xii. wir sind hier in keinem buch

117 16 5
                                    

Juliet

ein paar Stunden zuvor

Die Sonnenstrahlen kämpfen sich ihren Weg durch die dichten Bäume und vereinzelt wärmen sie mein Gesicht.

»Du bist so still.«

Ally ist schon seit einigen Minuten da. Schnell haben wir uns gemeinsam ein kühles Getränk gemacht, bevor wir uns hinter dem Haus zurückgezogen haben.

Die Schaukel quietscht leicht, während sie langsam schaukelt.

Ich verziehe meine Lippen. Ich habe mir das alles viel leichter vorgestellt, aber Reden war noch nie meine Stärke. Ich finde nie die richtigen Worte. Nicht, wenn mir direkt jemand gegenüber steht. Deswegen liebe ich auch das Lesen so – man kann besser mit Worten umgehen. Es mag sein, dass es nur mir so geht, aber mir hilft es enorm.

Meine Gedanken sind voll. Voller als in der letzten Zeit. Was einerseits normal ist, auf der anderen Seite ist es anstrengend.

Tief atme ich aus, bevor ich einen Schluck von meinem kühlen Eistee nehme.

Es gibt nichts erfrischenderes als einen eisgekühlten Eistee Pfirsich an einem warmen Tag, oder?

Es könnte so einfach sein. Es einfach geradeaus sagen. Wenn mich nicht etwas hemmen würde.

»Erde an Juliet.«

Ally wedelt mit ihrer freien Hand vor meinem Gesicht umher und holt mich damit aus meinen Gedanken.

»Sorry«, nuschle ich leise, straffe meine Schultern, bevor ich Ally direkt ansehe.

»Wir haben miteinander geschlafen.«

Stille.

Ich bin stolz auf mich, dass mir diese einfachen Worte über den Mund gekommen sind. Die Stille verunsichert mich.

»Ja, vor ein paar Monaten?«, hakt Ally nochmal nach, doch ich schüttle mit meinen Kopf.

»Vor ein paar Stunden«, verbessere ich sie.

Mit großen Augen, als könnte sie es nicht fassen, sieht sie mich an. Ein paar Sekunden vergehen, dann breitet sich langsam ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, das schnell immer breiter wird.

»Was?«, frage ich, weil ich mit allem gerechnet habe, aber nicht damit, dass Ally mich ansieht, als hätte ich ihr verkündet, dass wir den leckersten Schokokuchen hier haben.

»Wow...«, entkommt es ihr, »Wooow, ich wusste es!«

Verwirrt sehe ich sie an: »du wusstest es?«

Sie nimmt einen Schluck von ihrem Wildberry Lillet, bevor sie fortfährt.

»Es war nur eine Frage der Zeit«, meint sie.

Meine Augenbraue hebt sich leicht nach oben. Wie kommt sie darauf? Bisher habe ich ihr nur erzählt, wie wir uns gefetzt haben, wie will sie also darauf schließen...?

»Schau mich nicht so an, Juliet«, lacht sie leise und lehnt sich zurück.

»Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt, aber im Grunde habe ich es mir schon gedacht«, erklärt sie sich, während ich ihr stumm zuhöre. Ich verstehe sie, aber irgendwie auch nicht.

»Aber wie?«, immer noch versuche ich, die fehlenden Puzzleteile zusammenzufügen.

»Mein romantisches Herz – ich weiß, wir sind hier in keinem Buch, aber läuft es nicht so in diversen Romanen?«

Automatisch nicke ich. Natürlich läuft es in den meisten Büchern so – es sind gerade die Art Bücher, die ich kontrolliere, ehe sie online kommen und die Leser in eine andere Welt verführen.

Aber das hier ist kein Buch.

Weder Romeo und Juliet, noch eine der tausenden Liebesgeschichten, in denen es am Ende doch noch ein Happy End gibt. Das hier ist die pure Realität.

»Wie hat es sich angefühlt?«

Ich schaue in mein Glas. Kippe es leicht und beobachte die bräunliche Flüssigkeit.

»Als hätten wir alles geklärt – immer wenn wir versuchen, miteinander zu reden, dann eskaliert es. Es ist, als würde uns beiden etwas im Weg stehen und-«

»Weißt du was?«

Ally fällt mir einfach ins Wort. Normalerweise hasse ich es, doch Ally gibt mir jedes Mal den richtigen Denkanstoß, als wüsste sie alles.

Sie ist wie die gute Fee.

»Ich kann nur sagen, was mich stört, wenn wir jedesmal versuchen, darüber zu reden«, murmle ich leise.

»Und was?«

Perfekte Familien – gibt es perfekte Familien?

»Chris spricht immer wieder davon, dass er eine perfekte Familie will, aber...«, ich zögere einen Moment, bis Ally und ich das gleiche sagen: »es gibt keine perfekte Familie.«

Ich nicke, während ich starr nach vorne blicke. Die bunten Farben der Blumen vermischen sich vor meinen Augen.

»Sag das mal Chris.«

Meine Mundwinkel zucken. Es ist niemals gut ausgegangen, wenn ich etwas in der Art zu Chris gesagt habe.

»Er denkt, er kann jetzt keine perfekte Familie mehr haben, weil er eine fremde – die zudem die kleine Schwester seines besten Freundes ist – geschwängert hat?«

Ally trifft damit ins Schwarze. Darüber habe ich noch nie nachgedacht, dass das sein Problem mit mir ist.

»Also meinst du, dass er jetzt denkt, weil er ein uneheliches Kind hat, dass er keine perfekte Familie mehr bekommt?«

»Ich kenne ihn nicht, aber vielleicht ist seine Sicht der Dinge derart beschränkt, dass er nicht weiterdenken kann. Juliet, stell dir doch einfach mal vor, du bist ein kleines Mädchen, willst von klein auf Chirurgin werden, opferst dein ganzes Leben dafür auf, nur um zu merken, dass du kein Blut sehen kannst – wenn sich wirklich alles darum dreht und es dann nicht klappt...«

»Dann... Dann könnte ich es vielleicht ansatzweise verstehen, aber warum ist er dann so, wie er ist?«

Ich lasse alles Revue passieren. Doch Chris ist so widersprüchlich, dass ich kein Muster daraus erkennen kann.

»Weißt du, wer dir diese Frage beantworten kann?«, fragt Ally mich.

Sie hat recht. Zum ersten Mal fühle ich mich wirklich bereit, weil ich denke, wie Chris die Dinge sieht.

»Okay«, voller Tatendrang stehe ich auf. Der Eistee schwappt etwas über, doch das stört mich nicht.

»Dann bin ich jetzt bereit!«


Vergesst nicht zu voten, wenn es euch gefallen hat.
danke (:

life of tears - chris evansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt