Gefüllt hatte ich gerade erst meine Augen geschlossen als auch schon mein Wecker klingelte. Müde stand ich auf und ging um Emily und Tobi aufzuwecken. Obwohl die Beiden schon früher schlafen gegangen waren schauten die Beiden genauso müde aus wie ich mich fühlte. Ich erzählte ihnen von den weiteren Reiseplänen die Tizian und ich gestern besprochen hatten und sie nickten müde als Bestätigung, dass es für sie in Ordnung war. Wir kramten ein paar Vorräte hervor und machten ein halbwegs anständiges Frühstück. Pünktlich um 9 Uhr tauchte Tizian wieder auf. Er half uns beim abbauen der Zelte so, dass wir zügig fertig waren. Währenddessen wanderte mein Blick immer wieder zu ihm rüber. Ich könnte es irgendwie immer noch nicht glauben, dass er mein Mate war. Es war einfach zu verrückt. Aber dieses Gefühl welches ich in seiner Nähe verspürte ließ eigentlich keinen Zweifel zu. Plötzlich schaute er zu mir rüber und grinste mich schelmisch an. Ich fühlte mich ertappt und schaute schnell wieder woanders hin.
Ich erschrak mich fast zu Tode, als er plötzlich neben mir stand und mir zuraunte: „Anscheinend gefällt dir was du siehst.“
Dann ging er einfach weiter und ich stand mit rotem Gesicht da.
Wir schaffen es tatsächlich den ersten Bus der in Richtung Westen fuhr zu bekommen. Da wir jetzt zu viert unterwegs waren saßen Emily und Tobi nebeneinander und ich hatte die Ehre den Platz neben Tizian zu bekommen. Zwischen uns herrschte eine Art peinliches Schweigen. Was in seinem Kopf vorging könnte ich nicht sagen aber ich fand diese ganze Situation immer noch ziemlich merkwürdig. Dabei sollte ich dich eigentlich glücklich sein. Immerhin hatte ich meinen Mate gefunden. Und das zum zweiten Mal. Manche fanden ihren Mate gar nicht. Sollte ich nicht vor Glück überlaufen? Wahrscheinlich lag es daran, dass die Umstände die mich hier her geführt hatte immer noch tief in mir verwurzelt waren und mich einfach nicht loslassen wollten. Zusätzlich brachte mich die, für mich, undefinierbare Spannung zwischen Tizian und mir aus dem Konzept. Jetzt wo ich neben ihm saß könnte ich sie nur allzu deutlich spüren. Wieso hatte ich diese Spannung nie bei Lucas gespürt? Obwohl er auch mein Mate gewesen war, hatte ich nur ein Bruchteil von dem Gefühl, welches ich jetzt spürte, gefühlt.
Die Antwort kam kurz und knapp von Skyla: „Weil du es nicht wolltest.“
Wahrscheinlich hatte sie Recht. Eigentlich nicht nur Wahrscheinlich. Kai hatte es mir auch mal erklärt. Elementarwölfe waren in der Lage ihre Gefühle so sehr zu kontrollieren, dass sie sogar etwas so starkes wie die Matebindung zu unterdrücken vermochten. Man musste es nur stark genug wollen. Mit meiner Einstellung gegenüber Lukas und meinem Wunsch nie meinen Mate zu finden hatte ich dies unterbewusst getan. Zwar nicht komplett aber anscheinend doch schon sehr viel. Jetzt wo Lukas weg war hatte ich diesen Wunsch fallen gelassen und konnte nun voll und ganz spüren was es heißt seinen Mate gefunden zu haben. Schlagartig überkam mich auch ein schlechtes Gewissen. Lukas hatte dieses Gefühl auch verspürt, denn im Gegensatz zu mir hatte er sie nicht unterdrücken können. Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, dass ich ihn so abweisend behandelt hatte. Innerlich verfluchte ich mich selbst für meine egoistischen Taten und schwör mir selbst und Skyla nie wieder jemanden so zu behandeln. Mein Blick wanderte von der Sitzlehne vor mir, die ich die ganze Zeit angestarrt hatte ohne sie wirklich zu sehen, zu Tizian. Zu meinem Erschrecken schaute dieser mich gerade an. Mein erster Reflex war schnell wieder wegzuschauen, aber eigentlich hatte ich ja nichts gemacht was mir peinlich seien musste. Schließlich war er es ja der mich beobachtet hatte.
Also wiederholen ich einfach die Worte die er zuvor zu mir gesagt hatte: „Anscheinend gefällt dir was du siehst.“
Er musste grinsen und sagte: „Allerdings.“
Ich merkte wie mir etwas Röte ins Gesicht stieg. Wo war diese Kontrolle der Gefühle wenn man sie mal brauchte oder zumindest ein Teil meines alten Ichs. Früher war ich nie so leicht aus der Fassung oder in Verlegenheit zu bringen gewesen und jetzt reichte ein einziges Wort aus.
„Aber eigentlich habe ich versucht herauszufinden was du denkst“, fuhr er fort. Für einen kurzen Moment überkam mich Panik. Denn Mate waren tatsächlich in der Lage die Gedanken ihres Partners zu lesen. Aber dann viel mir ein, dass dies nur funktionierte wenn beide es zuließen. Tizian schaute mich abwartend an.
Schnell sagte ich: „Es ist etwas kompliziert. Vielleicht erzählte ich es dir ein andermal.“
Er zog eine Augenbraue hoch, aber ich machte ihm mit einem Kopfschütteln deutlich, dass ich es jetzt definitiv nicht sagen würde.
Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Na gut. Irgendwann wirst du es mir noch erzählen.“
Plötzlich zuckte ich zusammen und meine Sicht verschwamm.
Mein erster Gedanke war: „Was passiert hier?“
Dann klärte sich allmählich meine Sicht wieder und ich erkannte eine mir bekannte Landschaft.
Ich stand wieder auf dem hohen Felsen und schaute auf den riesigen Mond mit den vielen Lichtern. Auch dieses Mal sah ich alles durch Wolfsaugen.
Auch stellte sich mit nun die Frage: „Was war der Grund?“
Die Antwort kam sogleich: „Es tut mir leid, dass ich dich so plötzlich hergeholt habe. Aber ich müsste dir unbedingt sagen, dass du dich beeilen musst. Noch mehr als vorher.“
Sofort machte ich mir Sorgen um Lukas und fragte mich was passiert sei.
„Ich kann dir jetzt nicht sagen was passiert ist. Du musst dich beeilen. Ich habe auch gesehen das du mein Geschenk erhalten hast. Er wird dir helfen Lukas schneller zu erreichen. Frage ihn einfach wie er normalerweise reist.“
Danach verschwamm wieder alles und klärte sich kurz darauf erneut. Kaum könnte ich wieder klar sehen blickte ich zu Tizian. Dieser schaute mich besorgt an und ich merkte, dass Emily und Tobi die gleichen Gesichter machten.
„Was schaut ihr mich so beunruhigend an?“, fragte ich aus dem Konzept gebracht.
Emily antwortete mir mit leichter Panik in der Stimme: „Du hast plötzlich mit ganz weißen Augen ins Leere gestarrt. Was ist passiert?“
„Die Mondgöttin hat mit mir geredet.“, da fiel mir wieder ein, dass Eile geboten war und wandte mich an Tizian: „Sie sagte wir müssen uns beeilen. Und ich soll dich fragen wie du normalerweise reist. Es soll uns irgendwie helfen.“
Irritiert antwortete er: „In Wolfsgestalt.“
„Und was machst du mit deinem Gepäck?“
"Nun ja auch Wölfe können Rucksäcke tragen.“, meinte er schulterzuckend.
„Und das funktioniert?“, fragte Emily skeptisch.
Tizian meinte darauf hin nur: „Solange ich mich von Städten fernhalte sogar ganz gut. Meistens bin ich so viel schneller.“
„Worauf warten wir dann noch?“, fragte ich und wollte aufspringen.
Tizian hielt mich jedoch am Arm unten und meinte: „Erstmal warten wir darauf das der Bus hält.“
Ich hatte komplett vergessen, dass wir uns ja in einem Bus befanden und lächelte nun verlegen.Die 20 Minuten zum nächsten Stopp zogen sich meines Erachtens ewig. Ich wollte unbedingt so schnell wie möglich weiter. Immerhin musste es ernst sein wenn die Mondgöttin mir sagte, dass ich mich beeilen musste. Ich stieg so schnell ich konnte aus dem Bus aus und die Anderen folgten mir. Der Bus hatte an einem Wald gehalten um den Touristen einen Wasserfall oder so zu zeigen. Kaum hätten mich die Bäume des Waldes verschluckt gab ich meinen wilden Instinkten nach und wurde zu einem Wolf. Tizian hatte Recht behalten, der Rucksack blieb auf meinen Rücken. Es war etwas ungewohnt aber machbar. Ich warf einen Blick über die Schulter und erblickte drei weiter Wölfe. Mit einem kleinen Jaulen bedeutete ich ihnen mir zu folgen und rannte los. Immer weiter dem Gefühl nach, welches mich zu Lukas führte. Es leitete mich wie ein unsichtbarer Faden durch den Wald. Wir liefen ohne Pause. Wir liefen durch mehrere Wälder. Nach und nach wurde es immer dunkler doch ich blieb nicht stehen. Woher ich diese ganze Kraft nahm war mir unbekannt aber ich wollte nicht stehen bleiben.
„Lucy!“, rief Emily mich und ich blieb abrupt stehen.
Ich drehte mich um und schaute sie fragend an. Was war so wichtig das wir stehen bleiben mussten?
Sie verwandelte sich zurück in einen Menschen und sagte dann: „Wir sollten eine Pause machen und uns ausruhen. Es ist schon fast stockdunkel.“
Die anderen Beiden taten es ihr gleich nur ich blieb wie ich war. Wieso wollten sie eine Pause machen? Wir mussten uns beeilen. Lukas brauchte Hilfe, er brauchte uns.
Als sie merkte, dass ich mich nicht verwandelte fragte sie: „Lucy?“
Nun verwandelte ich mich auch, aber nur damit sie mich verstehen könnten: „Wir müssen weiter. Wir sind Wölfe, wir können auch im Dunkeln gut sehen.“
„Das ist nicht der Grund. Wir müssen uns ausruhen. Wir sind immerhin den ganzen Tag gerannt.“, meinte jetzt Tobi.
„Wir müssen weiter.“, sagte ich jetzt entschieden.
Tobi schaute mich ernst an und sagte: „Lucy verstehst du nicht, wir müssen eine Pause machen.“
"Nein, nein. Ihr versteht nicht. Lukas braucht unsere Hilfe. Wir müssen weiter.“, meine Stimme klang bei diesen Worten leicht hysterisch.
Nun machte Tizian einen Schritt auf mich zu und sagte mit beruhigender Stimme: „Beruhig dich. Überleg doch mal, wenn...“
„Egal was ihr sagt, ich gehe weiter. Mit oder ohne euch.“, unterbrach ich ihn und wurde wieder zu einem Wolf.
Ich wartete auch nicht ihre Reaktionen ab sondern lief gleich los. Während ich durch den Wald rannte nahm ich kaum noch die Welt um mich herum war. Für mich gab es nur noch diesen einen Gedanken, dass ich weiter musste. Ich musste einfach weiter laufen. Plötzlich riss mich etwas von den Pfoten und drückte mich zu Boden. Am Rande meines Bewusstseins nahm ich war, dass es Tizian als Wolf war. Wieso tat er das? Ich musste doch weiter.
„Lass mich los!“, knurrte ich ihn an.
Aber er ließ mich nicht los. Ich wand mich und versuchte mich frei zu kämpfen. Doch aus irgendeinem Grund hatte ich kaum noch Kraft. Resigniert und kraftlos verwandelte ich mich zurück in einen Mensch. Keine Sekunde später war auch Tizian wieder ein Mensch.
„Lass mich los. Ich muss weiter.“, sagte ich nun, aber in meiner Stimme lag nicht mehr so viel Kraft wie noch einige Minuten zuvor.
Er bewegte sich kein Stück und drückte mich immer noch an den Armen zu Boden.
„Bitte...“, flehte ich jetzt fast. „Ich muss zu ihm. Ich muss ihm helfen.“
Immer noch keine Reaktion von ihm.
Ich fühlte mich so schwach und meine Stimme brach als ich weiter redete: „I-ich muss... Ich muss weiter. Es ist meine Schuld. Ohne... Ohne mich wäre er nie... Nie in diese Situation gekommen. Ich muss ihm helfen.“
Ich schaute ihm tief in die Augen und endlich konnte ich eine Reaktion sehen. Ich konnte das Gefühl nicht ganz deuten welches sie mir zeigten, aber es sah aus wie Trauer. Warum war er jetzt traurig? In mir spürte ich, dass ich nicht wollte, dass er traurig war.
Tizian schüttelte leicht seinen Kopf und sagte leise: „Es war ganz bestimmt nicht deine Schuld.“
„Doch...“, antwortete ich fast tonlos.
Endlich ließ er mich los. Er löste eine Hand von meinem Arm und strich mir über die Wange. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir Tränen übers Gesicht liefen. Tizian setzte sich auf und zog mich mit sich vom Boden hoch. Er legte seine Arme um mich und drückte mich an seine Brust. Der Duft von Sommerregen stieg mir in die Nase und beruhigte mich langsam.
Tizian strich mir mit einer Hand übers Haar und flüsterte leise: „An dem was passiert ist haben einzig und allein die Vampire schuld. Weder du noch irgendwer anders trägt daran die Schuld.“
Er redete weiter beruhigend auf mich ein. Ich konnte nicht sagen ob es seine Worte oder einfach seine Gegenwart war die mich beruhigte, aber es half.
Ich wischte mir mit den Handrücken die letzten Tränen aus dem Gesicht und Tizian fragte: „Fühlst du dich jetzt wieder besser?“
Ich nickte stumm und er half mir beim aufstehen.
„Können wir jetzt dann wieder zu den Anderen gehen? Sie machen sich bestimmt Sorgen.“, fragte er mich.
Wieder nickte ich nur. Ich war zu erschöpft um noch irgendwas zu sagen.
Er schenkte mir ein Lächeln und sagte: „Na dann komm.“
Dann nahm er meine Hand und zog mich mit sich in die Richtung aus der wir vorhin gekommen waren.
Tizian hatte Recht behalten. Natürlich hatten sich die beiden Anderen Sorgen gemacht. Nachdem sie sich davon überzeugt hatten das es mir gut ging und einer festen Umarmung von Emily hatten wir unsere Zelte aufgebaut und uns erschöpft schlafen gelegt.
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Wolf of Ice
WerewolfLucy zieht mit ihrer Mutter in eine kleine Stadt. Zum ersten mal lebt sie dort unter Ihresgleichen. Den Werwölfen. Nur will sie eigentlich gar nichts damit zu tun haben. Sie wäre lieber ein ganz normaler Mensch. Ausgerechnet muss sie dort auch noch...