»FORTSCHRITTE«

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Wochen sind nun vergangen. Ich bin überrascht, dass die Ermittler immer noch nicht ihre Familie gefunden haben. Es ist immer noch nicht ihre Identität geklärt. Noch immer nennen wir sie Jane Doe. Auch aus dem Ausland kannte sie bisher niemand. Als wäre sie ein Phantom und ganz allein auf dieser Welt. Das war einerseits sehr traurig. Aber sie war ja nicht mehr allein, auch wenn sie es nicht weiß. Zumindest im Moment hat sie eine neue Familie. Meine Mom, mein Dad und ich sind ihre Familie. Nun liegt es an ihr, wach zu werden. Wir alle sehnen uns danach und warten auf sie, während wir ihr jetzt schon unsere Liebe zeigen.

Lavea, Monatsbuch, 13. Juni 2001

Ogre – Juli 2001

Lavea saß in ihrem Zimmer vor dem Schreibtisch und schrieb an einem ihrer Songs. In den letzten Tagen hatte sie einige vielversprechende Melodien entworfen und präsentierte es danach ihren Eltern. Sie gaben ihr einige Tipps, um an der Melodie etwas zu feilen. Alles in allem waren sie begeistert. Mit einem stolzen Lächeln nahm sie es zur Kenntnis.

Während des Mittagessens legte David eine Speisekarte des Vincents Restaurants neben Laveas Teller. Lavea war, wie so oft, mit den Gedanken woanders - wo wohl? - und blätterte es gedankenversunken durch, ohne bewusst wahrzunehmen, in was sie blätterte. Ihr Dad lachte und ihre Mom prustete plötzlich los. 

»Was? Warum lacht ihr?« Erst jetzt bemerkte sie, in was sie da blätterte. »Ach, ja das Vincents ... echt? Heute abend wieder?«

»Ja, heute abend ist es wieder Mal so weit«, sagte Marija. »Wir laden dich zu einem Dinner ein.«

Sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte. Das Thema, über was sie mit ihr reden wollten, würden sie ihr jetzt nicht verraten, daher hackte sie gar nicht erst nach. Aber wenn es nichts Besonderes wäre, dann würden sie es ihr nicht während eines Abenddinners erzählen wollen. Und sie hatten sie in der Vergangenheit nie zu einem Dinner eingeladen, um ihr dort eine traurige Nachricht mitzuteilen. 

»Danke für die Einladung. Ich freue mich immer sehr. Besonders, wenn es aus heiterem Himmel kommt ... Begleitet uns noch jemand?«

»Nein, das betrifft nur uns«, sagte ihr Dad. »Lass dich überraschen.«

***

Für das Abenddinner kleidete sie sich festlich und als sie im Vincents Restaurant angekommen waren, setzten sie sich an einen reservierten Platz in eine ruhige Ecke.

Nachdem sie – wie üblich – ein 3-Gänge Menü bestellt hatten, ließ Lavea sie mit einem erwartungsvollen Blick nicht aus den Augen. Wann würden sie ihr endlich enthüllen, um was es ging? 

Davids und Marijas Blicke trafen sich. »Ich sehe es Laveas Augen an«, sagte er. »Wir sollten ihr langsam unseren Entschluss mitteilen. Ich würde sagen, nach der Vorspeise?« 

»Ach Dad. Spann mich doch nicht auf die Folter.«

»Na gut. Dann schmeckt dir das Essen vielleicht noch besser.« Er wandte sich schweigend mit einem lächelnden Seitenblick an Marija und nickte kurz. Sie sollte es ihr erklären.

»Na ja. Dein Dad und ich haben uns nach eingehender Beratung entschieden, ab August vorübergehend Janes Vormundschaft zu übernehmen, wenn sich bis dahin nichts geändert hätte. Erst einmal so lange, bis ihre Angehörigen ausfindig gemacht werden. Das ist unser Plan. Nun wollten wir zuvor mit dir...«

»Natürlich will ich das, wenn ihr mich fragt«, unterbrach sie ihre Mom. 

»Na ja, wir wollten das erst Mal mit dir abklären«, sagte Marija. »Hatten wir uns aber schon gedacht, dass du dir das wünschst.«

Vermisst - Jane DoeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt