»LAVEA - MYSTERIÖSE SPUREN«

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Gauja-Nationalpark – 9:10 Uhr

Am Zielort eingetroffen parkte David in einer Parkbucht am Waldrand der Straße P14. Sie stiegen aus, nahmen alle Ausrüstung mit, die sie zum Wandern benötigten und gingen zu Fuß weiter.

Nach einigen hundert Metern, Richtung des Sees Driškins, entdeckte Lavea plötzlich Konturen von Wild, das sich, weit abseits, in einer Lichtung langsam auf sie zubewegte. Sie nahm das Fernglas und blickte hindurch. »Schaut dort«, flüsterte sie und zeigte auf zwei Rehe. »Ich will dieses Mal versuchen, mich so nahe wie möglich an sie heranzupirschen, ohne dass sie mich wittern.«

»Das versuch Mal«, antwortete ihre Mom. »Die werden dich schon schneller bemerken, als es dir lieb ist. Aber falls es dir gelingt, kannst du ja einen Song über die Begegnung mit ihnen schreiben«, ergänzte sie mit einem Schmunzeln. Kaum hatte sie es ausgesprochen, huschten sie tiefer in den Wald hinein.

»Komm, gehen wir dorthin«, sagte ihr Dad und zeigte in nordwestliche Richtung.

So schnell wollte sie aber nicht aufgeben. Sie liebte diese zarten Wesen und wollte sich so nahe wie möglich an sie heranpirschen, ohne sie zu verscheuchen. »Wir haben doch Zeit heute. Kann ich nicht ...«

»Okay«, unterbrach er sie und gab klein bei. »Schieß ein paar Fotos von ihnen und dann gehen wir aber in die andere Richtung. Bleib in Sichtweite.«

»Danke, Dad.«

»Aber pass auf dich auf. Nicht dass dir irgendein Bär über den Weg läuft.«

»Und denk an Inspiration für neue Songs«, sagte ihre Mom. »Du weißt, wir wollen einen geeigneten Ort für dein neues Musikvideo finden. Also bleib nicht zu lange.«

»Weiß ich doch Mom. Bären gibts doch hier nicht. Aber Rehe sind auch eine Inspiration, nicht wahr? Und die sind keine Raubtiere, Dad?« Sie lächelte ihm dabei schelmisch zu, weil sie sich keine Angst einreden ließ.

Ihre Adoptiveltern folgten ihr auf Sichtweite. Den Fotoapparat hielt sie griffbereit in der Hand und schlich sich langsam und vorsichtig an die scheuen Tiere heran. Es schien, als würden sie sie nicht wittern.

Noch etwa 50 Meter. Sie achtete auf herumliegende Äste, um nicht draufzutreten und sie womöglich aufzuschrecken. Sträucher und Geäst samt Laub versperrten ihr die Sicht und sie schob sie beiseite. Dann schlich sie langsam weiter auf sie zu, bis auf etwa 30 Meter. Die Rehe im Blick behaltend, ließ sie die Atmosphäre auf sich wirken, lauschte dem sanften Rascheln der Blätter in den Baumkronen. Dazwischen schienen einzelne Sonnenstrahlen hindurch und erreichten den Boden.
Dann schoss sie weitere Fotos. Auf einmal drehten die Rehe ihren Kopf in Laveas Richtung und starrten sie an. Die großen spitzen Ohren zeigten ebenso in ihre Richtung. Sie blieb wie angewurzelt stehen und ließ ihren Blick unauffällig auf den Boden sinken. Waren sie verunsichert, gestresst? Hoffentlich nicht.

Plötzlich entdeckte sie einen schwarzen Gegenstand, der vor ihr neben einem Baumstamm lag und wie ein merkwürdiges Fernglas mit Kopfbefestigung aussah. Während die Rehe gemächlich weiterfraßen, ging sie geduckt zu der Stelle, wo dieser Gegenstand lag. Was war das? Rötliche Schlieren am Glas und an der Halterung. Es war offenbar ein Nachtsichtgerät. Sie tupfte mit ihrem Zeigefinger auf die Farbe und roch daran. Das konnte Blut sein. Verunsichert, was das zu bedeuten hatte, sah sie sich um. Ein paar Schritte weiter befanden sich Ansammlungen von Fußspuren und aufgewühlte Erde. Dann wieder diese rötlichen Stellen, dieses Mal auf einem Holzstück. Das konnte nur Blut sein. Ihr wurde für einen Moment flau im Magen. Sie war hin und hergerissen. Normalerweise würde man diese Dinge nicht im Wald finden. Was sollte sie tun? Tiere oder der Spur folgen? Oder waren die Tiere die Spur? Einige Schritte weiter hafteten wieder Blutstropfen auf Laubblätter. Was machte es dann hier? Ein gerissenes Tier? Ein illegaler Jäger, der sein Nachtsichtgerät verlor? Hoffentlich hatte sich doch kein Bär hierher verirrt. Bei diesem Gedanken beschleunigte sich ihr Puls.

Vermisst - Jane DoeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt