Kapitel 9

233 14 2
                                    

Keaton's POV

Hätte ich bei mir Zuhause gefragt, ob ich beim Kochen mithelfen könnte, hätte meine Mom wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen. Ich durfte mir morgens ja nicht mal meinen Orangensaft selber eingießen, da würde ich garantiert auch kein Messer oder eine Pfanne kriegen.

Bei Alex war es anders. Nachdem wir unsere Hände gewaschen hatten, hörte ich wie Claire und Alex in den Schränken rumkramten und alle möglichen Sachen rausholten.

"Was wollen wir eigentlich kochen?" fragte ich und stützte mich an der Arbeitsplatte ab.

"Ich hab da an Lasagne gedacht, ich hoffe du magst Pferd," scherzte Alex' Mom und brachte mich zum Lachen.

Lasagne klang gut, sehr gut sogar.

"Alles klar, ich schneide die Tomaten für die Soße und du pürierst das Ganze danach, einverstanden?" fragte Alex.

Ich nickte. Ich selber würde mir auch ungern ein Messer geben. Ich war mir zu einhundert Prozent sicher, dass ich mir in die Finger schneiden würde. Beim pürieren konnte ja nicht allzu viel schief gehen.

Es klappte ganz gut. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Pürierstab, bekam ich es dann doch hin ohne zu kleckern. Alex half mir zuerst, in dem er meine Hände nahm und mir zeigte, wie ich es anstellen sollte.

Ich hörte das Brutzeln der Pfanne, Claire briet das Hackfleisch.

Alex schnitt Knoblauch und Zwiebeln, das konnte ich mehr als deutlich riechen. Schließlich drückte er mir eine Packung Lasagneplatten in die Hand.

„Darf ich deine Hand führen?" fragte er.

Ich nickte lächelnd, ehe er mit seiner anderen Hand meine steuerte und sie auf die Auflaufform legte.

„Du musst bei mir nicht immer nachfragen. Wenn ich weiß, dass du es bist, ist es in Ordnung."

„Okay, danke. Ich glaube es passen drei oder vier Scheiben in die Form. Du kannst sie schon mal reinlegen," sagte er.

Ich öffnete die Packung. Claire fing an, irgendein Lied zu summen, und Alex stieg gleich mit ein. Es dauerte etwas, bis ich das Lied erkannte. Es kostete mich etwas Überwindung, aber auch ich fing schließlich an die Melodie zu summen, während ich mir Mühe gab, die Lasagneplatten gerade in die Form zu legen.

Alex und Claire stapelten das Hackfleisch und die Soße, während ich immer wieder die Platten drauflegte. Ganz zum Schluss wurde Käse verstreut und dann kam das Ganze in den Backofen.

"Das hat doch super geklappt!" freute sich Claire und schien alles was wir benutzt hatten in die Spülmaschine zu räumen.

"Es hat Spaß gemacht," gab ich zu.

Auf einmal spürte ich eine Berührung an meinem Bein. Ich kniete mich hin und streichelte Kit ein paar Male.

"Jetzt müssen wir ein bisschen warten. Ich rufe euch, wenn das Essen fertig ist," sagte Claire.

"Komm, wir können in mein Zimmer gehen," sagte Alex.

Ich stellte mich wieder aufrecht hin und ließ mich von Alex aus der Küche führen. Wir gingen eine Treppe nach oben und irgendwann ließ Alex meine Hand wieder los, schloss die Tür und führte mich zu seinem Bett, auf das ich mich setzte.

"Danke, es hat Spaß gemacht mal zu kochen," sagte ich noch einmal.

Alex setzte sich neben mich. "Kochst du mit deinen Eltern nicht?" fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich darf das nicht. Es ist zu gefährlich, ich könnte mich verletzen oder aus versehen die Küche in Brand stecken."

"Ach Unsinn, du hast das heute echt super hinbekommen, außerdem kann es quasi jedem passieren, dass man Sachen anbrennen lässt oder sich in den Finger schneidet."

Ich nickte. "Da hast du recht. Aber meine Mom ist da etwas überfürsorglich. Manchmal nervt es mich," sagte ich. "Deswegen hat es heute umso mehr Spaß gemacht. Du und deine Mom behandeln mich nicht so, als wäre ich aus Porzellan." Es fühlte sich anders – besser – an, wenn man ganz normal behandelt wurde.

"Naja, es gibt in erster Linie auch keinen Grund dich vollkommen anders zu behandeln. Du kommst gut zurecht," sagte Alex.

Ich musste mit den Schultern zucken. "Es war nicht immer so..." murmelte ich. "Als ich mit 10 Jahren eines morgens aufwachte und ins leere Nichts gesehen habe, bekam ich Panik. Ich weinte, fiel aus meinem Bett und war in meinem Zimmer völlig orientierungslos. Meine Eltern haben Stunden gebraucht, bis ich mich beruhigt hatte. Mehrere Monate lang kam ich kaum aus meinem Zimmer und ging weder zur Schule, noch sonst wohin. So verlor ich all meine bisherigen Freunde. Es... es war ein sehr weiter und harter Weg bis hier hin."

Dieser Teil meines Lebens war bislang immer etwas, was ich anderen nie gerne verriet, beziehungsweise anvertraute. Doch bei Alex fiel es mir leichter. Ich wusste nicht wieso, aber Alex war besonders.

"Das... tut mir leid zu hören."

"Danke, das bedeutet mir viel."

Danach wechselten wir das Thema. Alex mochte Musik genau so gerne wie ich. Er verriet mir, dass er früher sogar mal Gitarrenstunden genommen hatte, aber irgendwann damit aufhörte. Alex tippte auf seinem Handy rum und kurze Zeit später ertönte die Stimme von George Taylor.

"Ist nicht wahr, du kennst Roses?" fragte ich erstaunt, da George Taylor nicht unbedingt zu den berühmtesten Sängern gehörte.

Alex musste lachen. "Du bist der Erste, der ihn auch kennt. Roses ist mein Lieblingslied," sagte er.

Ich lehnte mich ein Stück zurück, sodass ich mich mit meinen Ellenbogen auf dem Bett abstützen konnte.

"Come follow me down mag ich auch sehr," sagte ich und so entstand eine lustige Diskussion über Songs die wir beide entweder liebten oder hassten. Was die Musik anging, hatten wir viel gemeinsam. Es machte Spaß, mich mit jemand anderem als meinen Eltern oder meinem Bruder zu unterhalten.

Während all diese Lieder leise im Hintergrund liefen, ich der Stimme von Alex lauschte, vergaßen wir die Zeit.

"Essen ist fertig, Jungs!" rief Claire von unten und zeitgleich standen Alex und ich auf.

Unten angekommen schob Alex like-a-gentleman einen Stuhl zurück, auf den ich mich setzen konnte.

Claire schnitt die Lasagne und schien dabei ein wenig Schwierigkeiten zu haben. "Ich muss mir unbedingt neue Topflappen kaufen," schimpfte sie gespielt verärgert. Ich hörte, wie sie anfing zu pusten.

Das Essen schmeckte hervorragend. Die Sache mit dem Blindsein, war jedoch, dass vernünftig essen nicht immer klappte. Manchmal fiel mir etwas von der Gabel oder an meinem Mund kleben. Heute war das nicht anders. Es war mir peinlich, doch weder Alex noch Claire sprachen es an.

Lediglich ein kleines "Du hast da was," kam von Alex, ehe ich nach einer Serviette tastete und mir über mein Kinn wischte. Erneut wurde ich rot und murmelte ein kurzes "Danke."

Wir unterhielten uns über alles Mögliche. Claire konnte es sich nicht verkneifen Kindergeschichten von Alex zu erzählen, die Alex versuchte schönzureden oder Claire zu überreden, damit aufzuhören.

Obwohl es lustige Geschichten waren, wurde Alex' Vater von keinem auch nur mit einem Wort erwähnt. Ich wollte nicht fragen, denn es lag auf der Hand, dass sie getrennt lebten – was auch immer der Grund dafür war. Es ging mich nicht wirklich etwas an.

Nach dem Abendessen saßen wir alle auf dem Sofa, Kit hatte seinen Kopf auf meinen Bauch gelegt und ließ sich streicheln. Sein Fell war weich und kurz, ab und zu spürte ich seinen Atem an meiner Hand.

"Wie spät ist es?" fragte ich nach einiger Zeit.

Alex schien sich zu strecken, wahrscheinlich um einen Blick auf die Uhr werfen zu können. "Gleich neun Uhr," sagte er.

Ich schluckte. "Ich sollte meine Eltern anrufen, so langsam müsste ich nach Hause."

"Quatsch, ich fahr dich, du wohnst bestimmt nicht weit weg," sagte Alex schnell.

Wenn ich ehrlich war, war mir Alex lieber, als meine Eltern.

Maverick wird ihnen wahrscheinlich erzählt haben, was er von Alex hält, doch wie gesagt: es war mir egal, weil ich wusste, dass Alex eben nicht so war.

Aus anderen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt