Kapitel 29

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Maverick's POV

Am Dienstag Nachmittag, als ich alleine von der Schule nach Hause kam, herrschte unangenehme Stille im Haus. Keaton würde erst am späten Nachmittag nach Hause kommen. Ich würde ihn wahrscheinlich von der Schule abholen.

Mom saß in der Küche und blätterte in der Zeitung, während links daneben die laufende Kaffeemaschine das Einzige war, das Geräusche von sich gab.

Dad hatte sich in seinem Büro eingeschlossen, doch auch von dort kam nicht ein Mucks.

„Ich bin wieder da!" rief ich durch den Flur.

Mom hob ihren Blick und schenkte mir ein kurzes Lächeln, ehe es wieder verschwand und sie ihren Blick zurück auf die Zeitung richtete.

Es reichte mir. Ich war alt genug um endlich zu erfahren, was hier eigentlich los war. An einem Abend gingen sie zusammen aus, am nächsten Tag war Dad bis in die Nacht am Arbeiten und jetzt schwiegen sie sich an?

„Mom," sagte ich mit ernster Miene und setzte mich zu ihr an den Tisch, nahm ihr die Zeitung aus den Händen und veranlasste sie damit, mich anzusehen. „Was ist los? Sogar Keaton merkt, dass hier irgendwas gewaltig falsch läuft und ich möchte wissen was. Bitte verheimlicht es uns nicht."

Mom blieb einen Augenblick still. Dann stand sie auf und verließ die Küche.

Oh nein, so nicht. Nicht nochmal, nicht ohne auch nur irgendeinen Ton zu sagen.

„Mom!" rief ich und lief ihr hinterher, ins Wohnzimmer. „Rede mit mir!" verlangte ich und blieb hinter ihr stehen. Sah, wie sie ihre Schultern hängen ließ und sich umdrehte.

„Du weißt, dass ich dich und deinen Bruder über alles liebe, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um das alles zu besprechen. Ich verspreche dir, dass ich euch beiden alles erklären werde."

Ich schüttelte mit dem Kopf. „Es geht seit Wochen so! Denkst du ich höre euch nicht streiten, wenn Dad nachts um halb eins von seiner Praxis nach Hause kommt, oder wenn ihr euch mit dem Arsch nicht anguckt, wie genau jetzt gerade auch? Was soll ich denn dann denken? Nehmt ihr Drogen, hat Dad seinen Job verloren? Ich weiß es nicht und es kotzt mich an, dass hier niemand in diesem Haus ehrlich ist!" brüllte ich, doch als ich realisierte, dass ich meine Mom angeschrien hatte, verstummte ich. „Wie viel Zeit hast du noch?" spuckte ich ihr regelrecht entgegen, ehe ich mich umdrehte und die Treppe hochstampfte.

Mom versuchte nicht mich aufzuhalten. Mit einem Knall flog meine Zimmertür ins Schloss. Frustriert schmiss ich mich aufs Bett und starrte solange an die Decke, bis mein Handy vibrierte. Erst ein Mal, dann zwei Mal.

Ich sah auf das Display. Mein Kumpel Cameron hatte mir einen Link geschickt.

Darunter schrieb er: „Moin Alter, ist das nicht dein Bruder?"

Von der Neugier gepackt öffnete ich den Link, der auf Harry's Instagram Seite führte. Mir wurde auf einmal kotzübel, während mein Handy viel zu lange brauchte um das Foto zu laden. Was hatte Harry jetzt schon wieder getan? Ich schwor bei Gott, irgendwann würde ich ihm die gottverdammte Nase brechen!

Als das Foto geladen hatte, hielt ich meinen Atem an. Zu sehen waren Alex und Keaton. Sie schliefen eng aneinander gekuschelt auf einem der Betten in den Holzhütten. Ich konnte mich daran noch gut erinnern, da ich vor einem Jahr selber auf diesen Betten geschlafen hatte.

Alex hielt meinen Bruder im Arm, während ein sanftes Lächeln auf den Lippen beider lag.

Ich wusste von Anfang an, dass Alex für Keaton mehr als nur ein Freund war. Umso mehr freute es mich, dieses Bild zu sehen. Mein kleiner Bruder hatte sich verliebt und ich wäre der Letzte, der etwas dazu sagen würde, nur weil es ein Junge war in den er sich verliebt hatte. Auch wenn es Alex war und ich mit ihm nicht gerade den besten Start hatte.

Mit der aufkommenden Freude für meinen Bruder kam auch Wut. Wie konnte Harry es wagen so ein Foto öffentlich im Internet zu posten? Es war etwas Privates zwischen Alex und Keaton.

Mein Blick huschte über die Kommentare.

„Süß"

„Ist das Keaton Hale?"

„Hahaha schaut euch die mal an!"

„Wie kann sich ein Blinder überhaupt verlieben?"

„Sehr erwachsene Aktion von dir, Arschloch."

Es standen noch unzählige weitere Kommentare darunter, der Post hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet.

Unkontrolliert ballte sich meine Hand zu einer Faust. Ich würde Harry dafür sowas von die Nase brechen, darauf konnte er Gift nehmen.

Mein Blick fiel auf die kleine digitale Uhr meines Handys. Keaton würde bald wieder an der Schule eintreffen. Ich hievte mich also vom Bett und ging nach unten. Ohne ein Wort zu sagen, zog ich mir Jacke und Schuhe an und verließ das Haus; machte mich zu Fuß auf den Weg zur Schule.

Der Bus mit den Schülern ließ nicht mehr lange auf sich warten. Mit meinem schlecht gelaunten Blick suchte ich die Menge die aus dem Bus kam nach Harry ab. Er würde hier und jetzt eins auf die Fresse bekommen. Doch er kam nicht.

Die letzten die aus dem Bus ausstiegen waren Alex und Keaton. Keaton hatte einen hochroten Kopf und Alex flüsterte ihm irgendwas zu, was ihn zu beruhigen schien.

Schließlich setzte ich mich in Bewegung und schritt auf meinen Bruder zu.

„Hey ihr," begrüßte ich die beiden. Ich hatte irgendwie das Verlangen, meinen Bruder zu umarmen. Ich tat sowas eigentlich selten, auch wenn wir meistens ein sehr enges Verhältnis hatten. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass er das jetzt gebrauchen könnte.

Noch bevor Keaton antworten konnte, zog ich ihn in eine lange, feste Umarmung.

Keaton japste kurz erschrocken auf, legte dann aber seine Arme um meinen Rücken.

„Hey...?" antwortete er schließlich verwundert, als er sich aus der Umarmung gelöst hatte.

„Wie war's?" fragte ich, obwohl ich mir schon denken konnte, dass es wegen Harry wohl nur halb so toll war wie erhofft.

„Ich bin froh, wieder hier zu sein," wich er meiner Frage aus.

Ich wusste was das hieß. „Wo ist Harry?" fragte ich, immer noch bereit ihm eine reinzuhauen.

„Er wurde heute Morgen von seinem Vater abgeholt," erklärte nun Alex kurz.

„Was ist passiert?" verlangte ich zu wissen.

Alex erklärte mir die Kurzversion, dass Harry Keaton in den See geschubst hatte und Alex ihn da rausgezogen hatte.

„Ich werd ihm die Nase brechen, das ging deutlich zu weit. Wo genau wohnt er?" Ich war wütend. Niemand würde ungestraft davonkommen, wenn er meinem Bruder so etwas antat.

„Ich denke, dass musst du nicht."

Verwirrt blickte ich zu meinem Bruder. „Was soll das denn heißen?"

„Alex hat ihm die Nase schon gebrochen."

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ungläubig zu Alex. Dieser hob mit einem leichten Grinsen seine rechte Hand. Die Rötungen und Flecken an seinen Fingerknöcheln waren deutlich zu erkennen.

„Oh wow... Sein Gesicht hätte ich nur zu gerne gesehen. Hat er geheult?" fragte ich neugierig und empfand auf einmal deutliche Genugtuung. Harry hatte bekommen was er verdiente.

„Wie ein kleines Baby," kommentierte Alex.

Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. „Cool."

Aus anderen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt