Vermisst - Jane Doe

»LEBEN 2.0«

Geliebte Schwester, mein Juwel, auch wenn uns dein Tod getrennt hat (ich war bei dir, als das Monster dir das Leben genommen hat), habe ich dich nie vergessen und unseren Schwur eingehalten, dich in mir zu tragen. Für uns beide wurde mir die Ehre zu Teil, von einer unfassbar liebevollen Familie gerettet und aufgenommen zu werden. Ohne, dass sie es wissen, haben sie auch dich gerettet und aufgenommen. Und jetzt fliegen sie mit mir über die Wolken zu dir. Heute berühre ich deine Fingerspitzen – Ich betrete die Eisfläche deines früheren Lebens und tauche ein in das Gebiet deiner Vergangenheit. Du bist bei mir. Du lebst in mir und ich liebe dich so sehr. Deine Geburtsurkunde werde ich in unser gelobtes Land, das zauberhafte Lettland, bringen und dort die Staatsangehörigkeit erhalten. Wenn alles gut geht, dann könnten wir sogar adoptiert werden. Heute wird offiziell das Leben 2.0 beginnen. — Deine Emy

Geplant war die dreitägige Reise vom 17. bis 19. September 2002 nach Dublin. Amber sollte noch ein wenig länger in dem Land verbringen dürfen, wo sie aufgewachsen war, als nur einen Tag. Überglücklich umarmte sie Lavea und küsste sie auf Stirn und Wangen, als sie ihr sagte, dass sie und ihr Dad nach Dublin mitfliegen würden. Marija hatte unverschiebbare Termine wahrzunehmen und blieb zu Hause. Schade. Gerade Marija hätte sie gerne an ihrer Seite gehabt.

Irland – Dublin – 17. September 2002

In Dublin eingetroffen, und aus dem Flugzeug gestiegen, atmeten sie erst einmal die frische irische Luft ein. Die irische See lag gerade einmal 10km Luftlinie entfernt. Das werden interessante drei Tage werden, dachte Amber.

Sie ließen sich von einem Meet & Greet-Service vom Flughafen abholen und baten, durch die Stadt gefahren zu werden. Während sie durch Dublin fuhren, stockte Amber der Atem. Das geschäftige Treiben Dublins war beeindruckend und doch sollte es auch eine entspannte Atmosphäre sein, wie ihre Schwester erzählte. Da war schon was los. Sie beobachtete Lavea, wie sie staunend die historischen Backsteinhäuser musterte. Verliehen sie der Stadt einen besonderen Charme und spiegelte die Architektur vergangener Jahrhunderte wider.

»Total ungewohnt, dass hier links gefahren wird, statt rechts, wie bei uns«, sagte Lavea.

»Und, wie fühlst du dich, deine Heimat wieder zu betreten, Amber?«, fragte David.

»Na ja, Mal sehen. Es weckt Erinnerungen und jetzt haben wir über zehn Jahre später. Eigentlich wollte ich nie mehr hier her. Übermorgen kann ich mehr sagen.«

»Schaut Mal, Amber, Dad, die bunt verzierten Eingangstüren. Blau rot, dunkelbraun. Tolles Markenzeichen der Stadt. Im Geschichtsunterricht haben wir auch Mal altertümliche Gebäude im viktorianischen und edwardianischen Stil durchgenommen«, sagte Lavea. »Dublin galt als Lehrbeispiel dafür. Wow, jetzt kann ich es einmal selbst live sehen. Dank dir, Amber.«

»Edwardianischer Stil? Das du das noch so weißt? Aber vielleicht werde ich auch davon etwas durchnehmen, wenn ich den Schulabschluss in Ogre oder Riga nachholen werde. Zumindest hab ich inmitten dieses Wissens gelebt. Oder eher meine...« Sie hielt inne. Wollte sie schon ihre Schwester nennen.

Lavea griff nach Ambers Hand und legte sie in ihren Schoß. Sie kreuzten ihre Finger. »Tut mir Leid, dass du das alles nicht in der Schule durchnehmen konntest.«

»Braucht dir doch nicht leidtun. Lavea, jeder hat seine Biografie und muss das beste daraus machen ... Aber ich verstehe dein Mitgefühl zu schätzen.«

***

Etwa 40 Minuten später erreichten sie das gemietete Hotel Number 31 Luxury Townhouse, Leeson Close Dublin 2. Diese Unterkunft, allseits beliebt bei Künstlern und Designbegeisterten, wurde als Oase der Ruhe angepriesen. Versteckt hinter einer hohen, mit Kriechpflanzen bewachsenen Wand im Herzen der Georgian Mile von Dublin. Genau das Richtige für sie.