Kapitel 3

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Ben und Lea

Lea fühlte sich wohl wie schon lange nicht mehr. Die Musik kribbelte in ihrem Körper, die Jungs machten sie an, ließen sie spielen mit ihnen.

Allerdings gefiel ihr keiner, so vom Äußeren her. Es mochten ja ein paar nette Kerle dabei sein, aber optisch war keiner der Burner.

Die Kerle wussten echt nicht, was frau gerne sah.
Diese Hipsterbärte! Mein Gott, sahen die denn nicht mal in den Spiegel? Hatten die keine Kumpels, die sagten: „Hey, du siehst scheiße aus!"?

Oder diese glatt geschorenen Köpfe!
Diese hochgegelten Haare!
Und die Klamotten erst. Trainingshosen, bei denen die Naht in den Kniekehlen hing.
Ausgeschnittene Shirts, die aussahen, als hätten sie sie der Schwester geklaut.
Und die Figuren. Hatten alle Fitnessstudios in der Stadt geschlossen?

Entweder knochendürr oder mit Bierbauch.
Da war ja Oliver direkt ein Sahnestückchen gewesen.

Wo waren die gutaussehenden Kerle denn? Hier auf jeden Fall nicht.

Sie wusste schon, dass sie sehr kritisch war. Aber heute hatte sie Lust darauf zu lästern. Wenn auch nur in Gedanken. Vielleicht war sie auch ein wenig verletzt von Olivers Verrat? Dass er ausgerechnet Dolly ihr vorgezogen hatte?

Wollte es der Männerwelt ein wenig heimzahlen?

Da sah sie ihn. Den Typen vom Imbiss, der nicht mehr als „Hunger?" herausgebracht hatte.
Den Typen, der schon heiß aussah!
Also Student war das keiner mehr.
Was der wohl hier machte?
War sein Frauchen weggefahren?
Hatte er Ausgang?
Sollte sie ihn anmachen?
Sehen, wie treu er war?
Sie ritt heute der Teufel.

Aber schließlich hatte Dolly ihr auch den Typen ausgespannt.
Den Typen, den du eigentlich abservieren wolltest! rief sie sich zur Vernunft.
Aber da stand sie schon vor ihm, der lässig an den Tresen gelehnt stand, die langen Beine in den tollen Jeans überkreuzt, die Ellbogen aufgestützt, so dass seine Muskeln so richtig zur Geltung kamen.

Er schien sie nicht aus den Augen zu lassen.
„Na? Satt geworden?" fragte sie, sah ihn offen an.
„Ja, danke! Und die Enten auch?" Er erinnerte sich also an sie.
„Den ersten ist schlecht geworden, dann habe ich alles selbst gegessen!" gab sie zurück, wich seinem Blick nicht aus.
„Ah! Eine echte Tierfreundin! Opfert sich für ein paar Wasservögel!" konterte er. Seine blauen Augen klebten an ihren dunkelgrauen.

„So bin ich!" versicherte Lea. „Und du?"
„Ich hab's eigentlich mehr mit den Menschen!" Die Unterhaltung machte ihm Spaß. Er merkte gar nicht mehr, dass sie gebrüllt stattfand. „Tanzt du mit mir?" fragte er dann mutig.
Lea war verwundert über diese Frage. Kein Mensch tanzte mehr mit jemandem! Man tanzte, traf sich, trennte sich wieder.
Sie sah sich suchend um. „Ja! Ist grad keine Ente da! Also, ein Erpel, meine ich!"

Ben lachte. Das Mädel war echt gut drauf!
Er führte sie doch tatsächlich zur Tanzfläche.
Lea war platt. Hoffentlich machte er keinen Diener vor ihr!

„Ich heiße übrigens Ben!" brüllte er ihr ins Ohr.
„Ich nicht!" brüllte sie zurück.
„Na, das ist schon mal gut!" schrie er.
Lea sah ihn verwundert an. Den Spruch hatte sie schon oft losgelassen, aber immer nur Verständnislosigkeit geerntet.

Er war der erste, der gut gekontert hatte. Die Unterhaltung gefiel ihr immer besser.
Er hielt sie bei allen Songs locker im Arm, gab sie bei den schnellen Nummern nicht frei, zog sie aber auch bei den langsamen nicht an sich.
Er tanzte mit ihr wie ein Vater mit seiner Tochter.

Doch er sah sie anders an.
Sein Blick wanderte an ihrem Gesicht entlang, weiter nach unten, blieb kurz an ihrem Dekolleté hängen, ging weiter nach unten.

Sie wusste nicht recht, wohin mit ihren Händen. Seine lagen locker auf ihren Schultern, sie hätte ihre auf seinen Rücken legen können, aber ihre Arme waren zu kurz, sie hätte ihn an sich ziehen oder die Hände auf den Hüften ablegen müssen, was ihr aber beides seltsamerweise etwas übergriffig vorkam.
Ben bemerkte ihr Dilemma. „Du kannst mich ruhig anfassen!" brüllte er und grinste sie an.
„Okay!" schrie sie.

Ganz wie du willst! dachte sie, umfasste seine Hüften und krallte ihre Finger in seine Rückenmuskeln.

Kurz zuckte er zusammen, sein Rücken war sehr erogen. Er hatte gar nicht mehr gewusst, wie erogen.
Zwangsläufig kam sein Becken auch ihrem sehr nahe, und er wollte doch einen gewissen Abstand einhalten. Es wäre ihm etwas unangenehm gewesen, wenn sie seine Erregung gefühlt hätte.
Zum Glück gab es eine Tanzpause. Ben wusste nicht, warum er den Arm um ihre Taille legte, es geschah automatisch.

Irgendwie konnte er sie nicht loslassen, nicht jetzt schon.
Natürlich werde ich allein nach Hause gehen.
Natürlich werde ich Nadja nicht betrügen.
Natürlich werde ich nichts mit dem schönen Mädchen anfangen.

Natürlich will ich sie küssen.
Natürlich will ich sie nah bei mir in meinen Armen fühlen.
Natürlich möchte ich mit ihr schlafen.

Was hatte er gerade gedacht?
Nein! Nein!
Er würde jetzt gehen!
Schnell!
Ganz schnell!

Sie standen in einer Ecke. Die Musik war noch immer leise gedreht. Er streichelte ihr Gesicht, zart, zärtlich. „Du bist schön!" sagte er leise.
Seine Lippen senkten sich zu ihren.

Er hoffte, sie würde den Kopf wegdrehen, würde ihn von sich schieben. Dann würde nichts geschehen.

Er hoffte, sie würde ihren Kopf etwas zu ihm bewegen, würde sich an ihn lehnen. Dann könnte er ihren Mund erforschen.

Als ihre Lippen sich berührten, als seine über ihre glitten, sie streichelten, immer wieder an ihnen saugten, als seine Zunge zu ihrer glitt, als sie miteinander spielten, als das Spiel immer leidenschaftlicher wurde, hoffte er nur noch, dass die Zeit stehen bleiben würde.

Er wollte nichts mehr, als mit diesem schönen Mädchen, von dem er noch nicht einmal den Namen wusste, in dieser Ecke stehen und sie küssen.
Doch dann musste er eine Pause machen, um Atem zu holen.
„Ich heiße übrigens Lea!" brüllte sie gegen die Musik an, die wieder eingesetzt hatte.
„Schön! Das ist besser als Ben!" brüllte er zurück.
„Kommt auf den Standpunkt an! Mir würde es nicht gefallen, wenn du Lea heißen würdest!" schrie sie.

Der Scherz hatte ihn ein wenig runtergebracht.
Er musste es schaffen! Er musste nach Hause. Allein!
Ein Kuss war nicht so schlimm, war noch kein Betrug an Nadja.

„Ich sollte jetzt gehen!" schrie er.
„Ich auch!" schrie sie.
Nein! brüllte sein Verstand.
Ja! brüllte sein Körper.

Er ließ sie los. Er durfte sie nicht mehr im Arm halten. Sie würde das verstehen. Und wenn nicht, war es auch nicht schlimm. Er würde sie nie wieder sehen.

Lea verstand. „Ist deine Frau verreist?" fragte sie vor der Türe, froh, dass eine Unterhaltung in normaler Lautstärke möglich war.

Dieses Mal wich er ihrem Blick aus. „Ja! Eine Woche auf Fortbildung!"
„Du brauchst dir wegen mir keine Gedanken machen. Ich habe ja dich angemacht. Mir war heute ein bisschen nach Spielen zumute, weil ich meinen Freund in die Wüste geschickt habe." sagte sie relaxter, als sie sich wirklich fühlte.

Ben lächelte sie dankbar an.
Klar!
Sie war ein Mädchen von heute.
Ein modernes Mädchen.
Ein Kind ihrer Zeit.

Da nahm man das mit dem Verlieben, dem Anmachen, dem Verknallen nicht mehr so ernst.
Da hatte man Lust zu spielen.



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