Irgendwann musste ich wohl gänzlich eingeschlafen sein, denn als ich die Augen aufschlug, war es dunkel im Zimmer. Nur die schmale Sichel des Mondes schimmerte durch das Fenster. Verschlafen überlegte ich, was passiert war. Als ich mich aufrichtete, stützte ich mich mit einer Hand auf einem harten Gegenstand ab. Ich tastete danach. Eine CD-Hülle? Schlagartig war ich hellwach.
Nun saß ich da und lauschte in die Stille der Nacht. Weit entfernt nahm ich das Ticken einer Uhr war. Wie ein gleichmäßiger Herzschlag. Ironie, dass die Zeit weiter lief, während sie zeitgleich ablief. Früher oder später wird die Zeit vergehen. Früher oder später musste jede Uhr stehen bleiben.
Ich hatte mich auf das Fensterbrett gesetzt, um in die Nacht hinaus blicken zu können. Langsam drehte ich die CD-Hülle in der Hand.
Damals, als ich kaum groß genug war, um auf die Tischplatte zu schauen, war ich zu meinen Eltern unter die Decke gekrabbelt, wenn ich nicht Schlafen konnte. Ganz leise hatte meine Mutter mir dann Geschichten erzählt. Geschichten, Träumen gleich, vom Fliegen bis zu den Sternen. Ich erinnerte mich noch gut daran.
~
„Dann, wenn die Nacht die Welt zudeckt und wir uns in unsere Decke kuscheln, wird es ganz still. Der Mond leuchtet den Weg und wacht über uns alle. Über uns Menschen, über die Tiere und Pflanzen, selbst über die alle Sterne am Himmelszelt, wie klein sie auch scheinen. Und es gibt so viele Sterne. Nicht einmal Papa kann sie alle zählen." Sie lachte leise.
„Wenn wir jetzt ganz ganz leise sind, können wir ein Windspiel hören. Hörst du es, Herzblatt?" Mit großen Augen sah ich sie an. „Nun, vielleicht sind wir noch zu weit weg. Lass uns näher heran fliegen! Wir breiten einfach unsere Arme aus und fühlen, wie unsere Füße vom Boden abheben. Ja! Ja, genau so. Wir können fliegen, fliegen wohin wir wollen.
Das Windspiel, hörst du es jetzt? Ich glaube, es will uns etwas zeigen. Komm, wir fliegen dorthin. Es geht hoch hinaus.
Irgendwann wird unser Haus unter uns ganz klein, bis wir es nicht mehr sehen können. So hoch sind wir. Irgendwann werden wir den Sternen so nah sein, dass wir nach ihnen greifen können."
~
Schweigend sah ich hinauf zu den Sternen.
Ich hatte gelernt, dass Menschen nicht einfach so fliegen konnten, gleich recht nicht bis zu den Sternen. Das hatte noch niemand geschafft, denn es war schlicht und einfach unmöglich. Ein Stern war nichts, was man anfassen konnte. Schon weit davor würde man verbrennen.
Ein Windspiel hatte es auch nie gegeben, auch wenn ich mir manchmal so sicher gewesen war, dass ich es gehört hatte.
Und der Mond, wachte er wirklich über uns? Er umkreiste die Erde in 27 Tagen, bewegte selbst die größten Meere, doch was war mit uns?
Wenn du über uns wachst bei Nacht, Mond, was ist mit Mama? Wachst du auch über sie?
Ich beobachtete ihn, als hätte er meine stumme Frage gehört und würde mir nun antworten. Doch wie zuvor das Windspiel nur ein fantasievoller Gedanke gewesen war, so blieb der Mond ein Licht am Himmel.
Und ihr, Sterne? Ist Mama unter euch?
Ich suchte die Weiten des Firmaments ab, um einen Hinweis zu finden. Und, tatsächlich, da! Hell leuchtend flog eine Sternschnuppe durch die Nacht. Ich sah ihr hinterher und betrachtete die Stelle, an der sie verschwunden war.
Danke, Mama, war das einzige, was ich zu denken fähig war.
DU LIEST GERADE
𝐻𝑜𝒻 𝒹𝑒𝓈 𝐹𝓇𝒾𝑒𝒹𝑒𝓃𝓈
Spiritual»Fühle dich nicht einsam. Das gesamte Universum befindet sich in dir.« ~ Rumi 🙞 ⋆ 🙜 Wie fühlt es sich an, einen geliebten Menschen zu verlieren, wenn die eigene Welt plötzlich stehen bleibt, während sich die um einem herum einfach weiterdreht...