Kapitel 13

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"Was genau war das gerade?", fragte ich Lin, als wir wieder im Auto auf dem Weg nach Hause waren. "Ich habe keine Ahnung", sagte sie und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Hast du denn eine Vermutung?", hakte ich, neugierig wie ich war, nach. "Wenn ich eine Vermutung hätte wäre alles leichter. Es gibt so viele Sachen, die man sich als Außenstehender weder vorstellen als auch verstehen könnte-"
"Das weiß ich doch. Erzähl mir mehr, ich will es verstehen!", unterbrach ich sie.
"Ich war noch nicht fertig", sagte sie und räusperte sich.
"Es gibt ungefähr genauso viel, dass ich, als Spiegelbild, als Person die dort lebt, als Teilnehmer an dieser Welt, nicht verstehe", fügte sie hinzu.
"Dann sag mir was du weißt. Ich fühle mich so unwissend und überflüssig, dabei möchte ich dir gerne aktiver helfen."
"Also gut", begann sie und warf einen kurzen blick auf die Radiouhr, dann atmete sie tief ein.
"Ich habe schonmal erwähnt, dass diese Welt im Spiegel so ähnlich wie diese Welt hier draußen ist. Dennoch gibt es Unterschiede. Diese Welt hinter dem Spiegel spiegelt eine perfekte Welt wieder. Es gibt genug Häuser und Platz für jeden und niemand altert mehr. Keiner Hungert, mal abgesehen davon, dass wir nichtmal etwas essen müssen, da wir nicht nochmal sterben können. Es gibt gewisse Herrscher, die alles unter Kontrolle haben. Niemand muss arbeiten und niemand leiden"
Stirnrunzelnd sah ich sie an. "Und warum genau willst du wieder aus dieser perfekten Welt abhauen?", fragte ich unsicher. "Ganz einfach. Wenn du tot bist nützt dir all das nichts. Du kannst das größte Anwesen haben und fühlst dich trotzdem alleine. In manchen Häusern gibt es ein Portal mit denen man in einen zufälligen Spiegel gelangen kann. Eigentlich ist es verboten mit Leuten aus der echten Welt kommumizieren zu dürfen, da es selbst in dieser perfekten Welt böse Menschen gibt. Wenn diese bösen Menschen den Kontakt zu einer Person aus der echten Welt aufnehmen und sich deren Vertrauen erschleichen, könnten sie diesen Menschen von der perfekten Welt im Spiegel erzählen und sie sogar zum Freitod überreden. Außerdem gilt die Welt hinter dem Spiegel als geheim und eigentlich sollte niemand davon erfahren bevor er nicht endgültig Tod ist. Ich breche gerade sämtliche Regeln, um dir das erzählen zu können. Der Punkt ist, dass nicht jeder den Drang verspürt aus dem Spiegel ausbrechen zu wollen und auch nicht jeder will wieder menschlich sein. Ich bin eine Ausnahme", erklärte sie mir.
"Aber warum gibt es die Erlaubnis als Geist den Spiegel verlassen zu können?", fragte ich nach einer kurzen Pause.
" Um den Druck zu entspannen. Es sind tatsächlich nur sehr wenige die diese perfekte Welt nicht wollen. Der 2. Grund ist, dass man ein Geist ist. Man hat keinen Einfluss auf die Ereignisse die passieren, da jeder Geist nur von einer Person gesehen werden kann. Und diese zu finden kann Jahre dauern, falls man sie überhaupt findet. Es gibt also keine Chance mit jemandem reden zu können", beendete sie ihre Erklärung.
Ich war erstaunt. "Wie lange hast du nach mir gesucht?", fragte ich.
"Ziemlich lange", seufzte sie. "Ich habe jetzt schon viel zu viel erzählt", sagte sie und drehte ihren Blick zum Fenster.
Den Rest der Fahrt schwiegen wir, weil keiner genau wusste wie man die Stille durchbrechen könnte, die sich über uns ausgebreitet hatte und, weil Lin mir schon viel zu viel verraten hatte.

Als wir zu Hause ankamen, musste Lin zurück in den Spiegel. Ihre Zeit für Heute war abgelaufen. Ich hingegen machte mir etwas zu essen.
Den ganzen Abend über ließ mich der Gedanke an den Nachmittag nicht los. Selbst Lin hatte keine Ahnung was da passiert war und obwohl sie mir vieles erzählt hatte, breitete sich in mir ein Gefühl von Unwissenheit aus. Sie hatte mir noch längst nicht alles erzählt was sie wusste und ich hatte vergessen nachzufragen. Zum Nachfragen blieb mir keine Möglichkeit mehr, denn Lin ließ sich den ganzen Abend nicht blicken.

Durch den SpiegelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt