(TRIGGERWARNUNG: DIESES KAPITEL WIRD DURCH DIE SCHILDERUNG VON TEILS VERSTÖRENDEN UND ZUSAMMENHANGLOSEN FRAGMENTEN IHRER VERGANGENHEIT IN EINEM SCHRECKLICHEN ALBTRAUM EINGEFÜHRT)
HOSPITAL RÎGAS 1. SLIMNÎCA – 23.01.2002 – 16:22 Uhr
Die Sonne scheint gleißend vom Himmel. Das Auto rast die Straße entlang. Ich schaue durch die Seitenscheibe. Weit und breit kein Gebäude, nur Felder und Wiesen, unterbrochen von breiten Waldabschnitten, die an mir vorbeirauschen. Vom Beifahrersitz eines Autos sehe ich, wie der Wagen plötzlich auf eine schmale und löchrige Straße direkt auf einen Feldweg zusteuert und langsamer wird. Aus einem dunklen Waldabschnitt treten zwei verhüllte Gestalten hervor, werfen einen schlaffen Körper auf den Boden und verschwinden wieder. Der Oberkörper liegt versteckt in hohem Gras, während der untere Teil des Körpers offen auf dem Feldweg zu sehen ist. Bewegungslos. Der Wagen stoppt. Ich blicke dem Fahrer ins Gesicht und sehe in ihm meinen Entführer. Meinen Peiniger. Ich schreie und zerre am Hebel. Er zieht eine Pistole und schießt mir in den Oberschenkel. Ich schreie vor Schmerz auf und sehe, wie Blut herausströmt. In Panik stoße ich die Beifahrertür auf. Er schubst mich heraus und zielt noch einmal auf mich. Ich drehe mich weg, er drückt ab und setzt mir einen Streifschuss am Kopf. Dann rast er davon.
Ich krieche weinend und stöhnend vor Schmerzen zu dem Körper, der nur ein paar Meter vor mir liegt. Im dunklen Waldstück stehen die zwei Gestalten und starren mich aus den Augenschlitzen des schwarzen Gewandes an. Ich bin nahe am Körper. Ein Mädchen. Sie krümmt sich in Embryonalstellung und stöhnt vor Schmerz. Die eine Hälfte des Gesichts liegt auf dem Boden. Die andere Hälfte wird von den kastanienbraunen schulterlangen Haaren überdeckt. Sie sehen aus wie meine. Ich streiche sie sanft zur Seite und nehme ihr Gesicht in die Hände. Dann schrecke ich zurück. Denn es war mein jüngeres Gegenbild in Menschengestalt. Die gleichen smaragdgrünen Augen. Sie flüstert »Geh. Lauf.« Ich drücke sie nur noch fester an mich. Als ich umherblicke, sehe ich, dass die zwei Gestalten verschwunden sind. Dann schrecke ich durch zwei Schüsse auf, humple blutend zum Waldrand und sehe, wie eine ältere Frau vor den zwei Gestalten steht. Sie wendet sich mir zu, tretet zur Seite und grinst mich an. Dann bewegt sie ihre Lippen und ich verstehe, dass sie sagt, »Hier deine Schwestern.« Ihre schlaffen, blutüberströmten Körper lehnen in sich zusammengesackt an einem Baum. Ich renne zu einer von ihnen, schreie und zittere. Neben ihr liegt eine Pistole. Ich greife nach ihr, drehe mich um und schieße auf die ältere Frau. Sie löst sich in Luft auf.
Dann liege ich neben meinem jüngeren Zwillingsmädchen auf dem Boden. Sie öffnet ihre Augen und starrt ins Leere. »Hey, stirb mir nicht weg«, sage ich zu ihr. Mir laufen die Tränen nur so über die Wangen. Sie kann nicht aufstehen. Ich drücke sie fest an meine Brust und schütze sie mit meinem ganzen Körper. Meine Finger berühren plötzlich etwas Glitschiges, und ich sehe, sie sind voller Blut. Ich ertaste zwei Einschusslöcher, eine in ihrem Rücken, nahe am Herzen, die andere seitlich über ihrer Hüfte. In diesem Moment schreie und wehklage ich über sie. Sie rührt sich nicht mehr, wie tot.
Einmal sehe ich über meine Schultern hinweg, weil auf einmal viele laute Stimmen zu hören sind und entdecke plötzlich hinter mir, dass auf der Weggabelung ein Gebäude steht, was sich vorher nicht dort befand. Es sieht wie eine Schule aus. Ein Auto fährt nahe an uns heran und schemenhaft sehe ich drei Personen aussteigen. Plötzlich steht ein Mann, eine Frau, und ein jugendliches Mädchen vor mir. Sie reichen mir die Hand und drängen mich, einzusteigen. Ich sage: »Nehmt sie mit«, und sie sagen »Wen?« Ich wende mich wieder um und zeige auf sie. Doch da ist niemand. Kinder strömen aus der Schule und ich sehe, wie meine Seelenverwandte aus Kindertagen mit einer Freundin auf dem Feldweg vorbeigeht, in die entgegengesetzte Richtung. Sie sieht mich nicht. Ich rufe ihr hinterher. »Jana! Jana!« Sie dreht sich kurz zu mir und sieht mich an, als wäre ich eine Fremde. Dann bleibt sie stehen und starrt mich lange Zeit an. Sie lächelt und schweigend geht sie dann weiter. Ich rufe ihr wieder hinterher, aber sie ist verschwunden.
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Vermisst - Jane Doe
Bí ẩn / Giật gânAuf der Suche nach Inspiration und einem geeigneten Drehort für ihr erstes Musikvideo, begibt sich die 15-jährige Lavea in Begleitung ihrer Adoptiveltern auf eine Wanderung in den Wäldern Lettlands. Unterdessen entdeckt sie zwei anmutige Rehe im Un...