Kapitel 4

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22. November 2013
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Liebes Tagebuch,

an Abenden wie heute, wenn ich mich alleine fühle und das Gefühl habe, alles um mich herum bricht zusammen und ich langsam den Verstand verliere, tue ich so, als wären Felix und ich noch zusammen. Ich tue so, als wäre er hier, würde meine Hand halten und mir gut zusprechen, dass alles wieder gut wird. Als würde er sagen, dass ich keine Angst haben brauche, weil er bei mir ist und dass ich niemals alleine sein werde.

Wenn mir alles zu viel wird, ist er der Anker, der mich sichert. Auch, wenn er niemals wieder wirklich hier sein wird ...
(...)
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Felix wieder zu sehen triggerte etwas in mir, das ich schon lange begraben geglaubt hatte. Etwas, von dem ich dachte, ich hätte es unter Kontrolle gebracht. Vielleicht war es die Melancholie in mir, vielleicht auch mehr, aber an einem der darauffolgenden Abende saß ich in meinem WG-Zimmer und holte ,die Büchse der Pandora' hervor, wie ich sie so schön nannte. Ein Schuhkarton, den ich jahrelang unter meinem Bett versteckte und den außer mir noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte. Ich fuhr mit der Hand über den schwarzen Deckel und wischte eine dicke Staubschicht herunter. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt hinein gesehen hatte. Vorsichtig öffnete ich ihn und das bedrückende Gefühl, das mich dabei überkam, erinnerte mich wieder daran, warum der Karton so lange verschlossen blieb. 10 dicke, schwarze Notizbücher, ein altes iPhone 5 und das dazu gehörige Ladekabel, der Bon des Cafés, in dem Felix gearbeitet hatte und auf den er seine Nummer geschrieben hatte, an dem Tag, an dem wir uns kennenlernten und viele Fotos von ihm und mir lagen darin. Eines der Fotos nahm ich heraus und sah es mir genauer an. Es zeigte Felix und mich. Ihn, mit seinen lockigen, längeren Haaren, den schwarzen Tunnels und dem dazu passenden Lippenring, wie er sich an mich lehnt und in die Kamera grinst. Und mich, mit langen, schwarz gefärbten Haaren, einem dicken Lidstrich und ebenfalls mit Lippenpiercing, wie ich ihm durch seine Mähne strich. Ich erinnerte mich genau an den Moment, in dem das Foto entstanden war. Es war unser Zweijähriges und sein Vater hatte uns zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Julian, sein Bruder, hatte damals das Foto geschossen und meinte daraufhin, dass er sich sicher sei, dass Felix seine ,Wuschelfrisur' früher oder später bereuen würde. Er sollte Recht behalten. Kein Jahr später trug er wieder seinen gewohnten Boxerschnitt.

Ich legte das Foto bei Seite und nahm mir eines der Bücher. Der erste Eintrag war vom 17. März 2009, nur wenige Tage nachdem Felix und ich uns kennengelernt hatten. Erst dann fing ich so richtig an, Tagebuch zu schreiben. Ich hatte damals die irrationale Angst, ich würde wichtige Ereignisse irgendwann mal vergessen, also schrieb ich alles auf. Beginnend mit einem der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben: unsere Begegnung. Ich hatte erst vor vier Jahren, 10 Jahre später, mit dem Tagebuch-Schreiben aufgehört. Ich dachte mir, dass jemand, der mit 30 noch Tagebuch schrieb, irgendwo falsch abgebogen war. Vor Allem, wenn dieser Jemand immer nur über das Selbe schrieb: Ihn. Also gab ich das Schreiben auf und zeitgleich auch die Hoffnung, dass Felix jemals zurück kommen würde. Ich blätterte durch das Buch, als plötzlich ein Zettel heraus und mir direkt in den Schoß fiel. Ich nahm ihn hoch und sah ihn mir genauer an. Er war von zwei Seiten beschrieben und mich überkam eine Erinnerung, die ich mir lange nicht mehr in's Gedächtnis gerufen hatte.

‚Will you still love me in the morning?' prangte auf einer der Seiten, von mir geschrieben. Als ich den Zettel umdrehte, schmunzelte ich kurz in mich hinein.

‚Forever and ever, Babe.' stand auf der anderen, in Felix' Handschrift.

Es war eine Anspielung auf meinen Lieblingsfilm ‚Klick'. Ich wollte uns damals unbedingt diese kitschige Tradition aufdrücken, uns so jeden Tag gegenseitig zu sagen, wie sehr wir uns liebten. Felix war davon alles andere als begeistert und jedes Mal, wenn ich ihn fragte: ‚Wirst du mich auch Morgenfrüh noch lieben?', grinste er nur und meinte, dass er dieses Spielchen niemals mit mir spielen wird. Eines Abends hatte ich den Satz auf diesen Zettel geschrieben und ihn auf meinem Schreibtisch liegen lassen, als Felix mich besuchte. Irgendwann zwischen dem Abend und dem nächsten Morgen musste er die Antwort auf die Rückseite geschrieben haben und als ich am nächsten Abend wieder am Schreibtisch saß, schrieb er mir eine Nachricht, dass ich den Zettel umdrehen solle. Ich bekam immer noch ein Kribbeln im Bauch, wenn ich daran zurück dachte.

The Diary of Jane - Felix Lobrecht FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt