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Ein pochender Schmerz im Kopf riss Al unsanft aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Er fluchte und blinzelte mürrisch in gleißenden Sonnenstrahlen, die ihn unerbittlich blendeten.

Hastig streckte er eine Hand nach dem Fensterbrett neben dem Sofa aus, um ein Stück Stoff der Vorhänge zu erwischen und die Licht-Attacke auf seine brennenden Augen frühzeitig zu beenden.

Ein paar Mal griff er ins Leere, bevor er den Stoff zu fassen bekam. Ein unangenehmer Geschmack hatte sich in seiner Kehle ausgebreitet, den er mit einem kräftigen Räuspern verzweifelt versuchte, loszuwerden.

Begleitet von einem unbarmherzigen Pochen in der Stirn hiefte Al sich vom Sofa und blieb in gebeugter Haltung auf der Kante der Polsterfläche sitzen. Warum zur Hölle ging es ihm nur so dreckig?

Es war am Abend zuvor nichts anders als sonst gelaufen.
Sie tranken zusammen, James schleppte ein Mädchen ab und Al schlief statt im Bett auf dem Sofa ein.

Aber bisher hatte er am Tag danach nie solche Kopfschmerzen gehabt. Es fühlte sich an, als würde jemand in seine Stirn einen Pfahl bohren.

Al versuchte, aufzustehen. Wenigstens bis in die Küche musste er es schaffen, um eine Aspirin zu suchen. Mit wackeligen Beinen schleppte er sich langsam in den kleinen, hellen Raum mit der schmalen Einbauküche.

Die Schränke waren aus billiger Pressholzplatte mit halb verrosteten Scharnieren und einer veralteten Dekorfolie mit Holzmaserung in einem beigen Farbton. Al hasste diese Küche.

Sie ließ ihn sich noch schlechter fühlen, als er es ohnehin schon tat. Zu oft schon hatte er in dieser Küche gestanden und alles zu Brei schlagen wollen.

Hastig tastete Al nach dem Hängeschrank, der über einer schmalen Arbeitsfläche installiert war. Mit zwei, drei Griffen fand er die große Packung, öffnete sie und beförderte eine der weißen Tabletten in ein leeres Glas, das er anschließend mit Wasser aus dem Wasserhahn füllte.

Als er die schmale Kante des Glases an seine Lippen setzte und den ersten Schluck trank, fuhr erneut ein blitzartiger Schmerz durch seine Stirn.
Er schloss die Augen.

Eine unheimliche Finsternis legte sich wie ein Schatten vor sein inneres Auge, langsam und still.

Al fröstelte und noch bevor er entschied, seine Augen wieder ruckartig zu öffnen, hörte er eine leise Stimme, wie die eines Kindes, ganz dicht an seinem Ohr.
,,invenies vastata" kamen die Worte zischend in sein Bewusstsein.

Al runzelte die Stirn und riss die Augen auf. Er sprach kein Latein.
Was auch immer das bedeutete...
Als sein Blick auf das Glas fiel, schrie er auf und ließ es fallen.
Da war kein Wasser im Glas.
Das war Blut.

,,Hallo? Sie haben versucht, mich anzurufen?"
,,Ja. Hier ist die Assistentin von Tom Prescott. Ihre Schwester, Roja Vale, hat sich für heute nicht krank gemeldet und ist noch nicht auf der Arbeit erschienen. Wissen Sie, wo wir sie erreichen können?"

Verwirrt griff Al sich an den Kopf. Das sah Roja nicht ähnlich. Sie hätte sich sofort bei der Firma gemeldet, ihr Job war ihr ungemein wichtig. ,, Hören Sie...."stotterte er. ,,Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Aber ich mache mich auf die Suche."

Die Assistentin klang deutlich genervt. ,,Tun Sie das! Und denken Sie bitte daran, sich zu melden, wenn Sie Sie gefunden haben. Wir haben in anderthalb Stunden eine wichtige Konferenz mit ihr und Tom erwartet, dass sie da ist."

Mit zitternden Händen legte Al sein Handy auf die Anrichte. Noch immer fühlte es sich an, als läge ein düsterer Schleier über seinem Bewusstsein.

Während die Aspirin zu wirken begann, duschte Al und zog sich saubere Kleidung an. Dann fuhr er kurzentschlossen zu Rojas Wohnung.

Die Vorhänge an den Fenstern ihres Apartments waren zurückgezogen, aber auf sein Klingeln an der Haupttür antwortete niemand.

Al versuchte es auf ihrem Handy, aber auch da antwortete niemand. Mit einem nervösen Blinzeln kramte er in seiner Jackentasche nach den schwarzen Zigaretten und inhalierte gierig den Rauch, nachdem er sich eine Kippe angesteckt hatte.

Ein paar Bewohner verließen das Gebäude, aber Al stand nur verstolen in der Ecke und beobachtete sie. Er hatte weder den Mut noch die Kraft, jemanden anzusprechen und nach Roja zu fragen.

Er sah sich selbst schon völlig hilflos in diesem Gespräch nach Worten zu suchen, um den Menschen zu erklären, wer seine Schwester war und warum es sie interessieren sollte, dass sie verschwunden war.

Was taten Menschen in so einem Fall?
Sie gingen zur Polizei.

Seufzend ließ Al die Zigarette sinken. Es fühlte sich unwirklich an. Beinah so, als würde er jeden Augenblick erneut in seiner kleinen Wohnung auf dem Sofa aufwachen, völlig verwirrt von einem Traum, der ihm suggeriert hatte, dass er bereits wach war.

Es gab keinerlei Anhaltspunkte für Rojas Verschwinden, dessen war er sich sicher. Sie war beliebt, sie machte einen guten Job. Mom und Dad waren immer sehr stolz auf sie gewesen. Und mit Sicherheit hätten sie zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt, dass Roja es die Karriereleiter ganz nach oben schaffen würde.

Al versuchte das kalte Gefühl zu ignorieren, dass in seiner Brust langsam nach oben kroch. Wie sehr wären sie jetzt in Sorge gewesen- wie sehr hätte sich alles um Roja gedreht. Er stellte sich das angestrengte Gesicht seines Vaters vor, wie er Al musterte und obwohl er sich Mühe gab, konnte Al ihm ansehen, wie enttäuscht er von ihm war. 

Er wagte den Gedanken kaum zu denken, aber eine finstere, bittere Stimme tief in seinem Inneren flüsterte leise immer wieder: Sie hätten sich gewünscht, dass du an ihrer Stelle verschwunden wärst.

Mariahs LammWo Geschichten leben. Entdecke jetzt