Kapitel 60

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„Scheiße!", fluchte Jonathan. Er tat irgendetwas, jedenfalls sank der undurchdringliche Nebel plötzlich als verschwommene Schatten auf den Boden. Mein Mobiliar wurde wieder sichtbar, genauso wie Geist 2.

Nina ergriff das Nächstbeste, was sie erreichen konnte. Eine Nagelfeile. Auf gut Glück schleuderte sie sie quer durch den Raum. „Tu was, Jonathan", kreischte sie. „Wirf irgendetwas auf ihn!"

Das plötzliche Loch in seinem Oberarm scherte Geist 2 kein bisschen. Mit ebenjenem Arm stieß er Thomas beiseite, der auf ihn zugestürmt war. Mein Geist krachte gegen die Backsteinwand. Sein Kopf löste sich in Nichts auf.

„Thomas!" Ächzend hievte ich mich auf die Beine. Sternchen tanzten vor meinen Augen, aber ich ignorierte es. „Lass meine Freunde in Ruhe, Bernd. Das hier ist eine Sache zwischen dir und mir." Ich wankte zu Thomas, um neben ihm in die Knie zu gehen.

„Dann hättest du deine Freunde nicht mitbringen dürfen!" Zornbebend schwebte Geist 2 inmitten des Raums. Ein unheimliches Glühen ging von ihm aus. Ich krallte mich in Thomas' kalten Arm. „Ich werde diese Demütigung nicht länger tolerieren! Ich werde es nicht hinnehmen, dass du mich einsperrst. Ich habe einen freien Willen. Ich habe nicht viel, aber meinen Willen habe ich noch. Du wirst mich nicht länger davon abhalten, ihn auszuleben." Er fletschte seine Zähne. Das war die einzige Warnung, die ich bekam, bevor er sich auf mich stürzte.

Fluchend hechtete ich zur Seite. Ich landete einen Meter weiter mit Wucht auf meinem linken Handgelenk. Die Erschütterung sandte einen Schmerzensblitz durch meinen Kiefer. Stöhnend schaute ich mich nach Geist 2 um, während Jonathan über mich hinwegsetzte. Blind holte er zu einem Kinnhaken aus. Er traf sogar, allerdings nicht Geist 2's Kinn.

Er durchschlug dessen Hals.

Geist 2 erstarrte. Dort, wo normalerweise seine Kehle saß, befand sich plötzlich ein klaffendes Loch. Bewegungslos schwebte er neben mir. Der auf dem Boden liegende Nebel versickerte.

„Du hast ihn erwischt", informierte ich Jonathan schwer beeindruckt.

Missmutig kam er zu mir und half mir auf die Beine. Rasch zog ich ihn ein Stück von Geist 2 fort. „Guter Treffer", flüsterte ich. Süßer Triumph erfüllte mich, weil er ausgerechnet Geist 2's Kehle getroffen hatte. Dieses unschöne Erlebnis gönnte ich ihm, wobei leider bereits dichter Heilnebel aus dem Loch quoll. Er würde nicht viel länger kehlenlos sein.

Ich focht mit Jonathan ein Gerangel darüber aus, wer wen hinter sich schieben durfte. Jonathan gewann. Dummkopf. Er konnte den Geist nicht einmal sehen. Schnaubend linste ich hinter seinem Rücken hervor.

Geist 2 bewegte sich immer noch nicht. Nur seine Augen richteten sich auf mich. „Wenn du es auf diese Weise haben willst...", er klang wegen des Kehlkopfverlustes recht undeutlich, „dann kannst du es auf diese Weise bekommen. Du wirst mich niemals dazu bringen, in die Nachwelt überzutreten, kleine April. Du hast keine Chance." Er löste sich in Luft auf.

Hastig löste ich meine Hände aus Jonathans T-Shirt. „Du wirst nicht einfach vor meinen Augen verschwinden! Komm auf der Stelle zurück!"

„Hnnn dehh", stöhnte Thomas verzweifelt. „Hinn..."

Etwas Hartes prallte gegen meinen Hinterkopf. Neue Sterne explodierten in meinem Schädel. Stöhnend sank ich gegen Jonathans Rücken.

„Nimm deine Hände von meiner Nichte!" Man bemerkte es sofort, als Nina ihre Telekinese einsetzte. Anstatt Geist 2 zu erwischen, erfasste ihre Magie allerdings nur die Möbelstücke des Raumes. Meine Lichterkette flog von der Gardinenstange. Die vom Nebel gelöschten Kerzen sprangen wie Flummis vom Schreibtisch hoch. Knarzend setzte sich der Schreibtischstuhl in Bewegung. Ich hörte Jonathan ein schmerzerfülltes Zischen ausstoßen, als er gegen sein Schienbein schlug.

Spuk im KellerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt