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Das Schloss knackte und das Klirren von Metall ließ Roja den Kopf heben.
Sie saß zusammengekauert mit angewinkelten Beinen an der kalten, rauen Betonwand und zitterte vor Kälte.
Es musste mindestens ein Tag vergangen sein, dessen war sie sich sicher.
Hunger und Durst waren zunehmend schwer auszublenden, obwohl die unmittelbare Gefahr, die von den beiden Männern ausging, Rojas Kopfkino befeuerte. Das hatte sie eine Weile in Schach gehalten.

Als die Tür mit einem Scharren aufgestoßen wurde, kam nur einer der Männer in den Raum. ,,Guten Morgen, die Dame." trällerte er überschwänglich. ,,Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen? Vielleicht war Ihnen ein wenig kalt? Wir bieten hier leider nicht die Sonderklasse, die Sie vielleicht gewohnt sind." Er lachte über seine eigene Darbietung.
,,Bitte." flehte Roja erneut. ,,Sagt mir, was ihr wollt."
Der Mann kam näher und fuhr sich mit der Hand übers Kinn. ,,Ein Spiel. Wenn du meinen Namen noch weißt, verrate ich dir vielleicht eine winzige Kleinigkeit."
Roja musterte die weiße Sturmhaube. ,,D-d-du bist...Zane." Zane klatschte in die Hände. ,,Bingo. Das ist mein Name." Er kam noch näher an sie heran und kniete sich vor ihr auf den Boden. ,, Weißt du, ich habe mich immer gefragt, wie es ist, Geschwister zu haben. Suchen die nach einem? Oder ist man denen völlig egal? Was meinst du?"

Kaum, dass Zane die Worte ausgesprochen hatte, dachte Roja an Al. War er auf der Suche nach ihr? Hatte er die Polizei verständigt? Zanes Blick durchbohrte sie förmlich, dann schüttelte er langsam den Kopf, als könnte er Gedanken lesen. ,,Tztztz. Ich fürchte, du erwartest wie immer zu viel von deinem Bruder."

Überrascht hob sie ihr Gesicht.
,,Woher weißt du...?"
Zane rieb sich die Hände. ,,Nanana, ich sagte, eine Kleinigkeit. Außerdem ist jetzt ersteinmal das Frühstück an der Reihe." Er griff in die Tasche einer schwarzen, mittellangen Stoffjacke, die er um die Hüfte gebunden trug und zog eine kleine, dunkelgrüne Plastikspritze heraus. Dann griff er erneut in die Tasche und holte die Verpackung einer Kanüle heraus, die er mit einem Rascheln öffnete. Roja rutschte hastig zur Seite. ,,Nein. Bitte. Was ist das?"

,,Du musst etwas essen." säuselte Zane und stand auf. ,,Dennis!" Tränen schossen Roja in die Augen, während sie von einer Ecke in die andere krabbelte, wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Dennis kam mit festen Schritten durch die offene Tür in den Raum. ,,Soll ich sie festhalten?" fragte er, während er Zane mit der erhobenen Spritze und die am Boden kauernde Roja betrachtete. Zane nickte nur.

Mit Händen und Füßen wehrte Roja sich gegen Dennis' festen Griff, aber sie hatte keine Chance. Völlig unbeeindruckt griff Zane sich ihren rechten Arm und suchte beinah fachmännisch nach der Vene. Mit geübten Griffen verabreichte er ihr die unbekannte Flüssigkeit. Dann ließen sie sie los und verließen den Raum.
,,Und was jetzt?" Dennis' Stimme klang ungeduldig. ,,Nur die Ruhe." beschwichtigte Zane und zog sich die Sturmhaube vom Kopf. Seine blonden, kurzen Haare ragten völlig wirr in alle Richtungen und auf seiner Stirn hatten sich feine Schweißperlen gesammelt. Unter seinem schwarzen, eng-anliegenden Shirt zeichnete sich deutlich seine breite, sportliche Figur ab.

Es war gewagt, dieses Mal keine Strickjacke anzuziehen, um die Arme zu verdecken. Obwohl er keine Tattoos besaß, war er sich sicher gewesen, dass sie es bereits ahnte. Aber ihre Angst war nicht gespielt. Sie wusste es noch immer nicht.
Voller Genugtuung schloss Zane für einen kurzen Augenblick seine Augen. So oft hatte er sich ausgemalt, wie es sein würde, wie es sich anfühlen würde...und es war besser, als jedes kleine Detail seines Kopfkinos.

Dennis schniefte laut und Zane drehte sich um. ,,Was?" ,,Du schuldest mir noch was." Er zog sich ebenfalls die Sturmhaube vom Kopf und schüttelte seine schwarzen Locken. Während sie zum Ausgang des Lagerhauses liefen, fiel Zanes Blick auf Dennis' stechend grüne Augen.

Sie kannten sich schon so lang.
Zane hatte Dennis nur irgendwann aus den Augen verloren, als sie nach der Schule fürs Studium umgezogen waren. Bis sie sich dann auf der Party einer Bekannten wieder getroffen hatten. Zane hätte es nie für möglich gehalten, dass das Vertrauensverhältnis, das sie damals, als Kinder hatten, in einer derartigen Weise zurück kommen konnte. Und manchmal fragte er sich, ob es echt war. Es gab Augenblicke, da wirkte Dennis abwesend und kühl. Als wäre eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Er konnte es nicht beschreiben.

Sie erreichten den Ausgang und Zane fischte einen kleinen, weißen Umschlag aus seiner Hosentasche. ,,Ich hoffe das reicht. Sag mir bescheid, wenn du mehr brauchst." Er hielt Dennis den Umschlag hin.
,,Wird schon." murmelte Dennis und drehte sich unschlüssig zum Gehen, bevor er noch einmal den Kopf hob und Zane musterte. ,,Was hast du mit ihr vor?"

Zane atmete tief durch. ,,Abwarten." ,,Und worauf? Bis sie tot ist?"
Zane lachte kühl. ,,Vielleicht."
Für einen kurzen Augenblick zog sich sein Magen vor Anspannung zusammen und er wartete ab, was Dennis erwidern würde. Früher war es Dennis gewesen, der entschieden hatte, was sie unternahmen. Der Kleinere von ihnen. Und der Gefährlichere. Zane war zwar stark, aber es hatte immer eine Menge Argumente in seinem Kopf gegeben, die ihn zurückgehalten hatte. Bis das mit seinem Vater passiert war. Seitdem war er nicht mehr derselbe.

,,Du weißt, was passiert, wenn jemand herausfindet, was du getan hast." Dennis Augen blitzten. ,,Dann bist du raus aus allem. Dein bisheriges Leben ist vorbei." ,,Das ist es sowieso schon." spottete Zane. ,,Alles hat sich verändert. Zum Glück für uns hat sie so einen Versager-Bruder. Er wird sie nie im Leben finden. Wahrscheinlich hat er es nicht einmal zur Polizei geschafft. Idiot."

,,In der Firma wird sie vermisst." warnte Dennis. ,,Darum hab ich mich gekümmert." Zane ließ seinen Blick über das Gelände gleiten. ,,Hast du auch Hunger? Ich fahr noch zu Lennys."
,,Vielleicht später." erwiderte Dennis ,,Sag bescheid, wenn du wieder herkommst."

,,Tobias! Du bist zu spät." Zanes Vater starrte ihn mit grimmigen Augen an, als Zane mit einem Kaffeebecher in der Hand das Büro betrat. ,,Sorry." erwiderte Zane kühl. ,,Das ist nicht dein Ernst. Ich habe dir diesen Job hier gegeben. Und ich erwarte, dass du diese verdammte Chance endlich nutzt. Du repräsentierst diese Familie. Was zur Hölle sollen die anderen Angestellten von uns denken?"

,,Es ist nur ein Job!" knurrte Zane. ,,Und genau das eben nicht." Auf der Stirn seines Vaters hatte sich eine steile Falte gebildet. Das passierte immer, kurz bevor er die Geduld verlor. Zane hielt inne und betrachtete ihn. All das, was er als kleiner Junge vergöttert hatte, störte ihn jetzt umso mehr. Es war ein ständiges Auf und Ab zwischen ihnen.

,, Hör zu!" zischte sein Vater und beugte sich vor. ,,Es gibt andere Anwärter auf deinen Platz. Solltest du dich also nicht zusammenreißen, werde ich der Letzte sein, der dich hier vor irgendwem verteidigt. Du musstest nichts für diesen Platz tun. Du hast ihn dir nicht mal verdient."
Er wurde von dem lautstarken Klingeln eines Telefons unterbrochen. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ließ Zane im Gang stehen, während er seelenruhig sein Telefon an sein Ohr presste.

Voller Hass blickte Zane ihm hinterher. Zu einem früheren Zeitpunkt hatten ihn diese Worte noch berührt, aber das war lange her. ,,Tu etwas!" zischte er und spürte Kälte in sich aufsteigen.
Er griff instinktiv nach einem der Stifte, die vor ihm auf einem Bürotisch lagen und umklammerte ihn so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.
Sein Puls stieg wie ein wütendes Tier in seinem Körper empor und schlug mit einem dumpfen Wummern gegen die Haut an seinem Hals.
,,Nicht mehr lang." knurrte Zane.
,,Ich werde nicht mehr lange warten."

Mariahs LammWo Geschichten leben. Entdecke jetzt