Kapitel 1 - Jagd

17 4 1
                                    

Evin Archer

Regentropfen sickerten in den weichen Erdboden des Waldes. Über dem grünen Blätterdach konnte ich die dunklen Sturmwolken erkennen. Es roch nach Moos und feuchter Erde.

Das Gewehr lag schwer in meinen Händen.
Ein lauter Schuss durchschnitt die Stille. Erde spritze auf und Rinde splitterte, als die Kugel einschlug. Der kleine Körper sackte leblos zusammen. In dem braun-grauen Fell des Hasen hatten sich kleine Wassertropfen verfangen.

Vorsichtig fühlte ich den Puls des jungen Tieres. Tot. Aus dem präzise gesetzten Einschussloch in der Brust quoll Blut.
Ich verstaute das Gewehr in der Satteltasche meines Motorrads. Es war ein älteres Modell mit schwarzer Lackierung.

Nachdem ich den Hasen mit einem groben Seil an dem Motorrad befestigt hatte, ließ ich mich geschmeidig in den Sattel gleiten. Das sanfte Vibrieren des Motors erfüllte meinen ganzen Körper.

Äste knackten und Staub wirbelte auf, als ich das Gaspedal durch trat. Ich umrundete eine dichte Baumgruppe und fuhr an einem kleinen Bach entlag auf eine Lichtung.

Bunte Zelte waren um eine Feuerstelle, in der Mitte der Lichtung, errichtet. Ein lachender achtjähriger Junge mit schokoladenbraunem Haar kletterte aus einem der Zelte. Er rannte auf mich zu und warf sich in meine Arme.
"Johann, komm her und hilf mir das Motorrad zu ölen", Christian hatte sich an einem olivgrünem Motorrad zu schaffen gemacht. Seine strahlend blaue Augen musterten mich aufmerksam, dann fiel sein Blick auf den Hasen, der immer noch an meinem Motorrad befestigt war: "Gute Beute, Evin. Henry wollte gleich mit dem Eintopf anfangen. Hilf ihm doch dabei."

Ich maschierte zur Feuerstelle, wo Henry bereits auf mich wartete. Dort begann ich, Kräuter mithilfe eines Mörsers zu einem gleichmäßigem Brei zu zerkleinern. Diesen füllte ich mit heißem Wasser auf und gab einige Pilze hinzu. Henry hatte das Kaninchenfleisch in kleine Brocken zerschnitten und über dem Feuer geröstete. Dann füllten wir das Fleisch in den Eintopf.

"Abendessen", brüllte Henry über den ganzen Platz.
Aus dem Schatten einer großen Kiefer traten Sonja und Michelle mit einem Korb frischer Wäsche.

Henry füllte etwas Eintopf in eine Holzschüssel und reichte sie mir. Das Gebräu schmeckte würzig nach Dill und Zitronenmelisse. Das Fleisch war etwas zäh, aber saftig. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus.

. . .

Die Dämmerung hatte eingesetzt aber der sanfte Feuerschein des Lagerfeuers tauchte den Platz in warmes Licht. Ich kuschelte mich tiefer in die warme Wolldecke.
Plötzlich umschlangen mich zwei Arme von hinten. Der Duft nach Orangen und Zimt stieg mir in die Nase. Finn.

Finn war seit zwei Jahren mein fester Freund. Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken.

"Gabriel und ich haben einen neuen Rastplatz gefunden", flüsterte er.
"Wie weit ist er entfernt?"
"Knapp vier Stunden, deshalb sind wir so spät wieder da."
Ich reichte ihm eine Schüssel Eintopf und fragte: "Wann werden wir hin fahren?"
Finn nahm einen gierigen Schluck Tee, aus einer schwarzen Thermoskanne: "Übermorgen."

Ich nickte und schmiegte mich enger an ihn. Meine Lieder wurden schwer und ich sank langsam in einen tiefen Schlaf.

. . .

Der Geruch von frischem Brot und Kaffee weckte mich auf. Die ersten Sonnenstrahlen glitzerten im Morgentau. Der Platz neben mir war leer.

Gabriel schnitt einen Brotlaib in dicke Scheiben, während Henry Kaffee kochte.
"Evin, geh doch bitte die Fischfallen überprüfen", rief Christian über den Platz.

Seufzend wanderte ich den Bach entlang. Nach einiger Zeit wurde das Gewässer etwas breiter und der Untergrund steiniger. Das Seichte Plätschern der Baches vermischte sich mit den ersten Liedern der Vögel.

Plötzlich vernahm ich einen Schrei. Er war so voller Angst und Schmerz, das es mir das Herz brach. Ein lauter Schuss ertönt und der Schrei verstummte.

Ich stürmte den Bach entlang, zurück zum Lager. Doch auf das, was mich dort erwartete, war ich nicht vorbereitet.
Johann lag auf der Wiese, die Augen vor Entsetzten geweitet. Blut quoll aus einem Einschußloch in seiner Brust. Ich kniete mich neben ihn, doch für den kleinen Jungen kam jede Hilfe bereits zu spät.

Dann sah ich die anderen.
Blutüberströmt lagen sie um das Feuer herum. Mit durchgeschnittenen Kehlen. Ich vernahm eine heisere Stimme: "Lauf Evin! Es war Finn."

Projekt: ExpiravitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt