Kapitel 21

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„Hallo, Nadja!" sagte Ben leise. Lea verstand, wäre am liebsten im Erdboden verschwunden. Diese übergewichtige Frau war die Ex von Ben, dem so gutaussehenden Ben? Und sie war die Mutter ihrer wunderschönen Tochter Mia?
Karin begrüßte Nadja, um sie von Lea abzulenken. „Hallo! Lange nicht gesehen!"

„Was wohl weniger an mir liegt als an der Nutte da!" haute Nadja ihr hin.
Ben wurde eiskalt. „Sei still!" fuhr er sie an und stellte sich beschützend neben Lea.
„Und welches ist jetzt mein Kind und welches der Bastard?" Nadja sah interessiert in die Kinderwagen.

Ben atmete tief ein. Am liebsten hätte er sie geohrfeigt.
„Geht schon mal vor!" bat er Lea leise. Sie nahm den Wagen, den er geschoben hatte mit Benedikt und ging mit den anderen weiter.

Karin legte tröstend den Arm um sie. „Nimm die Verrückte doch nicht ernst!"
Lea sah sie offen an. „Nein! Klar! Einmal musste es ja sein, dass wir sie treffen. Bisher hatten wir wohl nur Glück!" 

Dann musste die Frage heraus, die sie Ben nicht so gut stellen konnte. „War die schon immer so dick?"
Karin lachte. „Nein, Ben hat kein Faible für Fettklöße, keine Angst! Sie hat früher schon gut ausgesehen. Dann hat sie ordentlich zugelegt. Aber seit ich sie zum letzten Mal gesehen habe, hat sie sich sicher verdoppelt."
David ließ seine Freundin nicht aus den Augen. Er sah zufrieden, dass sie die Verbalattacke gut wegzustecken schien.

Ben stand vor Nadja, erdolchte sie mit Blicken. „War das jetzt nötig?" fragte er leise, um Beherrschung ringend.
Nadja sah ihn spöttisch an. „Oh! Habe ich das Engelchen verletzt? Aber damit muss man rechnen, wenn man einer anderen Frau den Mann ausspannt!"
„Wenn eine Beziehung in die Brüche geht, ist selten einer allein schuld! Das müsstest du als Scheidungsanwältin eigentlich wissen!"

„Unsere Beziehung war vollkommen intakt, bis sie aufgetaucht ist!" knallte sie ihm hin.
Er sah sie ein wenig mitleidig an. Glaubte sie wirklich immer noch daran? 

„Nein, Nadja! Das war sie nicht, und du weißt das. Eine Beziehung, in der ein Partner keine körperliche Nähe erträgt, ist keine Ehe!"
Sie wurde noch wütender. „Aha! Es ging doch nur um Sex! Immer ging es dir darum! Du kannst nicht akzeptieren, wenn eine Frau keine Lust dazu hat! Da holst du dir dann lieber so ein Gänschen, das die Beine jederzeit breit macht und sich dafür bezahlen lässt."

Seine Hand zuckte, aber noch immer beherrschte er sich.
Er würde sie nicht schlagen.
„Lea ist kein Gänschen, sie ist eine hochbegabte Diplomarchitektin und Diplom-Hochbauingenieurin!" stellte er richtig und hoffte, keinen Fehler gemacht zu haben.

„Ach? Eine Kollegin? Deshalb warst du immer so lange im Büro!"
„Nein, sie hat gerade fertig studiert. Heute ist ihr erster Arbeitstag. Es ist Zufall, dass sie den gleichen Beruf hat. Ich habe mich einfach in ein nettes, hübsches, liebenswertes Mädchen verliebt. Ich wollte das nicht, Nadja! Ich habe auch alles getan, um sie zu vergessen, als du schwanger geworden bist. Aber du hast es mir nicht leicht gemacht!" 

Er wusste, dass er zu viel redete, aber sie hatten noch nie über alles gesprochen. Irgendwie hoffte er, dass sie verstehen würde, dass sie irgendwann einmal normal miteinander sprechen konnten.
„Na, komm! Sprich weiter! Erzähl! Wie ist sie im Bett? Wahrscheinlich bläst sie dir auch einen! Wahrscheinlich macht sie all die Schweinereien, die ich nicht wollte!"
Darauf fehlten ihm die Worte.
Plötzlich beugte sich Nadja zum Kinderwagen. „Und das ist wohl deine Tochter, für die du sogar bereit gewesen wärst, das trostlose Leben mit mir wieder aufzunehmen?"

„Ja!" sagte er nur und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
„Warten wir mal ab, wie lange sie noch deine Tochter sein wird!" meinte sie ganz beiläufig und drehte sich um.
Ben erstarrte. Als er aus dem Schockzustand erwachte, wollte er ihr nachlaufen, sie zur Rede stellen. Doch sie war im Gewirr der Altstadtgassen verschwunden.

Lea wurde unruhig. Wo blieb denn Ben so lange? Hoffentlich verlor er nicht die Beherrschung!
Sie ließ Benedikt bei den anderen und ging zurück. Vielleicht brauchte er sie.

Vorsichtig näherte sie sich der Stelle an, wo sie ihn zurückgelassen hatte mit dieser Furie.
Er stand wie paralysiert auf dem Bürgersteig, blickte starr in eine Richtung.
Sie lief zu ihm, schüttelte ihn leicht. „Ben! Hallo! Was ist passiert?"

Da begannen die Tränen über sein Gesicht zu laufen. Auf offener Straße stand Dr. Ben Knüppers und heulte. Lea nahm ihn in die Arme, fühlte, wie er zitterte. Mein Gott! Was hatte dieses Weib denn gesagt, das ihn so erschüttert hatte?
„Sprich mit mir!" bat sie leise.

Er tauchte von irgendwo her auf, schien sie jetzt erst zu bemerken, drückte sie an sich. „Mia!" schluchzte er. „Sie wird uns Mia wegnehmen!"
Lea erstarrte. „Niemals! Eher bringe ich sie eigenhändig um!"
„Das werde ich schon erledigen!" antwortete er, und er wusste wieder einmal, dass er fähig dazu sein würde.

Eigentlich wäre er jetzt lieber nach Hause gegangen, aber sie mussten Benedikt holen. Die Kollegen erschraken, als sie die zwei sahen, weiß wie die Wand, mit verweinten Augen.
Ben erzählte, was Nadja gesagt hatte. Alle waren geschockt und sprachlos über so viel Bosheit!
David fand als erstes seine Worte wieder.

„Nie und nimmer bekommt sie Mia! Ich kann ja bei Gott bezeugen, wie sie sich damals aufgeführt hat! Und - ich wollte es nie beichten, weil es schon übergriffig war - ich habe auch ein paar Fotos von ihr gemacht!"
Etwas Hoffnung glomm in Bens Augen auf. Kein Richter auf der Welt würde ein Kind dieser Frau ausliefern! Mia war in einer Familie, hatte Vater und Mutter, man konnte doch ein Kind nicht einfach verpflanzen wie einen Baum.
Die anderen versicherten, dass sie ebenso aussagen würden, wie gut sich Lea und Ben um die Kleine kümmerten.

Karin sprach das Schlusswort in dieser Angelegenheit. „Außerdem hätte sie Mia dann ja wieder bei sich, und das wollte sie ja eben nicht! Sie wüsste doch gar nichts anzufangen mit ihr!"
Ben schöpfte ernsthaft Hoffnung.

Schließlich beschlossen sie zu essen, und es kam etwas wie Fröhlichkeit auf.

Sie fingen an, Nadjas Auftritt zu vergessen.

*

Nadja war nach dem Treffen mit Ben und seiner Bitch wie von Sinnen nach Hause gefahren. Das Atmen fiel ihr schwer, vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte. Die Wut tobte in ihr wie ein gleißendes Feuer, drohte, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen.

Sie hatte sich ein Bild von seiner Geliebten zurechtgelegt, hatte sich das Zusammenleben der Beiden mit zwei Kleinkindern ausgemalt, hatte diese bösen Tagträume genossen.

Ben und die dicke italienische Pizzaschlampe würden sich ständig in den Haaren liegen. Die Babys wären eine Last, die das Paar nicht tragen könnte. Sie wäre überfordert, Ben intellektuell unterfordert, würde Nächte durcharbeiten, weil er keine Lust hatte, nach Hause zu fahren.

Irgendwann würde er das alles satthaben und reumütig zu ihr zurückkommen. Um sein Gör musste aber dann er sich kümmern. Wie, war ihr egal.

Immer, wenn sie in Gedanken an diesem Punkt angekommen war, brachte sie das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht, genehmigte sich ein Glas Wein oder auch deren zwei.
Bald wäre sie keine verlassene Frau mehr, keines der bemitleidungswürdigen Exemplare, das sitzen gelassen worden war.

Und jetzt heute diese Begegnung. Kein dralles Pummelchen an seiner Seite, sondern eine wunderschöne Blondine.
Keine Bedienung in einer Pizzeria, sondern eine hochqualifizierte Kollegin Bens.
Keine Spur von Streit oder Unzufriedenheit, die Liebe hatte sie in seinen Augen deutlich gesehen.
Die Kinder nicht ungepflegt und verwahrlost, sondern bildhübsch und niedlich.

Nadja tobte durch das riesige leere Haus, fand sich im ehemaligen Kinderzimmer wieder.

Vier Wochen nach dem Zusammentreffen mit Nadja in der Stadt schlug die Bombe ein.


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