Es ist Nacht, in seinem Gedankenpalast. Dunkelheit birgt das Ungewisse – das wiederum die Angst. Was Angst bewirkt, war ihm – dem Zeitgenossen – bereits klar. Aber da ist mehr, bedeutend mehr. Gedanken ziehen ihre Routen durch den Palast, ihr Zuhause, in Geschwindigkeit und Menge nur durch Physik begrenzbar. Aber hier herrschen andere Gesetze. Hier herrscht eine Präsenz, die von den größten Denkern der Menschheit nicht abgelehnt wurde; Die Seele. Diese Seele ist weise. Nicht etwa durch die Lehren der Ältesten, doch durch nichts Geringeres als die Erfahrung. Sie weiß um die großen Tragödien der Zeit. Liebe, Hass, Freiheit, Leben, Tod, Trauer und Euphorie. Gewiss sind es mehr, doch jeder kennt diese, nicht?
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Der Gedankenpalast ist ein sicherer Ort, nicht nur für die Seele, die ihn erbaute. Sie ist ein Ort der Erholung und der Ruhe. Hier darf alles seine Struktur behalten, es gibt keine Ausnahmen. Einer der vielen Gründe, der den Zeitgenossen zu einem Sympathieträger seines Zeitabschnitts macht. Er – und vor allem seine Seele – haben Verständnis für die alltäglichen und außergewöhnlichen Sorgen eines Zeitabschnitts, in dem sich eine Struktur bewegt. Und wenn es kein Wissen über jene Sorgen gibt, so hört man zu. Man sagt nichts, man sitzt da und hört zu. Lauscht den Worten, die Sätze formulieren. Sie geben Aufschluss über Strukturen, füllen den Palast mit weiteren Gedanken. So wird der Zeitgenosse zu einem Arsenal, einem Arsenal an...Sympathie.
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Er hält fest. Nicht erdrückend, einfach nur fest. So oft die Gedanken auch laut werden, so sind sie doch nur temporär. Zweifel – wer kennt sie nicht? Es scheint, als wären sie direkte Verwandte der Angst. Und doch hält er fest, umgeben von Angst und Zweifel. Es ist kräftezehrend, festzuhalten. Muskeln, die schmerzen. Zweifel schreien ihn an. Lass los, dann wird es leichter! Würdest du loslassen, wenn du versprochen hast, festzuhalten? Enttäuschst du jemanden, um dir einen Vorteil zu verschaffen? Um diese Last von dir zu lösen?
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Er hat das nie getan. So laut die Gedanken auch waren, so oft die Schreie von den hohen Decken und Wänden des Palastes zurückhallten; so oft hielt er fest, denn er gab ein Versprechen. Woran er festhält? Da ist so einiges. Das Leben, das ihm einst geschenkt wurde. Nicht jedes Geschenk ist eines der Freude, so auch nicht jedes Leben. Doch vor Respekt vor dem Geschenk wirft er es nicht weg. Er versprach sich selbst, vor dem Altar des Gedankenpalastes, sein Leben zu wahren so wie es ihm möglich ist. Solch ein bindendes Versprechen wiegt schwer. Aber es ist nicht das einzige Versprechen, das der Zeitgenosse dort ableistete. Er gab sein Wort, nicht einfach loszulassen, wenn mal ein Sturm aufzieht. Denn nichts ist für die Ewigkeit, außer die Seele eines Menschen. So sehr der Wind an ihm zehren vermochte, hielt er fest. Er versprach so manchem Menschen zu bleiben. Was das bedeutet? Wir werden es wohl nie erfahren.- Aus dem Leben eines Zeitgenossen, den Zeit nicht affektiert
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Aus dem Leben eines Zeitgenossen, den Zeit nicht affektiert
PoetryGeschichten und Gedanken eines Zeitgenossen, dem Zeit nichts anhaben kann