Kapitel 9 - Familiengeheimniss

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Evin Archer

Ich wachte blinzelnd in einem Laborraum auf. Ein Mann stand vor mir. Luka Angon. Die grauen Augen sahen mich belustigt an. Ich kannte sie. Ich kannte diese Augen. Sie ähnelten so sehr meinen.

Ich stolperte einen Schritt zurück. Nein! Das konnte nicht sein. Er konnte es nicht sein. Mit zittriger Stimme fragte ich: "Vater?" Doch statt einer Antwort ertönte ein Knall und sein Körper sackte in sich zusammen. Finn stand hinter ihm und starrte mich gehässig an. Ich versuchte zu fliehen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Er richtete die Pistole auf mich und drückte ab.

Ich fuhr aus meinem Schlaf hoch und atmete heftig. Das Laken klebte an meinem verschwitzten Körper. Immer und immer wieder tauchte Finn in meinen Gedanken auf.

Als ich da Klicken einer Tür vernahm, sah ich auf. Aron hatte mein Zimmer betreten. Seine Jogginghose saß tief auf seinen Hüften und ich versuchte angestrengt nicht auf seinen nackten Oberkörper zu starren.

"Alptraum", fragte er nur. Ich nickte bestätigend. Warum ich ihm hier vertraute, wusste ich nicht, doch die Nachr gab mir Sicherheit.

Er ließ sich zu mir auf das Bett fallen und zog mich in seine Arme. Seine Nähe beruhigte mich und seine kalte Haut kühlte mich ab. Ich sollte eigentlich von ihm rutschen, denn das hier war mir fiel zu nah, aber ich brauchte es jetzt. Ich brauchte ihn jetzt. Ich ließ meinen Kopf auf seiner nackten Brust ruhen und eine Hand auf seinem Bauch. Er schlang einen Arm um meine Hüfte und zog mich näher zu sich: "Wovon hast du geträumt?"

Ich überlegte ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte und entschied mich für die halbe: "Von dem Mörder meiner Familie."

Ich erwartete einen Spruch oder etwas anderes, doch da kam nichts. Als er wieder zu sprechen begann, hörte ich Trauer und Schmerz in seiner Stimme:

"Meine kleine Schwester, Fiona, hatte Krebs. Sie war vierzehn und ich zwanzig, als es diagnostiziert wurde. Mit sechszehn starb sie. Ich habe sie bis zu ihrem Tod jeden Tag im Krankenhaus besucht und meine Eltern gebeten mit mir zu kommen. Sie leiten Science Monment und hatten deswegen viel zu tun. Sie kamen kein einziges Mal in diesen zwei Jahren.
Danach beschloss ich nicht den selben Weg einzuschlagen, sondern meinen eigenen Club zu eröffnen und den Kontakt zu ihnen abzubrechen."

Ich wusste nicht wieso er mir das erzählte, aber ich beschloss, dass es wohl an der Zeit war, ein wenig von mir zu erzählen: "Ich habe meine Eltern nie gekannt, sondern bin bei den Archers aufgewachsen."

"Die Gruppe Jäger, die ermordet im Wald aufgefunden wurde? Von denen wurde in den Nachrichten berichtet."

Ich nickte und fuhr fort: "Meine Eltern habe ich nie kennengelernt, deswegen waren die Archers meine Eltern und es war gut so, denn ich war glücklich."

Ich beschloss ihm vorerst nichts von dem Fakt zu erzählen, dass ich vermutete, dass Luka Angon mein Vater sein könnte.

Ich kuschelte mich noch näher an ihn und lauschte seinem Atem, bis ich in einen gleichmäßigen Schlaf sank.

. . .

Ich saß auf der Rückbank von Arons Mercedes und beobachtete wie die Landschaft immer ländlicher wurde.

Vor einem weißen Einfamilienhaus hielten wir und klopften an.
Eine alte Angestellte öffnete die Tür: "Luka und Jasmin schlafen beide noch, kommt bitte etwas später wieder."

Gerade als sie die Tür wieder schließen wollte, schnellte mein Arm vor und hielt die Tür auf. Dabei rutschte der Saum meines T-Shirts so weit nach oben, dass man die kleine Erhebung an meinem Oberarm erkennen konnte. Der Blick der Angestellten huschte von meinem Oberarm zu meinem Gesicht: "In Ordnung, ich lasse euch in die Küche, aber ich möchte mit dir alleine sprechen."

Sagte sie und öffnete die Tür. In der Küche ließen Aron und Julien sich auf die Stühle fallen und die Angestellte zog mich um eine Ecke in den Flur: "Evin?"

"Ist Luka Angon mein Vater", fragte ich statt einer Antwort.

Die Angestellte nickte bloß.
"Warum? Warum hat er mich ausgesetzt? Was ist passiert, dass er seine eigene Tochter verlassen hatte."

Nun sackten die Schultern den Angestellten entgültig nach nach vorne und ich wappnete mich für ihre nächsten Worte: "Ich habe dich in den Wald gebracht, nicht dein Vater."

"Warum?"

Sie schluckte hart und begann zu erzählen: "Dein Vater forschte an einer kleinen Kugel namens "Venator" mit der er Seelen fangen konnte. Er war wir besessen von dieser Forschung. So besessen, dass er seine eigene Tochter für Forschungszwecke nutzte. Er hat ihn dir implantiert, als du noch ein Säugling warst und wollte ihn dir auch wieder entnehmen, doch das wäre lebensgefährlich. Also brachte ich dich in den Wald zu den Archers."

Ich versuchte möglichst gleichgültig zu wirken: "Und Mutter?"

"Sie ist bei deiner Geburt gestorben."

Ich nickte langsam: "Ich gehe zu ihm."

Ohne ein weiteres Wort wandte ich mich ab und ging die Treppen hoch, wo ich das Schlafzimmer vermutete. Ich stieß die Tür auf und erstarrte.

Auf dem Bett lag ein fünfzig Jähriger Mann. Eine rote Blutlache hatte sich unter seinem Körper auf der Matratze gebildet. Zwei Einschusslöcher zierten seinen breiten Oberkörper und ein langer Schnitt zog sich über seiner Kehle, vermutlich von einem Jagdmesser.

Er war schneller gewesen. Finn hatte nun auch meinen leiblichen Vater getötet.

Ein spitzer Schrei riss mich aus meiner Trance. Die Angestellte war neben mich getreten und starrte mit von Entsetzten geweiteten Augen auf den Leichnam. Ich hörte wie Aron und Julien die Treppe hinauf stürmten. Als sie neben mir standen, sagte ich so trocken wie es mir möglich war: "Mit ihm können wir uns garantiert nicht mehr unterhalten."

Ich drehte mich um und stürmte aus dem Haus. Ich musste hier weg, bevor ich meine gleichgültige Maske verlor und zusammenbrach. Vor dem Haus lehnte ich mich an den Wagen und sog die frische Luft ein. Ich musste Finn und seinen Auftraggeber stoppen.

Projekt: ExpiravitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt