Kapitel 15

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Eine Woche später las Nadja die Zeitung. Ben hatte Mia gebadet, gefüttert, gewickelt, sie hübsch angezogen. Er hatte jede Menge Anziehsachen gekauft, alles wunderschöne, teure Sachen. Da war er wieder einmal so etwas wie glücklich gewesen, als er mit den Verkäuferinnen über seine Tochter gesprochen hatte.

Er war so zweigeteilt, so zerrissen!
Er freute sich so unglaublich über dieses Kind, kein Vater hätte mehr als er empfinden können.
Auf der anderen Seite hatte er eine solche Lebensangst.

Er hatte keine Ahnung, ob er das Leben an Nadjas Seite aushalten würde, seiner Tochter zuliebe. Und immer wieder kam ein Gedanke in ihm hoch: Du hast nur ein Leben! Wenn es vorbei ist, bekommst du keine zweite Chance!
Er war mittlerweile 35, er hatte noch viele Jahre vor sich, in denen er glücklich sein könnte.

Nun trug er also die Kleine an seiner Schulter, während sein Vaterherz raste und die unbeteiligte Mutter Zeitung las. Ihr Morgenrock konnte ihre Massen kaum verhüllen. Ben wandte den Blick ab.

Auf einmal begann Nadja zu lachen. „Da ist am selben Tag wie deine Mia ein Benedikt auf die Welt gekommen! Benedikt Trattoni! Was für ein klingender Name! Mutter Lea Trattoni! Wohl ein uneheliches Kind!"

Bens Herz blieb stehen, raste los, setzte aus. Sein Magen verkrampfte, Galle stieg hoch, vor seinen Augen flimmerte es.
Er riss ihr das Blatt aus den Händen, suchte nach den paar Zeilen. Da stand es schwarz auf weiß! Lea hatte einen Sohn bekommen!
Seinen Sohn?
Natürlich!
Benedikt!
Das war doch kein Zufall.

Er drückte ihr Mia in die Arme, Nadja protestierte wie Mia, aber er hörte es nicht mehr. Er war schon durch die Türe.
Wie ein Verrückter raste er durch die Stadt. Vor Leas Haus hielt er mit quietschenden Reifen an, ließ den Wagen einfach im absoluten Halteverbot stehen.
Er hechtete die Stufen hoch, läutete Sturm. Ein Kinderwagen stand vor der Türe.

Wie will sie den denn die Treppe hinunterbringen? dachte er blödsinnigerweise.

Ein junger Mann öffnete, der ihm vage bekannt vorkam.
„Hallo Ben!" begrüßte der ihn, und er erkannte ihn. David, Leas Tutor, der einmal ein paar Wochen in seiner Firma für seine Doktorarbeit recherchiert hatte.
„Was machst du hier?" fuhr er ihn an. Sein Herz hatte sich zu einer Erbse zusammengezogen vor Angst.

„Ich kümmere mich um deinen Sohn, du Idiot! Er braucht so was wie einen Vater!" antwortete David. „Aber jetzt kann ich ja gehen." Er schob Ben in die Wohnung und verließ das Haus.

Lea saß am Tisch. Sie war im Bad gewesen, als es geläutet hatte und hatte nichts von dem Überraschungsbesuch mitbekommen.
Als sie sich zu David umdrehte, fiel ihr die Kaffeetasse aus der Hand.
Ben!
Ben stand in der Türe, sah sie ungläubig an. „Wo ist er?" flüsterte er. „Wo ist mein Sohn?"

„Im Arbeitszimmer. Er ist gerade eingeschlafen!" antwortete sie leise, versuchte zu atmen, versuchte zu verstehen.

Hatte David ...?

Leise öffnete Ben die Zimmertür, schlich zu dem Bettchen und sank überwältigt auf die Knie. In dem hübschen Schlafsack lag das zweitschönste Wesen, das er je gesehen hatte.
Sein Sohn!
Sein und Leas Sohn!

Mit einem seligen Lächeln drehte er sich zu ihr um.
„Berlin?" fragte er nur, weil er sich an die Nacht erinnerte, als sie vor lauter Hunger nacheinander das Kondom vergessen hatten. Sie hatten sich eingeredet, dass schon nichts passiert sein würde.

Und wenn, wäre es auch keine Katastrophe! hatte Ben damals gedacht.
Da hatten sie tatsächlich dieses wunderbare Kind gemacht, und er hatte keine Ahnung davon gehabt, weil er sich auch nicht gekümmert hatte, weil er es vergessen hatte! Weil er ein noch größeres Arschloch war, als er bisher zugegeben hatte.

Lea, die Liebe seines Lebens, hatte alleine seinen Sohn bekommen, weil er sich davongemacht hatte - und sie hatte ihn auch noch Benedikt genannt, nach seinem Taufnamen.
Was für ein Mädchen, was für eine Frau!
Ob sie ihm je verzeihen würde? Verzeihen konnte?

Der Weg ... wohin?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt