,,Duu...bist also auch hier?" Gander lachte, während er sich einen prüfenden Blick nicht verkneifen konnte. ,,So wie jede Woche." entgegnete Wes genervt und strich sich über den schwarzen, glatten Stoff seines Anzugs. ,,Dann können wir ja anfangen." ertönte eine markante Stimme aus der Mitte des Raumes von einem schwarzen Ledersofa.
Wes beobachtete, wie Ganders Blick über die Köpfe wanderte und an ihr hängen blieb. In den vorderen Reihen wurde es unruhig. Ein Mann in einem blauen Business-Anzug trat vor, an das Ledersofa. Er kniete sich auf den Boden und reckte ohne ein Wort zu sagen seinen Hals.
,,Das war längst überfällig." kommentierte Gander trocken, während in Wes ein ungutes, beklemmendes Gefühl aufstieg. ,,Was hat er getan?"
,,Geplaudert." Gander fuhr sich durch die halblangen, braunen Haare und seufzte.Ein nasses Geräusch durchschnitt die Atmosphäre im Raum gefolgt von etwas, das wie ein verzweifeltes Jammern klang. Wes spürte, dass er seine Hände unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte.
Auf seiner Stirn hatte sich ein kleiner Tropfen Schweiß gebildet, der ihm über die Stirn rann und in seinem Auge brannte. ,,Memme." raunte Gander und als Wes zu ihm herüber sah, brachte ihn das selbstgefällige Lächeln auf Ganders Gesicht in eine mörderische Stimmung. Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Mitte des Raumes zu richten.
Der Mann, der vor wenigen Minuten noch vor dem Sofa gekniet hatte, verschwand leblos mit dem Gesicht nach unten in einer Blutlache am Boden.
,,Jetzt, da wir das erledigt haben: es gibt ein paar Ankündigungen zu machen. Idor, würdest du unsere älteren Mitglieder nach vorne rufen?" Idor war ein muskulöser, großer Hühne mit einem kahlrasierten Kopf und grauen, kalten Augen. Er erhob sich bedächtig und nickte in die Runde.
15 Männer schlängelten sich durch die Reihen nach vorne, zum Sofa. Dort bildeten sie einen Halbkreis. ,,Unsere Ältesten." seufzte sie, beinah lasziv. Sie lehnte sich auf dem Sofa herüber, sodass Wes ihr kurzes, enges Kleid sehen konnte. Es war dunkelrot und ließ ihre blasse Haut wie Porzellan wirken.
Wes begehrte sie und er wusste, dass der gesamte Rest des Kreises das auch tat.
Seit sie in sein Leben getreten war, gab es nichts anderes mehr. Er war süchtig nach dem Gefühl von Macht, dass sie in ihm heraufbeschwor.Selbst seine Liebe für eine Arbeitskollegin war einfach im Nichts verpufft. Beinah mehr als vier Jahre hatten sie sich jeden Tag auf dem Flur des Großraumbüros gesehen, in dem er arbeitete. Aber außer einer kurzen Affäre, gab es für ihn keine Chance. Das hatte ihn damals beinah zerstört.
Er konnte kaum glauben, dass er vier Jahre seines Lebens so verschwendet hatte.,,Es ist den Ältesten vorbehalten, vom Opferblut zu trinken." Sie deutete mit der Hand auf den am Boden liegenden Toten. ,,Bitte, bedient euch."
Die Männer rückten dichter zusammen und knieten sich um die Blutlache am Boden. Dann tranken sie der Reihe nach, indem sie die Hände wie Schalen formten. Wes merkte, wie Übelkeit in ihm aufstieg.,,Mal ehrlich: Du bist schon so lange hier und es stört dich immer noch?" Gander ließ ihm einfach keine Ruhe. Wes suchte fieberhaft nach einer guten Ausrede, aber ihm wurde schwindelig und er merkte, dass seine Beine einknickten.
Beinah elegant und dennoch unnachgiebig schob Idor sich durch die Reihen der Mitglieder und erreichte Wes genau in dem Augenblick, als dessen Beine nachgaben. Mit Leichtigkeit fing er ihn auf.
Einige verstohlene Blicke streiften Idor, als er den ohnmächtigen Körper nach draußen trug. Gander gab ein schmatzendes, abschätziges Geräusch von sich und wandte seinen Blick wieder dem Sofa zu.Sie blinzelte, bevor sie ihm unter halb geschlossenen Augenlidern einen unwiderstehlich-düsteren Blick zu warf, der selbst Gander völlig aus der Fassung brachte.
Er atmete schneller und spürte die kalte, schaurige Brise wie kleine Spinnen über seinen Rücken und seine Arme krabbeln.Er bewegte die Lippen nur ganz leicht, trotzdem konnte er sehen, wie ein Lächeln über ihr Gesicht huschte. Diesmal würde er bleiben, bis alle anderen gegangen waren.
,,Es gab ein Missverständnis." Eine leise Stimme durchschnitt die Atmosphäre im Saal und einige der Männer senkten augenblicklich ihre Köpfe, als fürchteten Sie eine Bestrafung. Ihr Rücken streckte sich. ,,Was zur Hölle soll das heißen?"
,,Das gewählte Mitglied hat die Kräfte nicht bekommen." ,,Sondern?" Es war nur eine winzige Nuance in ihrer Stimme. Ein kaum hörbares Zittern, das sich wie ein Insekt lautlos auf ihren Stimmbändern niederließ.
Eine unbequeme Stille machte sich breit.
,,Tritt vor." sagte sie ruhig. Es war eine bedrohliche Ruhe. Jeder im Raum schien zu wissen, was nun folgen würde.
Ein Mann Mitte dreißig löste sich aus der Menge und trat zögernd in die Mitte des Raumes. ,, Berichte." forderte sie ihn auf. ,,Der Auserwählte war gesichert." sagte der Mann schnell. ,,Aber wir kamen zu spät. Es muss jemand aus unseren Reihen gewesen sein. Jemand, der Zugriff auf die Finsternis hat und..."Sie unterbrach ihn. ,,Niemand außer mir hat Zugriff auf die Finsternis." ,,Dann wurde es gestohlen." entgegnete er nahezu atemlos. Sie bedeutete ihm mit einer Geste zu schweigen.
,,Ich will ihn sehen. Wer ist es?"
Ein anderer, etwas jüngerer Mann trat vor und zog ein Handy aus seiner Hosentasche und hielt es ihr hin.Gander hatte erwartet, dass sie schreien würde. Aber jedesmal lag er falsch. Es machte ihn schier wahnsinnig, dass sie ihm keine Chance gab, ihre Reaktionen einordnen zu können. Sie war wie ein dunkler Sturm auf See, zu jedem Zeitpunkt unberechenbar.
Sie starrte auf den Bildschirm und nickte beinah gedankenverloren.
,,Ich will, dass das Timothy übernimmt." Sie klang beinah emotionslos. ,,Er wird sich um beide kümmern. Ich will sie beim nächsten Treffen hier sehen."
,,Was dich angeht..."
Sie drehte sich zu dem Mann, der noch immer in der Mitte des Raumes stand. ,,Wie gedenkst du, die Gemeinschaft für deine Fehler zu entschädigen?"Der Mann senkte den Kopf. ,,Ich werde ein Opfer bringen." ,, Glaubst du denn, ein Opfer ist angemessen?"
Er sah irritiert aus. ,,Es muss dem Fehler angemessen groß sein." meldete sich Gander zu Wort. ,,Das wird es." versicherte der Mann.
Sie lächelte.,,Ich denke, es wäre angebracht, der Gemeinschaft eine Anzahlung zu leisten. Du hast eine Tochter, nicht wahr?"
Mehr musste sie nicht sagen. Gander konnte sehen, wie der Körper des Mannes sich verkrampfte. Innerhalb von Sekunden war sein Gesicht zu Eis gefroren. Er nickte schwer. ,,Und ich nehme an, es ist dir bewusst, was passiert, wenn du versuchst, sie zu verstecken?"Es war zwecklos für ihn, zu versuchen, sie umzustimmen. Gander hatte es so oft in all den Jahrhunderten erlebt. Sie hatten gebettelt, gefleht, Gegenvorschläge gemacht, gedroht und immer vergessen, dass es für sie kein Entrinnen gab. Selbst an den einsamsten Orten dieser Welt nicht.
Sie war kein Mensch und würde es niemals sein.Verächtlich verzog er das Gesicht. Was für ein Privileg es war, hier sein zu dürfen und wie sehr sie es immer wieder mit Füßen traten. Es war, als begriffen sie nicht.
Der Mann hob den Kopf und seine Unterlippe zitterte.
Sie wartete.Normalerweise würden die Menschen unruhig werden, manche würden husten, rascheln, in den Taschen ihrer Kleidung nach einem Taschentuch, Handy oder ihren Zigaretten suchen. Aber niemand bewegte sich. Sie warteten wie sie. Sie würden auch Jahrzehnte warten.
Idor betrat lautlos den Raum. Seine rechte Hand ruhte auf Wes' Schulter, den er behutsam neben sich her führte. Er war noch immer kreideweiß im Gesicht.
Der Mann, der vorne in der Mitte stand, warf einen Seitenblick auf Idor und Wes. In seinen Augen glänzte eine stumme, tiefe Verzweiflung, die wie ein feiner, durchsichtiger Nebel durch die Reihen kroch.
,,Ja, Mariah."
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Mariahs Lamm
Mystery / Thriller,,Das...das ist falsch." raunte Al verzweifelt, aber sehr, sehr leise. Er ignorierte es. Genauso, wie er ignorierte, welche Konsequenzen es haben würde, wenn er diese letzte Grenze überschritt. ,,Sie darf es niemals wissen." flüsterte er. Alle 600 J...