Kapitel 2

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Ben

Bens Finger spielten mit der Computer-Maus auf seinem großzügigen Schreibtisch. Seine dunklen, immer etwas zu langen Haare waren verwuschelt, seine blauen Augen blitzten. Er hatte heute viele Ideen in den Plan für die neue Grundschule einarbeiten können, hatte sich Zeit lassen können, war zufrieden mit dem, was er geschafft hatte. Nadja war auf Fortbildung, er hatte sturmfreie Bude, sozusagen.


Was bei ihm hieß, er konnte so lange arbeiten, wie er wollte. Sonst versuchten sie beide, wenigstens zum Abendessen zu Hause zu sein.
Sie waren seit sechs Jahren verheiratet, glücklich verheiratet. Er führte ein erfolgreiches Architekturbüro, sie war Anwältin. Finanziell hatten sie keinerlei Probleme, sie verstanden sich gut, hatten dieselben Interessen. In der Stadt waren sie  waren als harmonisches Ehepaar bekannt.

Gut, beim Sex haperte es ein bisschen, aber Nadja war nie der leidenschaftliche Typ gewesen. Einmal pro Woche war ihr auch in der Anfangszeit genug gewesen, mittlerweile war daraus einmal im Monat geworden - wenn er Glück hatte.

Manchmal hatte er versucht, mit ihr darüber zu sprechen, wie sie mehr Spaß an der Sache haben könnte, was sie gerne wollte, was sie vermisste. Aber sie hatte alle Gespräche abgewürgt. „Aber Ben! Sex ist doch nicht alles! Wir lieben uns doch!" hatte sie gesagt.
Nun, er sah es ein wenig anders, für ihn gehörte Sex durchaus zur Liebe.

Um kurz vor acht Uhr bekam er Hunger, er machte sich auf dem Weg zum Imbiss. Es war noch hell in dieser warmen Sommernacht, die letzten Läden schlossen gerade, lachende, zufrieden aussehende Menschen, viele mit Einkaufstüten, drängten sich in den engen Gassen der Altstadt. Ihre gute Laune steckte ihn an.

Er liebte den Sommer in der Stadt. Lang war es her, dass er ihn so hatte genießen können. Nadja war nicht sehr unternehmungslustig.

Schließlich hatte er den Imbisswagen auf dem kleinen Platz erreicht.

Vor ihm an der Theke stand eine blonde, langhaarige Frau. Sie schäkerte mit dem Besitzer, hatte eine angenehme Stimme - und eine mehr als angenehme Figur.
Ein schöner Po füllte die enge Jeans aus, eine schmale Taille. Ihre Haare waren eine Pracht.
Darin würde ich schon gerne mal wühlen! dachte er und lächelte bei diesem Gedanken.
Gut! Träumen durfte auch ein verheirateter Mann.

Er war gespannt auf ihr Gesicht. Dann drehte sie sich um und sah seine Blicke, die auf ihr klebten.

Wow! Ein hübscheres, nein, ein schöneres Gesicht hatte er noch nie gesehen. Zwei große graue Augen, eine perfekte Nase, ein wunderschöner Mund.
Sie lächelte ein bisschen kokett, warf die Haare nach hinten.
Er lächelte ziemlich dümmlich, suchte nach Worten, fand nur ein einziges: „Hunger?"

„Nein! Ich gehe jetzt Enten füttern!" antwortete sie schlagfertig und wippte davon.
Ja! dachte er. Sie wippt wirklich. Jeder Schritt zeigt pure Freude am Leben.

Der Kioskbetreiber grinste ihn an. „Schönes Mädchen, oder?" fragte er.

„Hm!" antwortete Ben und grinste zurück. „Wohnt sie hier in der Nähe?" Er hatte keine Ahnung, warum er das gefragt hatte.
„Ein paar Straßen weiter, mit ihrem Freund. Aber das ist ein Idiot. Sie möchte hin und wieder einen Burger, aber er zieht sie immer weiter!"

Ben gab lächelnd seine Bestellung auf.
Eine verwandte Seele! dachte er.
Er stand auch auf dieses Imbiss-Zeug, Nadja verabscheute es.
Sie hatte das ganze Wochenende vorausgekocht, eingefroren, damit er nicht verhungerte, während sie weg war.

Aber irgendwie war es ihm vorgekommen, als hätte sie nur einen Grund gesucht, sich dem Abschiedsfick zu entziehen, den sie ihm versprochen hatte. Er hatte extra nochmal geduscht, sich eingecremt, doch sie war dann zu kaputt gewesen.
Mensch, Ben! Heute bist du aber böse! schalt er sich selbst.

Im Büro schlug er sich den Bauch voll. Er konnte es sich erlauben, er hatte immer noch dasselbe Gewicht wie als ganz junger Mann. Regelmäßiges Training im Studio sorgte auch für die entsprechenden Proportionen.
Nadja hatte schon ein paar Kilo zugelegt.
Da! Schon wieder diese spitzen Gedanken gegen seine Frau! Was war denn los mit ihm?

Er arbeitete noch zwei Stunden weiter. Die Büroräume waren menschenleer, die Ruhe tat gut. Kein Telefon klingelte am Empfang, keine Diskussionen von Kollegen drangen in sein Büro, niemand brauchte seinen Rat, eine Unterschrift, eine Entscheidung.

Es ging schon auf elf Uhr zu, als er Schluss machte, seine langen Beine streckte, seinen etwas verspannten Nacken rieb.
Das war angenehm gewesen, einen Arbeitsschritt abzuschließen und nicht abbrechen zu müssen, um pünktlich zu Hause zu sein. Wozu auch jeden Tag? Um dann gemeinsam vor dem Fernseher einzuschlafen?
Aber eine Ehe braucht gewisse Rituale!" behauptete Nadja immer.
Klar! Aber ja keine im Bett! dachte er bitter und wischte sich übers Gesicht.
War er denn wirklich so unzufrieden?
So unglücklich?
Warum brach das alles heute so urplötzlich auf?

Auf dem Weg zum Parkhaus, in dem er einen Dauerstellplatz gemietet hatte, kam er an dem Studentenclub vorbei, in dem sie sich kennengelernt hatten. Lange war er nicht mehr hier gewesen.
Komisch, dass die Club-Besuche immer mehr eingeschlafen sind, seit sie ein Paar geworden waren.  Dabei bewegte er sich noch immer gerne zu Musik, hätte auch gerne wieder mal mit seiner Frau engumschlungen getanzt.

„Ben! Lass doch den Kinderkram! Wir sind doch keine 20 mehr!" hatte sie bei seinem letzten Versuch gemeint.

Sollte er mal reinschauen? Wahrscheinlich ließ ihn der Türsteher gar nicht durch, wegen Überschreitung der Altersgrenze.

Doch der bullige, tätowierte Typ machte keine Anstalten, ihn aufzuhalten.
Die Lautstärke nahm Ben kurz den Atem, die Bässe dröhnten in seinem Bauch. Angenehm war, dass die Luft nicht mehr rauchgeschwängert war wie zu ihrer Zeit.
Die wechselnden Leuchtdioden machten ihn ein wenig schwindlig.
Na, ja! Diese Ära war wohl für ihn wirklich vorbei.

Trotzdem ging er an die Theke und bestellte sich ein Bier. Das Mädchen, das bediente, zwinkerte ihm zu. „Dich hab ich ja hier noch nie gesehen!" flötete sie  brüllend.

„Als ich das letzte Mal hier war, warst du in der Grundschule!" schrie er zurück.
War das früher auch so laut hier? dachte er. Konnten wir uns damals nur brüllend versichern, wie verknallt wir waren?

Da sah er sie.
Die schöne Frau, die am Imbiss vor ihm gestanden hatte. Jeans und Hemd hatte sie gegen ein knappes schwarzes Etwas von Kleid eingetauscht. Die Highheels machten ihre Beine endlos, die blonde Mähne schwang beim Tanzen um ihren perfekten Körper.
Er sah sich nach ihrem Freund um, aber niemand schien wirklich zu ihr zu gehören. Ein paar von den jungen Typen tanzten sie an, sie blieb ein paar Takte bei ihnen, löste sich wieder, drehte sich allein weiter zur Musik, genoss es sichtlich, sich zu bewegen.


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