellt – nicht nur vielleicht... Ich habe es mir anders vorgestellt.

Dass er es erst leugnen wird. Dass er mir nicht glaubt, weil ich ihm das vielleicht unterschieben will. Warum auch immer. Nein. Damit habe ich gerechnet. Nicht, dass er sagt ›ich kann das nicht‹ und mich einfach stehen lässt. Allein in der dunklen Nacht, die nur vom hellen Mond erstrahlt wird. Allein mit unserem ungeborenen Kind.

»Juliet? Hey Juliet?«

Henry fuchtelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht und reißt mich somit aus meinen Gedanken, die sich seit einigen Wochen unaufhörlich nur um eines drehen: Die Nacht, in der ich Chris eröffnet habe, dass er Vater wird. Dass unsere gemeinsame Nacht Früchtchen getragen hat. Fassungslos konnte ich ihm nur hinterherstarren. Ich habe überlegt, ob ich ihm hinterher renne, doch dann war es zu spät. Er war weg. Selbst als ich mich nach einiger Zeit überwinden konnte reinzugehen, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich war kurz davor meinen Bruder zu fragen, doch dann hat die Angst gesiegt.

Er kann das nicht. Er hat seinen Weg gewählt, so wie ich meinen gewählt habe – sehr zum Missfallen meines Bruders, der sich zur Aufgabe gemacht hat, mich aus dem Loch zu holen, in dem ich gelandet bin.

Mein Bauch wächst und wächst. Immer mehr kann man mir ansehen, dass ich nicht nur einfach zugenommen habe, sondern schwanger bin. Noch nie in meinem Leben war ich so im Unreinen mit mir – glücklich, dass ich ein Kind kriege. Denn auch, wenn die Bohne nicht mehr so klein wie eine Bohne ist und immer mehr wächst, hat mein Baby meine Liebe in der Sekunde gewonnen, in der ich es das erste Mal auf dem Bildschirm gesehen habe.

Doch ich schätze, so ist es mit der Verbindung zwischen Mutter und Kind. Sie ist so rein, so tiefgehend, wie keine andere Beziehung. Auf der anderen Seite lässt mich die Reaktion von Chris traurig werden. Traurig und frustriert.

Ich weiß nicht, wie es ist, ohne einen anderen Elternteil aufzuwachsen. Meine Familie hatte sicher nicht nur goldene Tage, aber stets waren meine Mum oder mein Dad an meiner Seite.

Was nicht selbstverständlich ist. Das weiß ich. Viel zu viele Kinder wachsen in einer zerrütteten Familie auf, wo ihnen keine Liebe widerfährt, und das will ich nicht.

Vielleicht denke ich zu romantisch, aber ich will eine kleine Familie gründen. Mit einem Ehemann an meiner Seite, der mich liebt, genauso wie unsere gemeinsamen Kinder.

Dafür ist es jetzt zu spät.

»Ich bin gleich fertig.«

Mein Bruder hat sich weitere drei Wochen angesehen, in denen ich zuhause gehockt habe. Es ist nicht, dass ich nichts gemacht habe, denn zwischendurch habe ich mich in den sonnendurchfluteten Garten gesetzt und einige neue Aufträge lektoriert, aber ein eigenes Privatleben besitze ich nicht.

Das will er ändern. Oder er will zumindest mit mir hoch in die Berge fahren, in der ›kleinen‹ Hütte, die wir besitzen.

Früher, als wir alle noch etwas jünger waren, sind wir jeden Sommer hochgefahren und noch heute denke ich an die schönste Zeit im Jahr zurück. Vielleicht schaffe ich es mit ein bisschen Abstand, eine schöne Lektüre endlich zu akzeptieren, dass ich es nicht ändern kann und einfach das Beste daraus machen muss.

life of tears - chris evansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt