Kapitel 8

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Auch in den darauf folgenden Tagen blieb es im Spiegel still. Einerseits war es gut, da ich mich so vollkommen auf meine Arbeit konzentrieren konnte, andererseits fühlte ich mich immer ein bisschen einsam, wenn ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss und mich alleine an den Tisch setzte um alleine essen zu können. Ich hatte mir früher keine wirklichen Gedanken darum gemacht, ob ich jetzt einsam war oder nicht, dazu fehlte mir  immer die Zeit ; vielleicht wollte ich es mir auch nie wirklich eingestehen, da es bis vor kurzem nie eine Person gegeben hatte die diese Einsamkeit füllen könnte.

Wie immer stand ich morgens um 5 Uhr auf, machte mir ein Brot, packte meine Tasche und fuhr zur Arbeit.
Den Spiegel ließ ich extra zu Hause, denn Ablenkung war das letzte  was ich gebrauchen könnte.
Als ich ankam begrüßte mich die Empfangsdame und lobte mein neues, frisches Äußeres. Es schien sich wirklich in den letzten Tagen so viel verändert zu haben, dass ich es selbst noch nicht so schnell realisieren konnte, wie die anderen Menschen in meiner Umgebung.

Ich lief vermutlich rot an. Einfach, weil ich immer rot wurde. Manchmal könnte ich diese Gene, die dafür verantwortlich sind, dass meine Durchblutung am Kopf stärker ist, als die manch anderer, verfluchen. Ich schenkte ihr nur ein kuzes lächeln und hoffte schon weiter gehen zu können, doch sie ließ nicht locker und fragte, ob ich etwa eine neue Freundin haben würde. Sie war immer so direkt und fragte, wenn sie etwas interessierte.
"Ne, ich war die Tage nur bei meinen Eltern in der alten Heimat", lachte ich und versuchte die peinliche Situation zu retten. Sie zwinkerte mir nur zu, dann ging ich.

Um 7 Uhr musste ich im Op-Bereich anwesend sein. Bis dahin musste ich noch ein paar Kleinigkeiten erledigen. Wofür mir nicht viel Zeit blieb.
Meine Zeit war immer begrenzt. Ich hatte genug Geld zum leben, eine tolle Wohnung, viel Energie und Ausdauer, spaß am Leben, einen super Job und tolle Eltern, alles fast schon im Überfluss. Doch eine Sache hatte ich nicht im Überfluss. Diese Sache hatte ich nichtmal annähernd genug: Zeit.

Abends fuhr ich erschöpft nach Hause, wie fast jeden Tag. Auf dem Weg hielt ich noch an einer Pizzeria an; auf Kochen hatte ich heute keine Lust mehr. In meiner Wohnung angekommen erwartete Lin mich schon.
"Ach lässt du dich auch nochmal blicken?", murrte ich leicht säuerlich. Vermutlich konnte man als Außenstehender genau hören, dass es sich bei diesem Tonfall kaum um Zorn, sondern eher um Verzweiflung und Enttäuschung handelte.

"Hab mich bloß schlau gemacht", nuschelte sie entschuldigend. Meine Miene hellte sich auf.
"Schieß los", forderte ich sie auf.
"Also, es gab tatsächlich Leute, die lebendig geworden sind und den Spiegel verlassen haben. Sie leben nun unter den Menschen, wie sie es vor ihrem Tod auch taten. Der einzige Haken an der Sache ist, dass sie dann unsterblich sind und nur der komplette Weltuntergang sie wieder zurück in den Spiegel holen könnte. Dennoch weiß keiner wirklich, wie sie das geschafft haben. Ich weiß allerdings wie ich hier so halbwegs rauskommen kann", sie strahlte bei dem Gedanken den Spiegel verlassen zu können bis über beide Ohren.

Ihr lächeln war ansteckend und unbewusst lächelte ich mit. "Und wie meinst du das mit dem halbwegs?", holte ich uns wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. "Nunja. Ich bin dann nicht ganz aus Fleisch und Blut. Ich bin dann durchsichtig und weiterhin für die anderen unsichtbar, aber immerhin kann ich mich dann frei bewegen. Es ist nicht toll im Vergleich dazu wieder zu leben, aber es ist besser als nichts. Es ist ein Anfang.", erklärte sie mir. "Außerdem bin ich mega gespannt darauf wie Ärzte ihren Tag so verbringen", grinste sie schälmisch.

Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer bei dem Gedanken, dass sie den ganzen Tag bei mir wäre. Vielleicht sollte ich die Finger von den Energydrinks, die ich in Massen  gegen diese ansonsten unerträgliche Müdigkeit trinke, lassen. Ich scheine sie wohl nicht so gut zu vertragen, wie ich es immer geglaubt hatte.
"Und wie genau soll das gehen?", informierte ich mich.
" Stell dir die Welt hinter dem Spiegel so vor wie die normale Welt. Es gibt Gesetze und es gibt gewisse Rechte. Es gibt ein paar Leute die sich um die Politik kümmern und auch sonst gibt es viele Sachen die gleich sind.Ich habe eine Art 'Ausreiseantrag' gestellt, im Laufe der nächsten 2 Tage werd ich also 'ausreisen' können, wenn alles klappt", sie war sich ziemlich sicher, dass alles gut gehen wird.

Ich sah auf die Uhr und gähnte." Es ist spät, ich sollte jetzt schlafen gehen. Nacht", lächelnd verabschiedete ich mich von ihr und machte mich Bettfertig. Ich schlief schnell ein und ohne viele Unterbrechungen. Meine Schlafstörungen haben sich also auch wieder gebessert. Was ein Wochenende bei meinen Eltern so alles ausmachen konnte oder gab es dazu vielleicht noch andere Gründe?

Durch den SpiegelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt