Kapitel 1 - Miles

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Mai - New York City, USA

Wie jeden Morgen klingelt mein Wecker um 5 Uhr. Müde, aber trotzdem motiviert schleife ich mich aus dem Bett und betrete das Badezimmer, das direkt an mein Zimmer angrenzt. Das helle Licht brennt in meinen Augen und ich brauche einen Moment, um mich daran zu gewöhnen. Der Rest meines Morgens ist Routine- Zähne putzen, Sportsachen anziehen und in das Fitnessstudio unseres Gebäudes gehen. 

Es ist bereits 7 Uhr, als ich frisch geduscht mein Zimmer betrete. Erst jetzt sehe ich den Stapel von Unterlagen, die mein Vater gestern Abend noch auf meinem Schreibtisch platziert haben muss. Interessiert blättere ich durch sie hindurch und erkenne darin hauptsächlich Belege, die ich noch in die Datenbank meines Unternehmens eintragen muss. Mit einem Seufzen klappe ich meinen Laptop auf und mache mich an die Arbeit, lieber mache ich mir jetzt die Mühe, als dass ich später doppelt so viel Aufwand habe. Weil ich schon einmal dabei bin, antworte ich auch auf meine neuesten Emails und aktualisiere das Inventar des Onlineshops, den ich betreibe. 

Etwa eine halbe Stunde später höre ich Teller in der Wohnung klappern und beschließe, die Arbeit erst einmal zu beenden und stattdessen mit meinem Vater zu frühstücken. Schnell werfe ich mir ein Hemd über und trete aus meinem Zimmer. Schon im Flur kommt mir der leckere Geruch von gebratenen Eiern und Gewürzen entgegen und ich erreiche mit einem Lächeln im Gesicht die Küche. 

"Guten Morgen." begrüße ich meinen Vater, der mit dem Rücken zu mir an der Herdplatte steht. Erschrocken dreht er sich um, entspannt sich aber wieder, als er mich im Türrahmen erkennt. "Guten Morgen. Hast du die Rechnungen gesehen, die ich dir hingelegt habe? Die kamen gestern mit der Post an." Ich nicke und lasse mich auf einen Stuhl neben der Kücheninsel fallen. "Schon erledigt." 

Anerkennend zieht mein Vater die Augenbrauen nach oben und verteilt dann das Rührei auf zwei Teller. "Denk bitte wieder an deine Work-Life-Balance. Percy hat mich gestern bei unserem Abendessen nochmal daran erinnert." 

Genervt stöhne ich und ziehe einen der Teller vor mich, um zu essen. Percy ist der Life und Businesscoach, den mein Vater vor einigen Monaten angestellt hat. Durch ihn habe ich viel Neues gelernt und konnte mein Unternehmen deutlich weiterentwickeln, aber er hat sich dabei mit meinem Vater angefreundet und jetzt verbringen die Beiden ihre Zeit hauptsächlich damit, über mich und mein Leben zu reden.

 Diese Woche bestehen sie darauf, dass ich mir neue Hobbys außerhalb meiner Arbeit und der Schule suche, damit ich 'Stress abbauen kann und mich nicht anhand der Ergebnisse meiner Arbeit messe'. 

"Ich hab Sport gemacht, reicht das nicht?" frage ich mit einem gereizten Unterton und stochere in meinem Essen herum. Seufzend lässt mein Vater sich neben mir nieder und sieht mich an. "Das ist schonmal ein guter Anfang, aber Percy hat dir doch erklärt, wie wichtig soziale Aktivitäten sind. Du hast das ganze Schuljahr noch nichts mit deinen Mitschülern unternommen." "Ich sehe sie doch jeden Tag im Unterricht, das reicht mir." murmele ich und stelle meinen leeren Teller in den Geschirrspüler.

 Dann hole ich mir einen Energydrink aus dem Kühlschrank und fische mir einen Schlüssel von dem Haken neben unserem Esstisch. "Ich bin in der Bücherei. Bin wahrscheinlich nicht zum Mittagessen da."

 "Miles." Sofort ist der lockere Tonfall meines Vaters verschwunden und er trägt dieselbe Autorität wie in seinen Meetings. "Wenn du bis heute Abend keine Verabredung mit jemandem hast, werde ich mir etwas überlegen. Du kannst dich nicht von allen abschotten, nur weil du dich auf deine Karriere konzentrieren möchtest. Du hast noch genügend Zeit für Arbeit, wenn du erwachsen bist." 

Zweifelnd drehe ich mich um und verlasse die Küche mit einem "Ich find schon was.". 

Versuchen werde ich es nicht einmal. Mein Vater hat mir so etwas schon viel zu oft angedroht, um mich noch schocken zu können. Er sagt immer nur, dass es Konsequenzen geben wird, aber dann ist er doch wieder so auf seine Arbeit konzentriert, dass er es vergisst und ich einfach weitermachen kann. Ich habe das Gespräch schon wieder ausgeblendet, als ich nach einer Viertelstunde Gehen an der Bücherei ankomme.

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