Cēsis – Polizeirevier – 08. März 2002 – 10:00 Uhr
Amber atmete erleichtert durch. Sie brauchte sich nicht alleine den Ermittlern zu stellen. Marija, David und Lavea würden sie in der Reha-Klinik abholen und mit ihr ins Polizeirevier Cesis fahren.
Sie schob jegliche Schuldgefühle beiseite und wollte zuversichtlich wirken. Verschmolzen mit Amber, würde sie alle relevanten Fragen beantworten können. Wollte sie Fragen nicht beantworten, könnte sie sich darauf berufen, dass sie sich durch die Schussverletzungen nicht mehr an alles erinnern konnte. Außerdem war Amber noch sehr jung, als sie aus dem Elternhaus verschwand.
Die Temperatur sollte an diesem Tag auf zweistellige Pluswerte klettern und damit jeglichen Schnee zum Schmelzen bringen. Dazu hing noch Nebel in der Luft, sodass es ein trister Tag war. Ambers Gemütszustand würde sie bei 3-4 einschätzen. Das hatte sie von David gelernt. Einen derartigen Durchhänger zu haben, das war ein denkbar schlechter Zeitpunkt. Sie musste konzentriert und aufnahmebereit sein.
Nur noch einen Kilometer und ihre Hände absorbierten einen kalten Schweiß. Sie war nicht in der Lage, ihren Puls nach unten zu fahren, oder die zittrigen Finger zu beruhigen.
Ihre Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Zukunft standen auf dem Spiel. Wie sollte man da abgeklärt bleiben.
Sie fuhren in die Straße Bārzaines iela und hielten vor der Nummer 5 in einer freien Parkbucht. Der Eingang der Polizeistation Cēsis Municipality Municipal war nicht zu übersehen.
David rechts, Marija links, Lavea vor ihr und sie mittendrin. So standen sie eine Minute später vor der Eingangstüre.
***
Sie wurden freundlich begrüßt. Amber spreizte unauffällig ihre rechte Hand. Die Finger zitterten immer noch.
Es durfte nur eine Person Amber begleiten. Man entschied sich für Marija. David und Lavea blieben im Wartebereich, bis sie gegebenenfalls zu der Befragung hinzugezogen würden.
Eingeführt wurde es erst einmal mit einem Smalltalk. Die beiden Ermittler stellten sich ihr gründlich vor. Dann erkundigten sie sich über Ambers Wohlbefinden, wie sie sich im Moment fühlte und wie es ihr die letzten Wochen ergangen war.
Amber hielt ihre Antworten sachlich und knapp. Sie war auf dem Weg der Besserung. Auch berichtete sie über das Verhältnis zu Thomsens und das sie sich entschied, ihr Angebot anzunehmen und bei ihnen vorerst zu leben. Sie bot den Ermittlern an, dass sie sie duzen sollten, da sie sich im Grunde noch, wie eine Jugendliche fühlte. Sie nahmen das Angebot an.
Teilauszug der offiziellen Befragung Amber Reeds
Juris Broka: Erst einmal möchte ich sagen, dass das Gespräch freiwillig ist. Du kannst jederzeit das Interview abbrechen. Du bist nicht wegen einer Straftat bei der Befragung anwesend. Alles wird aufgezeichnet, sowohl Audio als auch Video. Ich merke, du bist ein wenig nervös. Das ist aber völlig normal, denn du kannst nicht wissen, was wir alles für Fragen stellen. Und du willst sicher alles richtig beantworten. Doch du weißt, wir beißen auf keinen Fall. Im Gegenteil, auch wenn wir einiges herausgefunden haben, wir sind bemüht, mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Du kannst uns dabei helfen. Uns liegt es sehr am Herzen, dass dein Vermisstenfall zügig und gründlich aufgeklärt wird und die Schuldigen, die sich noch auf freiem Fuß befinden, zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist auch zu deinem Guten, denn damit kann ein Kapitel in deinem Leben - zumindest juristisch - abgeschlossen werden und dann kannst du dich voll und ganz auf deinen Heilungsprozess konzentrieren.
John Nolan: Vielleicht fragst du dich, warum ich auch hier bin. Du musst auch wissen, dass dein Vermisstenfall der Kripo in Dublin etwas angeht, was ja deine Heimat ist. Mir ist dein Fall zugetragen worden. Aber natürlich auch den Ermittlern hier, da du ja hier in Lettland aufgetaucht bist und rechtlich keine Staatsbürgerschaft hast. Familie Thomsen hat in ihrer Großzügigkeit dafür gesorgt, dass du vorübergehend hierbleiben kannst, da sie die Vormundschaft für dich übernommen haben. Das habe ich so noch nie erlebt, dass ein Opfer in deinem Fall so aufgefangen wurde. Nebenbei bemerkt, sie haften für so gut wie alles, was du hier im Land anstellst. Aber sicher wirst du dich hier gut eingliedern und ihnen keinen Ärger bereiten.
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Vermisst - Jane Doe
Mystery / ThrillerAuf der Suche nach Inspiration und einem geeigneten Drehort für ihr erstes Musikvideo, begibt sich die 15-jährige Lavea in Begleitung ihrer Adoptiveltern auf eine Wanderung in den Wäldern Lettlands. Unterdessen entdeckt sie zwei anmutige Rehe im Un...