Kapitel 20

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Vor meiner nächsten dienstäglichen Telekinesestunde beschwor ich in meiner Vorstellung erneut das Bild eines sich vor Schmerzen krümmenden Jonathans herauf. Das sollte ich immer tun. Es stimmte mich gleich viel positiver. Mit einem Lächeln auf den Lippen stieg ich aus dem Bus und lief die paar Häuser zum Sitz der Liga entlang.

Jonathan erwartete mich bereits im Zimmer Nummer 9. Meine Spiralfeder lag auf dem Tisch, er selbst kritzelte irgendetwas auf einen Block. Er schien zu diesen mir unverständlichen Menschen der stets überpünktlichen Sorte zu gehören.

„Hallo Jonathan", begrüßte ich ihn. „Sag's mir besser gleich: ist deine Stimmung so wunderbar wie beim letzten Mal?"

„Lass diesen Sarkasmus." Er deutete auf mein Folterwerkzeug. „Fang lieber damit an."

Meine gute Laune löste sich in Luft auf. Da half nicht mal mehr das entzückende Bild, wie ich ihm mitten in den Solarplexus trat. „Da ist ja jemand super aufgelegt." Kopfschüttelnd pflanzte ich mich auf meinen Stuhl. Wesentlich hatte ich in der letzten Unterrichtsstunde zu meiner Feder einen Zugang gefunden. Etwas, das ich von meinem Lehrer nicht behaupten konnte.

Ich versetzte mich in denselben Dämmerzustand, in dem ich mich in der letzten Unterrichtsstunde befunden hatte und sah auf die Feder hinab. Ich machte alles genau wie beim letzten Mal. Ich malte mir aus, wie ich sie berührte, sie hochnahm, über den Tisch rollte...

Wie schon bei meinen Versuchen zuhause bewegte sie sich kein bisschen. Absolut reglos ruhte sie vor mir auf dem weißen Tisch. Ich biss meine Zähne zusammen. Ich wusste, dass ich es konnte. Ich war auf dem richtigen Weg. Ich hatte die ganzen vergangenen Tage zuhause geübt. Warum bewegte sich dieses Scheißding also nicht?!

Ich strengte mich doppelt an. Ich starrte die Feder so hartnäckig an, dass sie eigentlich schon kraft meines Blickes über den Tisch fliegen müsste.

„Leg eine Pause ein", riss Jonathan mich eine Viertelstunde später aus meiner Konzentration. „Finde zu dir selbst zurück. Du bist nicht im richtigen Fokus."

Ich schnaufte. „Ich bin im richtigen Fokus."

„Warum bewegt sich die Feder dann nicht?"

„Wieso fragst du mich das? Du bist hier der Experte in Telekinese. Ach nein, ich vergaß! Dich interessiert dieser ganze Kram ja nicht. Dich interessiert nicht einmal, dass ich es vernünftig lerne! Das ist echt übel für einen Lehrer."

Ungerührt wandte Jonathan sich wieder seinen Notizen zu. „Mach eine Pause."

„Ich will keine Pause machen! Ich will dieses verdammte Ding zum Rollen bekommen."

„Das wirst du nicht schaffen, wenn du dich darauf versteifst. Du hast es schon einmal geschafft. Du kannst es. Entspann dich. Mach eine Pause." Den letzten Satz sagte er mit deutlichem Nachdruck.

Ich warf meine Hände in die Luft. „Okay! Mach ich eben eine Pause." Ich stand auf und tigerte zum gekippten Fenster hinüber. Eine Weile atmete ich die hereinströmende, frische Luft ein, dann kehrte ich auf meinen Platz zurück. Ich war fest entschlossen, es Jonathan zu zeigen. Ich würde diese Feder bewegen.

Er beachtete mich nicht weiter. Ich starrte meine Feder an. Wir hielten diese Positionen eine sich ewig hinziehende halbe Stunde durch. Kopfschmerzen zogen sich von meinem Nacken bis in die Stirn, aber ich ließ nicht nach.

Die Feder blieb still.

Ich knurrte.

Jonathan warf mir einen flüchtigen Blick zu.

Die Feder blieb still.

Ich setzte mich um, atmete tief durch und versuchte es ein letztes Mal. Das Ergebnis blieb dasselbe. Ich schlug auf die Tischplatte. „Es bringt nichts! Warum bewegt sie sich nicht mehr?!"

Spuk im KellerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt