Kapitel 8

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Jane

Schnell lief ich die Treppen hoch in meine Wohnung.

„Jane? Bist du das? Leon wartet schon in deinem Zimmer.", rief Alina aus der Küche, als ich grade meine Sneaker von den Füßen strich.

„Ich weiß, danke.", rief ich leicht atemlos zurück und betrat mein Zimmer. Mein Freund lag entspannt auf dem Bett und sah von seinem Handy zu mir hoch.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich weiß nicht, wo mir heute der Kopf steht. Ich hatte total vergessen, dass du noch vorbei kommen wolltest.", entschuldigte ich mich, als ich die Tür hinter mir schloss.

Leon musterte mich mit seinen braunen Augen von oben bis unten. „Was trägst du da für Sachen?", fragte er schließlich und setzte sich auf.

„Oh.", merkte ich an. „Ja, das ist ne gute Frage. Ich war unterwegs und es fing plötzlich an zu regnen. Dann habe ich einen alten Freund getroffen, der mir angeboten hat, mich mit zu sich zu nehmen und mir was Trockenes zum Anziehen zu leihen und ja. Hier bin ich. Trocken.", lächelte ich unschuldig und er blickte mich skeptisch an.

„Ein alter Freund?"

„Ja.", nickte ich. „Kennst du nicht."

„Ich kenne alle deine Freunde.", merkte er an.

„Den noch nicht. Wie gesagt, ist ein alter Freund. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen."

„Ah, okay.", murmelte er. „Was hast du denn draußen getrieben?"

„Ich war spazieren. Mir ist hier ein bisschen die Decke auf den Kopf gefallen.", erklärte ich.

Leon legte fragend seinen Kopf leicht seitlich. „Muss ich mir Sorgen machen?"

„Um mich?", fragte ich. „Nein, Quatsch. Alles gut."

„Du würdest es mir doch sagen, wenn irgendwas nicht in Ordnung wäre, oder? Auch zwischen uns, meine ich."

„Ja, natürlich.", sprach ich und setzte mich zu ihm auf's Bett. „Du weißt ja, die dunkle Jahreszeit macht mich immer ein bisschen melancholisch. Da muss ich manchmal einfach raus und ein bisschen den Kopf frei kriegen. Das hat aber nichts mit uns zutun."

„Dann ist gut.", entgegnete Leon und lächelte mich zufrieden an. „Ich dachte mir, wir könnten uns was zu Essen bestellen und den restlichen Abend im Bett verbringen. Was hältst du davon?"

„Klingt toll.", stimmte ich zu und eine Stunde später saßen wir mit Thai Curry auf meinem Bett, während im Hintergrund Harry Potter im TV lief. Meine Gedanken schweiften ab, als ich an den heutigen Abend mit Felix dachte. Es war verrückt, aber obwohl wir uns so lange nicht gesehen hatten, war er mir kein Stück fremd geworden. Ganz im Gegenteil. Es fühlte sich fast an, als wären wir nie getrennt gewesen. Wahrscheinlich war das ganz normal. Wir waren vier Jahre zusammen gewesen, hatten viel miteinander erlebt. Er war immer der Mensch, zu dem ich gehen konnte, wenn ich mich von niemand Anderem verstanden gefühlt habe. Er redete mir immer gut zu und sah so viel mehr in mir, als ich selber jemals wahrnahm. Er war nicht nur mein Partner, er war mein bester Freund. Das erklärte wohl auch, warum ich mich noch immer so sicher in seiner Gegenwart fühlte. Ich hatte immer ein bisschen Angst davor, wie es wohl sein würde, sollten wir uns irgendwann mal wieder sehen. Diese Angst schien offenbar total unbegründet gewesen zu sein. Klar, zuerst war es unangenehm. So viele Emotionen und Erinnerungen prasselten auf einen herab, doch jetzt grade fühlte ich mich gut damit. Er war wieder da. In meinem Leben. Das fühlte sich einfach richtig an. Eine leichte Euphorie überkam mich. Ich konnte es gar nicht abwarten, ihn wieder zu sehen.

„Warum lächelst du so selig vor dich hin?", lachte Leon, der mich scheinbar schon länger beobachtet hatte.

„Ach, nur so.", murmelte ich, während ich mir den letzten Bissen meines Currys auf die Gabel schaufelte. „Ich bin jetzt grade einfach nur ein bisschen glücklich."

„Das freut mich.", entgegnete er. „Ich habe dich lange nicht mehr glücklich gesehen."

„Ich mich auch nicht.", gab ich zu. „Fühlt sich gut an."

„Ich habe dir ja gesagt: ‚nach jedem Regen kommt auch wieder Sonnenschein.' Und du standest jetzt schon wirklich lange im Regen. Es wurde Zeit, dass da mal wieder ein paar Sonnenstrahlen raus kommen."

„Ja.", lächelte ich. „Danke, dass du es mit mir aushältst. Auch wenn du dafür oft selber im Regen stehen musst."

„Für die Frau, die man liebt, tut man alles.", grinste er, lehnte sich zu mir nach vorne und gab mir einen Kuss. Liebevoll wuschelte ich ihm durch sein volles, dunkles Haar. „Soll ich dich Morgen früh zur Uni fahren? Ich muss erst später auf der Arbeit sein, dann können wir beide länger schlafen."

„Länger schlafen hört sich gut an.", flüsterte ich gegen seine Lippen.

„Das heißt, es wäre auch nicht schlimm, wenn wir später zum schlafen kommen.", murmelte er.

„Absolut nicht.", grinste ich und küsste ihn erneut.

Am nächsten Morgen saßen wir in seinem schwarzen VW Golf auf dem Weg zur Universität. Das Wetter hatte sich über Nacht nicht gebessert, weshalb ich froh war, heute mal nicht mit der Bahn fahren zu müssen.

„So, da wären wir.", sprach er, als der Wagen vor den hohen Mauern der Uni zum stehen kam.

„Danke für's Fahren.", entgegnete ich und schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln. „Meldest du dich nochmal, wann genau du Morgen bei mir bist? Denk dran, Alina ist total der Geburtstagsfreak und wenn du nicht pünktlich kommst, wird sie ungemütlich."

Leon lachte. „Ich werde pünktlich sein."

„Sehr gut.", grinste ich und gab ihm zum Abschied einen Kuss. „Bis Morgen dann. Ich freue mich."

„Ich mich auch.", sprach er und als ich die Beifahrertür hinter mir zu schlug, fuhr er davon.

Ich lief schnurstracks in das ehrwürdige Gebäude und die vielen Treppen hoch zum Hörsaal, in dem ich gleich unterrichten sollte. Immer mal wieder sah ich mich um, um vielleicht irgendwo Felix ausfindig zu machen, doch ich sah ihn nirgends. Ich hätte gedacht, dass ich ihn spätestens im Kurs sehen würde, aber auch dort war er nicht. Er hatte am Abend zuvor nicht erwähnt, dass er heute nicht kommen würde. Das kam mir komisch vor. Andererseits hatten wir gestern auch nicht großartig über sein Studium oder die Uni gesprochen. Möglicherweise hatte er sich auch verkühlt, nachdem er ebenfalls einige Zeit im kalten Regen stand. Ich war kurz davor, mein Handy in die Hand zu nehmen und ihm zu schreiben, tat es aber letztendlich doch nicht. Ich wollte ihm nicht hinterher rennen und den Anschein erwecken, ich würde ihn unbedingt sehen wollen. Auch wenn ich nicht leugnen konnte, dass ich mich darauf gefreut hatte, ihn zu sehen und jetzt ein bisschen enttäuscht war. Vielleicht würde er sich ja demnächst von selber bei mir melden. Ich für meinen Teil, so viel stand fest, würde nicht den ersten Schritt tun.

The Diary of Jane - Felix Lobrecht FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt