Kapitel 25

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Lea wachte irgendwann aus schrecklichen Träumen auf.

Schweißnass, mit rasenden Kopfschmerzen.

Sie fasste nach rechts, wollte Bens Körper und Nähe fühlen, wollte dass er den Spuk in ihrem Kopf vertrieb. Doch ihre Hand griff ins Leere.
Er wird sich um die Kinder kümmern! dachte sie und versuchte, noch ein paar Minuten in den Schlaf abzudriften.

Doch ein Gedanke schoss in ihr Bewusstsein. Die Kinder!

Weg!
Ihre Kinder!
Abgeholt!
Benedikt!
Mia!

Ihr Herz raste, ihr Magen verkrampfte sich, Galle stieg in ihr hoch.

Sie strampelte sich von der Bettdecke frei, raste ins Wohnzimmer.
David lag auf dem Sofa, den Nacken ziemlich verbogen, unter einer Wolldecke.
Und sie wusste, ihr Albtraum entsprach der Wirklichkeit.

Schluchzend sank sie auf den schmalen Platz neben ihm. Er schrak hoch, seine Träume waren nicht viel besser als ihre gewesen.
„Das ist alles nicht wahr, oder?" flüsterte sie.

David zog sie in seine Arme. „Doch! Leider! Wir konnten damit nicht rechnen. Mit so viel Bosheit!" antwortete er heiser. „Aber wir werden kämpfen."

Lea sah sich um, wusste, dass das vollkommen verrückt war, jetzt den Zustand des Wohnzimmers zu kontrollieren.
„Ich muss aufräumen!" Ihre Stimme schien ihr nicht zu gehören, klang vollkommen fremd in ihren Ohren. „Wenn die Frau zurückkommt."

David hielt sie fest, zwang sie, ihn anzusehen. „Das ist jetzt nicht wichtig. Wir müssen uns einen Anwalt suchen, der diesen Wahnsinn wieder hinbekommt." Er streichelte ihren Kopf, um sie zu beruhigen.

Es hatte eine Zeit gegeben, als er schwer verliebt in die junge Frau neben ihm gewesen war. Er hatte gelitten, gehofft, manchmal sogar gebetet. Doch das war vorbei. Sie war seine Freundin und Ben sein Freund. Die beiden und die Kinder waren seine Familie – und er war zufrieden und glücklich mit der Situation.

Es läutete an der Türe, Lena zuckte zusammen. Doch es waren ihre Eltern, die mit einem reichhaltigen Frühstück angekommen waren.

Papa Stefano verzog sich in die kleine, noch ziemlich chaotische Küche, schaltete die hochmoderne Kaffeemaschine ein, die er Lea und Ben letztes Weihnachten geschenkt hatte.
Sein italienisches Vaterherz ertrug im Augenblick den Anblick seiner Tochter nicht, die blass und mit rotgeweinten Augen auf dem Sofa saß. Alles Leben schien aus ihr gewichen zu sein.

Er blinzelte gegen die Tränen an, die schon wieder laufen wollten. Lea brauchte seine Stärke, nicht seinen Kummer. Sein Leid brachte sie nicht weiter, sein Mitleid auch nicht.

Betont zuversichtlich kam er mit einem duftenden Cappuccino für David und Lea zurück, seine Frau hatte schon den Tisch gedeckt.

„Jetzt wird erst einmal gefrühstückt, dann rufen wir einen Anwalt an. Ich habe heute Morgen schon ein wenig herumtelefoniert, habe ein paar Nummern bekommen." verkündete er und sah zufrieden das kleine zuversichtliche Leuchten in Leas Augen.
Dass er als erstes beim Jugendamt angerufen hatte, einen ordentlichen Aufstand gemacht hatte, verschwieg er lieber.

Die Vorgesetzte Frau Schnells hatte zwar ziemlich cool reagiert, hatte ihm aber auch sehr direkt klar gemacht, dass er als Nicht-Erziehungsberechtigter keine Auskunft einfordern konnte. Dennoch hatte sie ihm ein paar Anwälte empfohlen, die sich seines Anliegens annehmen konnten.

Mit Mühe und Not schaffte es Lea, ein paar Bissen hinunterzuwürgen.

Mit einem Ohr lauschte sie immer, ob sich eines ihrer Kinder meldete. Als sie sich selbst dabei erwischte, zog sich ihr Herz wieder zusammen.

Stille!

Nichts als Stille drang aus dem Kinderzimmer.

Sie musste sich zwingen, um nicht aufzustehen, nachzusehen, über die Kissen in dem leeren Bettchen, zu streichen, den Duft der Babys einzuatmen, der sicher noch in der Luft hing. Wichtig war es jetzt, einen klaren Kopf zu behalten.
Sie hatte einen Kampf zu führen, doch sie hatte Unterstützer, hatte Hilfe.

Ben hatte diese Vorzüge nicht, er war allein Nadja ausgeliefert, das war ihr schon klar. Doch er war bei Mia, was sie sehr beruhigte.
Nachdem alle etwas zu sich genommen hatten, zogen sich Stefano und David zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Am wichtigsten war, Benedikt zurückzuholen.
Stefano würde es übernehmen, den Anwalt anzurufen, den Frau Dr. Strettmann ihm als erstes genannt hatte.

David versuchte, Ben anzurufen, doch sein Handy schien ausgeschaltet zu sein.

Wahrscheinlich hat das Mistvieh ihm sein Smartphone abgenommen, dachte er. Er würde zu Bens ehemaligem Zuhause fahren, um sich zu vergewissern. Benedikt war gut untergebracht, das beruhigte ihn und auch Lea.

Der Anwalt, den Stefano überraschenderweise schnell an die Strippe bekam, hörte sich die Geschichte ruhig an, ohne ihn zu unterbrechen. Bei dem Namen Nadja Knüppers kamen unerfreuliche Erinnerungen in ihm hoch. Das war doch dieses unsympathische, von sich selbst so überzeugte Anwältin, die ihn auf der letzten Fortbildung so genervt hatte.

„Ich werde die nötigen Schritte schnellstmöglich einleiten!" versprach er dem aufgeregten Großvater.

Nach dem Gespräch wählte Dr. Kai Neubert sofort die Nummer von Dr. Henriette Strettmann.

*

Ben hatte unruhig geschlafen, so unruhig wie Mia. Die Kleine vermisste sicher ihren Bruder ebenso sehr wie ihre eigentliche Mutter Lea.

Mit dem Gefühl, unglaublich gealtert zu sein, wälzte er sich von dem unbequemen Nachtlager hoch, holte liebevoll seine Tochter aus dem für sie ungewohnten Bettchen.

„Bald sind wir wieder zu Hause!" flüsterte er in den duftenden Haarflaum.
Nadja stand im Türrahmen, beobachtete mit einem süffisanten Lächeln die kitschige Szene.

„Ach Gottchen! Wie herzzerreißend!" ätzte sie. „Wenn du dich da nur nicht täuschst!"

Eigentlich hatte sie sich ja auf ein Frühstück mit Ben gefreut, hatte seine Lieblingswurst und seine bevorzugte Brotsorte eingekauft, den Tisch hübsch gedeckt und die Kaffeemaschine angeschaltet.

Doch das Monster da auf seinem Arm hatte sie ganz vergessen.
Dieses Kind würde in Zukunft immer da sein, was sie nicht gerade glücklich sein ließ. Andererseits war es auch das Druckmittel, mit dem sei ihren Mann halten konnte, an sich binden würde.

Ihr wohldurchdachter Plan war aufgegangen.
Ben schleppte sich mit Mia ins Bad, um sie zu wickeln und wenigstens seine Zähne zu putzen. Zu mehr Körperpflege konnte er sich nicht aufraffen. Doch auch die Zahnpasta konnte den galligen Geschmack nicht aus seiner Mundhöhle vertreiben.

Wohl oder übel musste er danach in die Küche, in der er Nadja vermutete. Irgendwie sollte es ihm möglich sein, zu ihr vordringen, ihr den Wahnsinn ihres Vorhabens verständlich zu machen.

„Können wir reden?" fragte er, während er das Fläschchen für Mia vorbereitete.
„Natürlich!" antwortete sie. „Ich freue mich, dass du wieder da bist, wo du hingehörst: Bei deiner Frau. Ich werde für das Kind eine Tagesmutter suchen, dann können wir beide in Ruhe arbeiten. Du wirst dich wieder besinnen, wo und beim wem dein Platz ist."

Ben schluckte die harten Worte, die eigentlich aus ihm hinaus wollten, hinunter. Es schien ihm im Augenblick zielfördernder zu sein, sie nicht zu sehr gegen sich aufzubringen.

Nadja frühstückte seelenruhig, verbiss sich eine scharfe Bemerkung, dass er sich gefälligst zu ihr setzen sollte und nicht immer mit dem Kind rummachen sollte. Dass das Ding da gefüttert werden musste, verstand sogar sie.

„Ich fahre jetzt in die Kanzlei." erklärte sie schließlich. „Wichtige Termine. Gibst du mir deinen Autoschlüssel? Nur zur Sicherheit!" Sanft lächelnd streckte sie ihm ihre Hand entgegen.

Ben unterdrückte mit größter Anstrengung einen hysterischen Lachanfall. Sie schien vollkommen durchgeknallt zu sein.
„Ich kann mir ein Taxi rufen!" gab er zu bedenken.

„Womit?" fragte sie falsch lächelnd. „Mit Rauchzeichen?"


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