Kapitel 23

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Ich brauchte ungefähr zehn Minuten, um zu meinem nur ein Stockwerk weiter oben gelegenen Übungsraum zu gelangen.

Mike genügte ein Blick auf mich, um eine Entscheidung zu fällen. „Wir verschieben unseren Unterricht auf ein anderes Mal. Jonathan scheint dich überfordert zu haben."

„Er war gar nicht da", schnaubte ich ungehalten. „Ihn überkam plötzlich das dringende Bedürfnis, von mir fortzukommen."

Mike runzelte die Stirn. „Er hat dich alleine trainieren lassen? Das ist aber nicht die feine Art. Ihm hätte bewusst sein müssen, dass Frischmagier dazu neigen, sich schnell zu übernehmen. Deswegen bekommen sie ja gerade einen Mentor an die Seite gestellt, damit dieser sie bei Bedarf zurückhalten kann."

„Tja. Ich denke, wir alle wissen, dass Jonathan nicht gerade der beste Lehrer ist."

„Man muss natürlich berücksichtigen, dass es sein erstes Mal als Mentor ist. Auch Mentoren müssen erst lernen, wie sie ihren Schützlingen den Unterrichtsstoff am besten beibringen."

„Nicht, indem sie mitten im Unterricht abhauen. Das sollte jedem klar sein."

„Ich bin ehrlich überrascht, dass er das getan hat. Jonathan ist vieles, aber nicht verantwortungslos." Ratlos kratzte er sich an der Stirn. „Ich sollte mal mit ihm sprechen."

„Ach, nein", nuschelte ich. „Schon in Ordnung. Ich komme zurecht." Der Gedanke, Jonathan könnte wegen mir Ärger bekommen, behagte mir nicht. Warum auch immer. Dieser Junge konnte mir schließlich gestohlen bleiben. „Trotzdem danke für das Angebot."

„Gut, wie du meinst. Aber wenn sonst irgendetwas mit Jonathan vorfallen sollte, kannst du dich jederzeit an mich wenden. Ich kann das sicherlich genauso gut regeln wie Herrn Kopenau und dann müssten wir ihn mit den Beschwerden gar nicht erst behelligen."

Ich blinzelte überrascht. „Du setzt dich ja ganz schön für Jonathan ein."

Mike zuckte seine massigen Schultern. „Ich kann mir nicht helfen, ich mag ihn. Auch wenn er schwierig ist."

Ich stieß ein Schnaufen aus, das meinem dröhnenden Schädel allerdings nicht sehr gut gefiel. „Damit gehörst du einer eindeutigen Minderheit an."

„Ich weiß." Er seufzte. „Das ist wahrscheinlich ein Teil des Problems. Die Leute lassen sich von Jonathans unterkühlter Art viel zu schnell in die Flucht schlagen. Wenn sich mehr Menschen die Mühe machen würden, hinter seine Fassade zu schauen, würde er vielleicht irgendwann bemerken, dass er menschliche Nähe nicht zu fürchten braucht." Er schaute mich traurig an. „Natürlich ist das hier in der Liga schwierig. Niemand hat Interesse daran, ausgerechnet Jonathan seine verzweifelten Ängste vor menschlichem Kontakt zu nehmen."

Ich konnte nicht anders. Ich musste lachen. „Sprechen wir von derselben Person? Jonathan soll Ängste vor menschlichem Kontakt haben?"

„Ja." Mike rollte sein Anschauungsplakat zusammen. „Warum sonst sollte er derart darauf erpicht sein, seine abweisende Haltung in jeder Lebenslage aufrecht zu erhalten?"

Mein Lachen verebbte. Jonathan war tatsächlich immer kurz angebunden. Ausnahmslos. Er gewährte mir nie, niemals, einen Einblick in seine Gedankenwelt. Seine ständige Unbeteiligtheit war ja gerade das, was mich an ihm nervte.

„Meinetwegen", willigte ich ein. „Vielleicht benimmt er sich aus Angst andauernd abweisend. Das ist allerdings keine Entschuldigung dafür, dass er mich erst als Strafe, dann als verabscheuungswürdig und heute noch als krankhaft neugieriges Mädchen ohne Ahnung von der großen, weiten Welt bezeichnet hat."

„Das hat er nicht getan."

„Oh doch!" Ich knickte ein. „Na ja, das mit der Strafe und dem Abscheu hatte ich missverstanden."

Spuk im KellerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt