Abandoned Estate

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"Wieso bist du nicht gleich hierher gekommen?" frage ich und folge Aurora, nachdem ich aus dem Wagen gestiegen bin. "Es ist definitiv besser als das Rattenloch in dem du dich einquartiert hast."

Sie verdreht die Augen, antwortet aber trotzdem. "Meine Tante ist das schwarze Schaf der Familie. Aus schweifende Parties, ständig wechselnde Partner - allesamt mindestens ein Jahrzehnt jünger als sie... Das Verhältnis war nie gut zwischen meiner Familie und ihr. Also hat man mich von ihr ferngehalten, weil man Sorge hatte sie könnte mich verderben und beeinflussen. Ich hatte also nie wirklich eine Beziehung zu ihr und wenn ich ehrlich bin fand ich es etwas merkwürdig plötzlich vor der Tür zu stehen und um Asyl zu bitten."

In meinem Kopf formen sich die Fragen, die ich nicht zurück halten will. "Woher wusstest du dann von der Reise? Wenn man es genau nimmt ist es also Einbruch, hm?" frage ich und schaue sie spitzbübisch an. Wegen des Einbruchs verurteile ich sie gewiss nicht, habe ich doch selbst schlimmeres getan. Aurora bleibt schließlich vor der großen hölzernen Doppeltür stehen. Wir haben keinen Schlüssel...

Meine Fähigkeiten kommen wenig später zum Einsatz. Mit einem festen Ruck öffnet sich ein altes Fenster ganz in der Nähe, welches bei der massiven Gewalt fast zu zerbersten droht. Ich steige hinein, drehe mich dann zu Aurora und helfe ihr. Kurz darauf nehme ich alles in meiner Umgebung wahr.

Alte Teppiche hängen an den Wänden. Das meiste davon hat einen orientalischen Touch und Aurora erklärt mir, das ihre Tante viel reist und von ihren Abenteuern offenbar jedesmal ein Souvenir mitgebracht hat.

Das Zimmer in dem wir uns befinden ähnelt einer Abstellkammer, also gehen wir weiter vorwärts. Vorsichtig und leise - und erreichen schließlich den Korridor. Die Eingangstür ist zu unserer linken, auf der anderen Seite wartet ein riesiges Foyer und angrenzenden Räumen und einer Wendeltreppe die ins obere Stock führt. Zimmer für Zimmer durchkämmen wir, ohne zu wissen was wir überhaupt suchen. Vorbei an einer Küche und daneben liegendem Esszimmer finden wir etwas weiter ein Gäste WC. Im letzten Zimmer ist eine Art Salon mit Sofa, Sesseln, Kamin und einem kleinen Beistelltisch für Kaffee oder Tee.

Schweigend folge ich Aurora weiter und gemeinsam erklimmen wir die Wendeltreppe. Ab hier ändert sich das Interior - alles wirkt düsterer, verbotener.
Türen zum nächstgelegenen Raum stehen offen und geben den Blick frei auf ein riesiges Doppelbett in dem gut und gerne 5 Menschen Platz finden. Der Raum daneben ist verschlossen.

Als letztes gibt es noch ein riesiges Badezimmer mit freistehender Wanne und Regenwald Dusche. Einzig die Toilette ist etwas separiert und zwischen halbhohen Wänden versteckt. "Du hast meine Frage noch nicht beantwortet." murmle ich und verschränke die Arme. Es ist schon mal passiert das Aurora unangenehmen Fragen ausgewichen ist, doch ich beharre auf eine Antwort. "Okay... Ich gebe dir eine Antwort, aber... Zuerst will ich wissen was in dem verschlossenen Raum ist. Also hilf mir, den Schlüssel zu finden!" gibt sie zurück und marschiert los. Sie ist eine Frau mit einem Plan und sie wird so lange wie nötig nach einem Weg in das verschlossene Zimmer suchen... Also bleibt mir nichts anderes, als ihr unter die Arme zu greifen und den Suchtrupp zu verstärken.

Gut eine Stunde später hat sie den Schlüssel in der Hand. Die Kommode neben dem monströsen Bett war die letzte Anlaufstelle und ich grummele das wir dort nicht zuerst gesucht haben.

Mit zittrigen Fingern schiebt sie den Schlüssel in das Loch und dreht ihn herum. Ein leises knacken ertönt und nun steht nichts mehr zwischen dem was sich darin befindet und der Neugierde, die Aurora antreibt. Als sie die Tür öffnet dringt nichts als schwärze zu uns durch...

