7 - ihr letztes Jahr - ein neuer Tutor

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Die Ferien waren viel zu schnell vorbei und Holly bereitete gerade alles für den morgigen ersten Schultag vor. Ihr letzter erster Schultag. Sie war etwas aufgeregt, da sie einen neuen Tutor bekommen würden und sie gespannt auf ihren neuen Stundenplan war.
Am schrieb mit ihr und machte sich mehr Gedanken um ihr Outfit, als um die Schule selbst.
„Was ziehst du an?", schrieb sie ihr.
„Was soll ich schon anziehen?"
„Wir haben die ersten Stunden mit Mr. B!"
„Und? Er hat mich schon im Bikini gesehen, also spielt es wohl keine Rolle, was ich morgen trage", schrieb sie zurück und dachte daran zurück.
Die Erinnerungen waren da, doch das Gefühlschaos hatte sich gelegt. Sie drehte den Ring und das Surren ertönte. Seit diesem Tag hatte sie den Ring nicht mehr für längere Zeit abgenommen und zum Schwimmen trug sie ihn an einer Lederschnur um das Handgelenk gebunden, damit ihr nie wieder so etwas passieren sollte.
Morgen würde sie Mr. Blair in die Augen sehen können und seinem Unterricht folgen, so wie sie es im letzten Jahr getan hatte. Kein Erröten, keine Verlegenheit. Wie er es gesagt hatte: Das alles war außerhalb der Schule passiert und gehörte nun zu ihren Geheimnissen, wie die Herkunft des Rings.
Wie von selbst wanderten ihre Finger über das Display und öffneten den Messenger. Seiner Nummer war noch immer in ihren Kontakten und sie erwischte sich nicht zum ersten Mal dabei, wie sie sein Profilbild ansah. Er lehnte an einem Geländer, im Hintergrund konnte sie einen See ausmachen. Sein dunkelblauer Anzug stand im Kontrast zum weißen Hemd und er sah darin so anders aus als in seinen sonst eher dunklen Sachen. Seine Hände steckten in seinen Hosentaschen und er sah direkt in die Kamera, ein halbes Schmunzeln auf den Lippen. Trotzdem sah Holly das amüsierte Funkeln in seinen Augen, das sie inzwischen recht gut an ihm kannte. Andere würde nur einen Mann sehen, der kaum ein Lächeln für ein Foto aufbringen konnte.
Mit einem leisen Seufzen schloss sie den Messenger und legte ihr Smartphone beiseite.
Sie ging rechtzeitig schlafen und konnte trotz der Aufregung schnell einschlafen.

Am nächsten Morgen stand sie pünktlich vor der Tür und Amanda holte sie mit dem Auto ab. „Bereit für das letzte Jahr?", begrüßte diese sie und Holly stieg ein.
Sie fuhren zur Schule und setzten sich auf ihren üblichen Platz im Literaturkurs.
Die Reihen füllten sich langsam, viele plauderten über ihre Sommerferien und es wurde erst wieder still, als Mr. Blair den Raum betrat. Er sah wie immer aus, auch wenn er wie alle, den Sommer über viel draußen gewesen sein musste. Sein Haut war gebräunt und es stand ihm wirklich gut. Dazu trug er ein dunkelblaues Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und seine übliche dunkle Anzughose.
Alles war beim Alten, nichts hatte sich verändert und das beruhigte Holly. Als er den Blick schweifen ließ, blieb er nur Augenblicke länger an ihr haften, doch das konnte sie sich auch einbilden. Alles war wie immer.
Sie drehte ihren Ring und sein Blick huschte zu ihr zurück, zu kurz, um von anderen bemerkt zu werden. Dann stellte er sich an sein Pult.
„Guten Morgen. Vorneweg eine Ankündigung. Wie ich gehört habe, werdet ihr einen neuen Tutor bekommen, da Mr. Dean dies nicht mehr bewältigen kann."
Getuschel setzte ein und viele spekulierten, wen sie wohl bekommen würden.
Am begann ebenfalls damit, doch Holly sah sie nur kurz an, dann wieder Mr. Blair, der entspannt am Pult lehnte und in die Runde schaute. Ihre Augen fanden sich für einen Moment.
„Sie sind unser neuer Tutor", sagte Holly in die Stille des Moments, ohne sich zu melden und sah ihn weiterhin an.
Er legte den Kopf schief und musterte sie, rügte sie nicht dafür, einfach gesprochen zu haben, ohne sich zu melden — das tat sie oft, wenn kein anderer die Antwort wusste. „Wie kommst du darauf?" Ein amüsiertes Funkeln tauchte in seinen Augen auf.
„Diese Information ist für Ihren eigentlichen Unterricht irrelevant, daher hätten Sie es niemals erwähnt, außer Sie sind es selbst", erklärte sie ihm gelassen und entlockte ihm damit ein Schmunzeln. Sie zeigte ihm, dass der Sommer keine Auswirkungen auf die Schule hatte. Dass dieses weitere Geheimnis ein Teil des Sommers blieb.
„Holly hat mich durchschaut und sie hat Recht. Ich werde das letzte Jahr gemeinsam mit euch durchstehen. Wenn ihr also Probleme oder Fragen habt, kommt auf mich zu und wir finden eine Lösung. Von eurem vorigen Tutor habe ich erfahren, dass er euch als Problemkurs einstuft, allerdings mache ich mir gerne selbst ein Bild davon." Er sah ernst in die Runde und Holly war erleichtert darüber. Ihr voriger Tutor hatte ihre Panikattacken als Masche angesehen, damit sie die Aufmerksamkeit auf sich zog. Mr. Blair wusste es zum Glück bereits besser.
Er ging mit ihnen anschließend den neuen Stundenplan durch und klärte noch einige organisatorische Dinge, wie auch die Abschlussfahrt und deren Termin. In der zweiten Stunde widmeten sie sich der Literatur und er sprach mit ihnen die Themen durch, die sie in diesem Jahr behandeln würden. Holly wollte bei jedem Thema, das er ansprach verzückt quieken, doch sie beherrschte sich und grinste einfach nur vor sich hin.

Als er die anstehenden Themen des Jahres durch sprach, sah er, wie Holly auf ihrem Platz saß und vor sich hin grinste. Jedes neue Thema, das er nannte, ließ ihre Augen aufleuchten und sie schien sich beherrschen zu müssen, nicht die Fassung zu verlieren. Besonders bei einem Thema schnappte sie nach Luft und hielt sich dann den Mund zu.
Er drehte sich zur Tafel und schmunzelte in sich hinein. Sie benahm sich wie ein Fangirl bei der Ankündigung aller Auftritte ihrer Lieblingsband.
In den Ferien hatte er die meisten Themen bereits ausgearbeitet und es sich nicht nehmen lassen, zu jedem Zusatzmaterial bereit zu halten. Er hatte sogar eine Leseliste für jedes Thema erstellt, die er dem Kurs zur Verfügung stellte — die er Holly zur Verfügung stellte, korrigierte er sich und schrieb das erste Thema an die Tafel.

Holly folgte der restlichen Stunde gespannt und schrieb mit, machte sich zusätzliche Notizen und hing an seinen Lippen. Er war wie immer. Er stand weder nur in Badehose vor ihr, noch lag seine Hand auf ihrer nackten Haut oder seine Lippen an ihrer Schläfe. Nur sein Ring steckte an ihrem Finger und schenkte ihr Sicherheit und Ruhe.
Am Ende der Stunde teilte er eine Leseliste zum Thema aus. „Falls ihr Interesse am Thema habt und mehr als nur das lesen wollt, was wir hier im Unterricht besprechen", kommentierte er und sein Blick huschte zu Holly, deren Augen wieder entzückt leuchteten. „Die meisten Titel findet ihr in der Bibliothek, wenn nicht, dann sprecht mich an, ich helfe euch gern weiter. Wir sehen uns morgen." Damit beendete er die Stunde und der Lärmpegel stieg.
„Das hat er doch wieder nur für dich gemacht", sagte Am feixend, als sie ihre Taschen schulterten. „Zusatzmaterial und dieses Jahr sogar eine Leseliste. Was macht er noch alles für seine Lieblingsschülerin?", fragte sie kichernd und sie gingen am Pult vorbei.
Hollys Blick wanderte zu ihm und er erwiderte diesen. Seine dunklen Augen enthielten die Antwort auf Amandas Frage: Alles.
Sie bekam eine Gänsehaut und lächelte ihn an. „Bis morgen, Mr. Blair", sagte sie statt ihr zu antworten und sein Blick wurde für einen Moment weich, bevor er nickte und sie den Raum verließen.

Die erste Woche verging schnell und Holly fand sich jeden Tag in seinem Kurs wieder, völlig gebannt von ihm und der Literatur. Sie freute sich auf die Stunden, auch weil sie ihr die nötige Ruhe gaben, um den restlichen Tag zu überstehen.
Neben dem Literaturkurs hatten sie auch die wöchentliche Tutorstunde mit ihm, in der sie alles Organisatorische sowie andere Probleme, die den Kurs betrafen, besprechen konnten.
Diesen Freitag sprachen sie noch einmal über die anstehenden Veranstaltungen in diesem Jahr und er gab Formulare aus, die sie für die Abschlussfahrt benötigen würden. Diese fand bereits in drei Wochen statt, damit sie während der Prüfungsphase nicht abgelenkt wurden.
Nach dem Unterricht schwärmte Am vor sich hin. „In drei Wochen fahren wir für fünf Tage weg! Mit Mr. Blair!"
Holly wurde dies nun ebenfalls bewusst. Sie würden sich den ganzen Tag sehen, außerhalb der Schule. Wie würde es werden? Würde er distanziert bleiben? Ein wenig fürchtete sie sich vor der Fahrt, da sie die fremde Umgebung nicht mochte und nicht wusste, wie sie darauf reagieren würde.
„Wir müssen unbedingt noch shoppen gehen", plapperte Am vor sich hin und sie nickte. „Weil die Kleidung in meinem Schrank nicht angemessen für eine Fahrt mit Mr. Blair ist?", hakte Holly nach und grinste.
„Du hast es erfasst. Außerdem habe ich ein Auge auf einen unserer Jungs geworfen. Meine Güte, dieser Kerl muss in den Ferien als Holzfäller gearbeitet haben, so wie er jetzt aussieht", sagte sie gedankenverloren und starrte einem Mitschüler nach, der letztes Jahr noch recht schmächtig und unscheinbar war, nun jedoch deutliche Muskeln zeigte und breite Schultern bekommen hatte.
„Ich verstehe, Am", lachte Holly leise und zog sie weiter zum Auto. „Wenn du möchtest, dann fangen wir morgen schon damit an."

Am nächsten Tag bummelten sie durch die Innenstadt und Am kaufte wieder ein, als würde sie nur noch das besitzen, was sie am Körper trug. Holly hielt sich zurück, kaufte lediglich für den kommenden Herbst einige neue Shirts, Pullover und Jeans ein. Schließlich würde sie viel Zeit mit Lernen verbringen und dafür musste sie sich nicht so hübsch machen. Trotzdem mogelte Am ihr das eine oder andere schicke Oberteil unter und sogar ein Kleid fand den Weg in ihre Tasche.
Erschöpft und glücklich fuhren sie nach Hause und Holly räumte die neuen Sachen weg, besah sich ihren Schrank und ging in Gedanken durch, was sie auf die Fahrt mitnehmen würde. Sie hatte alles, was sie brauchte. Gut.

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