Angst. Kennt jeder, oder? Die nächste Klausur, das Outing, diese eine Nachricht – Angst ist allgegenwärtig. Jetzt stell dir mal vor, deine Angst ist dann da, wenn du sie am wenigsten gebrauchen kannst: immer. Wer in Angst lebt, lebt mit einem Konflikt. Einem ständigen Konflikt mit einem selbst. „Soll ich das jetzt tun? Aber was ist, wenn es schiefgeht? Es geht immer schief...". Nein, nicht immer, aber wer nach Fehlschlägen sucht, findet sie. Man könnte das Pessimismus nennen, aber das wäre kurzsichtig. Und Kurzsichtigkeit ist in dem Konstrukt, das wir allseits „Leben" nennen, eher nicht von Vorteil; Oder? Angst macht blind – blind für das Offensichtliche. Sie blendet die Augen, trübt die einst so rationale und realistische Wahrnehmung. Wenn die Sinne nicht mehr wie gewohnt arbeiten, bekommen wir Angst. Dunkelheit, Stille, Taubheit. Dinge, die uns ein ungutes Gefühl vermitteln. Ein Teufelskreis ist geboren. Angst kann nützlich sein, um aufmerksamer zu werden. So die Theorie der Evolution. Aber wovor sollten wir heute Angst haben? Vor einem Mammut gewiss nicht. Wir sind dennoch Kämpfer, auch wenn unsere Kampfmittel keine Speere mehr sind (hoffentlich nicht). Wer in Angst lebt, der Kämpft und ringt mit dem Gefühl von Angst. Man will sie nicht spüren müssen, sie schränkt einen nur ein. Also tritt man ihr entgegen, um sie zu besiegen. Doch was oft nicht klar ist: Angst nährt sich aus einem Ursprung, gegen den die Angst selbst wie ein kleiner Vogel in einem Schwarm voller Raubvögel erscheint. Das Trauma. Traumata sind in der Medizin in körperliche und seelische Traumata zu unterteilen. Körperliche Traumata können das Leben gefährden, aber einmal adäquat behandelt, besteht eine relativ hohe Chance auf Heilung und Genesung. Seelische Traumata sind höchst komplex, folgen keiner geraden Linie und Ihre Ursprünge sind nicht immer direkt zu erkennen. Das größte Problem: sie sind nicht SICHTBAR. Stumpfes Bauchtrauma ist simpel. Aber eine post-traumatische Belastungsstörung? Die ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Versuch mal einem Menschen mit einer PTBS ins Gesicht zu sehen und herauszufinden, dass er PTBS hat. Da kann ich auch gleich behaupten zu wissen welche die Lieblingsfarbe ist und das mit verbundenen Augen. Klingt schwachsinnig? Ist es auch. Traumata sind der Ursprung von tiefgreifender und unüberwindbarer Angst. Das ist nichts, dass man mit einer Wunderpille beheben kann. Das ist ein riesiger Berg an Arbeit. Schon mal ohne Training und Ausrüstung auf den Mount Everest geklettert? Ich auch nicht. Aber die Vorstellung allein ist irrsinnig. Und genauso fühlt sich es an, wenn man vor einem Trauma steht. Man kann nicht mehr zurückgehen, es gibt keinen Ausweg. Du kannst stehenbleiben oder vorwärts gehen. Den Berg kann man schließlich auch wegzaubern. Drogen können helfen, die harte Realität zu vergessen, aber die Realität verhält sich wie Schmerz. Sie verlangen beide gespürt und erlebt zu werden. Die Realitätskeule erwischt jeden, sie wird schließlich vom Leben geschwungen. Analog dazu schwingt die Sense, die der Tod mit sich bringt. Ein verhängnisvolles Spiel, dass wir Leben nennen. Ein Leben mit Angst, Traumata und ohne Aussichten auf reelle Chancen etwas besser zu machen. Glücklich sind jene, die keinen Berg vor sich haben. Aber die Sicht ist dadurch nicht besser. Der Mensch mit Trauma, mit Angst, hat gelernt im Nebel zu navigieren. Ein entscheidender Vorteil. Nebel ist rückwärts gelesen Leben. Ich lasse das jetzt mal so stehen...
- Aus dem Leben eines Zeitgenossen, den Zeit nicht affektiert
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Aus dem Leben eines Zeitgenossen, den Zeit nicht affektiert
PoetryGeschichten und Gedanken eines Zeitgenossen, dem Zeit nichts anhaben kann