Mutig, einen Schritt vor den nächsten, bewegt sich Aurora vorwärts und taucht in das dunkle Nichts ein, tastet sich langsam an der Wand entlang bis sie einen Lichtschalter findet. Sekunden später wird der Raum in dunkles Rot gehüllt und offenbart, was hier versteckt wird. Ketten die von der Decke hängen und an deren enden Haken befestigt sind lassen nur erahnen was hier passiert. Mehrere Schränke, die einen gotischen Stil haben, stehen an den Wänden verteilt und ziehen Aurora an, wie die Motte die durch Licht angelockt wird. "Ich weiß nicht ob das so ne gute Idee ist..." gebe ich zu bedenken, kann Aurora allerdings nicht aufhalten. Eine Tür und Schublade nach der nächsten öffnet sie und gibt so den Blick frei auf allerlei Spielsachen, die man so selten findet. "Weißt du was das alles ist?" frage ich schließlich, obwohl ich die Antwort bereits kenne. Aurora schweigt, sieht sich alles aber genau an.

Schließlich setzt sie sich müde auf die Bettbank, die direkt vor einem etwas kleineren Bett steht. Das besondere jedoch ist das Gestell um das Bett herum - es erlaubt einem auch hier mit Haken und Seilen zu arbeiten. Der Baldachin, der tief schwarz und mit funkelnden Steinen versehen ist wirkt zwar deplatziert, nimmt dem Raum aber etwas von der grotesken Aufmachung. Aurora's Blick schweift umher. "Ich hab so etwas noch nie live gesehen. Ich meine... Das ist doch ein richtiges SM Zimmer, oder?" fragt sie mich. Ich zucke leicht mit den Schultern. "Und was soll das da überhaupt? Ich meine das berühmte Andreas Kreuz kennt jeder, selbst jene die nichts mit dieser Szene zutun haben. Aber das da?"

Ich folge ihrem Blick und sehe zwei Holzbalken die an der Wand befestigt sind. Die Vorrichtungen für Befestigungen sind sowohl unten als auch oben zu sehen. Eines der Balken ist auf Augenhöhe, das andere jedoch viel weiter unten - eine eigene Interpretation eines Andreas Kreuzes, wie ich vermute. Ich gehe darauf zu, stelle mich so wie ich denke das es richtig ist und schaue Aurora an. "Ich denke das es den selben Effekt hat wie ein Andreas Kreuz." erkläre ich und Aurora schaut beschämt weg.

Schämt sie sich wirklich für all das hier?

Nach der Roomtour finden wir uns in der Küche ein. Von den Dingen die wir zuvor an der Tankstelle gekauft haben zaubert Aurora etwas, das wir beide Essen können. Stillschweigend sitzen wir also nebeneinander, doch dann fällt es mir wieder ein. "Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet. Woher wusstest du das deine Tante auf Reisen sein würde?" frage ich, doch diesmal lasse ich Aurora nicht so leicht davon kommen. Sie will aufstehen, aber ich halte sie am Handgelenk fest. "Oh man, Ezio. Du kannst echt nerven... Also gut... Sie war im Laden in dem ich gearbeitet habe. Sie hat mich nicht erkannt, aber ich wusste sofort wer sie war. Sie saß also da mit ihren Freundinnen und erzählte lautstark von dem neuen Typen, den sie in einem Club abgeschleppt hat und das sie vor hat mit ihm auf Reisen zu gehen." murrt sie und reißt sich los. Die Erklärung ist simpel und harmlos, weshalb ich nicht verstehe wieso sie der Frage ausgewichen ist. Ich verziehe das Gesicht, behalte sie aber im Auge. "Als ich ihr den Kaffee brachte hielt sie mich an. Sie hatte so einen irren Blick drauf... Ich dachte sie hätte mich womöglich erkannt, bis sie mich plötzlich fragte ob ich  'hübsches Ding' nicht Interesse daran hätte, einen besonderen Raum in ihrem Haus kennen zu lernen. Sie meinte, das wir zu dritt gewiss etwas Spaß haben könnten... Deswegen war ich so versessen darauf zu sehen was sich in diesem verschlossenen Zimmer befindet. Zufrieden?"

Ich unterdrücke ein Lachen. Es ist unangebracht wenn man bedenkt das ihre eigene Tante sie zu Sex Spielen eingeladen hat, allerdings kann ich die Schüchternheit und die Scham von Aurora kaum mit einem ernsten Blick oder gar Worten huldigen. "Was hast du geantwortet?" will ich wissen, jetzt mehr denn je. Aurora schnaubt, schüttelt den Kopf und weigert sich weiterhin in meine Richtung zu schauen.

Ich rücke ihr auf die Pelle.

Aurora versucht die Frage zu umgehen, schafft es aber nicht. Schließlich gibt sie auf. "Ich war verwirrt, okay?" erklärt sie zuerst, "aber ich habe geantwortet das es nur einen Menschen gibt mit dem ich Spaß haben will. Ich habe ihr 'Angebot' abgelehnt. Und nein, ich wusste nicht was sich in diesem Zimmer verbirgt und ich hab auch nicht damit gerechnet das es eine Spielekonsole ist... Aber was wir gefunden haben sprengt den Rahmen. Also vergiss es, vergiss was ich gesagt habe."

Oh... Das werde ich nicht - denn ich habe die Neugierde in ihren Augen gesehen und ich will es wieder sehen... Dies und noch viel mehr.

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