Kapitel 7

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Ben genoss in Gedanken versunken das ungesunde Essen. Ein paar Tage noch, dann würde er brav zu Eintopf und anderem Selbstgekochtem zurückkehren.
Zu Nadja und seinem Eheleben.

Dann würde er auch das pulsierende Leben in der sommerlichen Stadt gegen den Fernsehapparat eintauschen.
Vielleicht konnte er aber auch daran arbeiten, wieder etwas Schwung in das Leben mit Nadja zu bringen?
Vielleicht konnte er sie überreden, wieder etwas lebendiger zu werden.

Er würde es versuchen.

Er musste es versuchen.
Wegen einer Nacht würde er seine Ehe nicht beenden.

Zu viel verband ihn mit Nadja.

Er hörte die jungen Menschen um sich herum lachen und sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
Etwas musste sich ändern.

Auch sie musste ihm ein paar Schritte entgegenkommen.

Er wischte sich mit einer Hand über sein Gesicht, um die unzufriedenen dunklen Gedanken zu vertreiben.

Als er wieder hochsah, blickte er direkt in ein paar dunkelgraue Augen. Sein Herz raste los.

War er bewusst oder unbewusst wieder hierher gekommen?
Oder sie?
Lea?

Seine Hände zitterten etwas, sein Magen zog sich zusammen.

„Hunger?" fragte er leise, und das deja-vu brachte sein Herz zum Klopfen.
Sie nickte, schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.
„Ich teile gerne mit dir!" bot er an.
Sie nickte wieder nur - die Worte waren vollkommen weg aus ihrem Kopf - und kam an seinen Tisch.

Dann fütterte er sie wie zuvor in seinen Tagträumen. Er strich mit dem Daumen über ihre weichen Lippen, küsste Öl, Mayo und Ketchup weg, wurde sich bewusst, dass es hier und jetzt Wirklichkeit geworden war. 

Es war das Erotischste, was er je erlebt hatte. Er war hart, dass es schmerzte, er konnte kaum atmen vor Verlangen.
Aber wenn er jetzt nachgab, war es kein einmaliger Ausrutscher mehr. Dann hatte er eine Affäre.
Und er wollte kein Ehemann sein, der eine Affäre hatte.

Doch sie presste sich an ihn, als die letzte Fritte verspeist war. „Schenk mir eine Nacht, Ben!" flüsterte sie. „Dann sind wir quitt!"
Und trotz seiner guten Vorsätze war er im Augenblick nicht der Mann, der ihr das verweigern konnte.

Wie zwei Nächte vorher erreichten sie das Stadthaus mit wundgeküssten Lippen und wackligen Knien. Lächelnd zog er sie mit in die Apotheke, heute waren sie deutlich früher hier. Die junge Helferin erkannte den gutaussehenden Mann, hielt ihm eine Zehnerpackung hin. „Vorsichtshalber?" fragte sie frech.

Ben grinste nur und bezahlte. Die ausgetretenen Stufen des alten Patrizierhauses schienen kein Ende zu nehmen.
Dann endlich war die schwere hölzerne Wohnungstüre aufgeschlossen, ins Schloss getreten worden. Und es erschien Ben als das Normalste der Welt, dass er Lea noch einmal fühlen, fühlen, fühlen konnte.

Während er unter ihren Berührungen stöhnte und beinahe kam, ahnte er, dass er sehr wohl ein Ehemann sein würde, der eine Affäre hatte.

Eine Affäre mit einem viel jüngeren Mädchen, dem schönsten Mädchen der Welt.
Er würde zu dem Typ Mann werden, den er immer verachtet hatte.
Er würde eine bezaubernde Geliebte haben, weil er nicht mehr zurückkonnte und auch nicht wollte.

*

Die Nächte, die ihnen noch blieben, verbrachten sie zusammen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Es erschien ihnen so selbstverständlich, dass er nach der Arbeit zu ihr kam.

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