Holly erwachte, sie fühlte sich erholt und geborgen. Langsam öffnete sie die Augen und sah schemenhaft ihre Umgebung. Sie lag im Bett, doch es roch ganz anders, besser. Der warme Körper neben ihr ebenso. Sie vergrub die Nase erneut in dem Shirt und spürte den ruhigen Herzschlag — Moment! Mr. Blair! Sie lag in seinem Bett! Sie drückte ihre Nase gegen seine Brust!
Sie richtete sich etwas auf und bemerkte, dass er ihre Hand hielt. Ihre Ringe klackerten gegeneinander und brachten sie ungewollt zum Lächeln.
Er bewegte sich und blinzelte sie überrascht an. „Holly? Was? — Oh", kam ihm die Erkenntnis und er setzte sich auf, ließ ihre Hand vorsichtig los. Er fuhr sich durchs Haar. „Ich bin eingeschlafen", murmelte er mit rauer Morgenstimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte und sah sie an.
„Ich auch", sagte sie leise und strich ihr Haar nach hinten.
„Es tut mit leid, Holly. Du bist eingeschlafen und ich wollte dich wecken, dich auf dein Zimmer schicken — aber du hast so friedlich geschlafen", sagte er fast schon schuldbewusst.
„Ich habe ... wirklich gut geschlafen", gab sie zu.
Er schmunzelte und seufzte dann leise. Sein Blick wanderte zu seiner Uhr. „Es ist noch früh. Du hast keinen Schlüssel, oder?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Leg dich wieder hin. Ich stelle den Wecker etwas früher, dann kannst du in dein Zimmer gehen." Er tippte auf seinem Handy.
„Ein weiteres Geheimnis", stellte sie leise fest und er sah sie an, bevor er das Handy weglegte und die letzte Lampe ausmachte. Dunkelheit umfing sie und sie legte sich wieder hin, vergrub das Gesicht in seinem Kissen.
Er legte sich auch wieder hin, doch sie konnte seinen Blick auf sich spüren.
„Danke, dass ich hier bleiben darf", flüsterte sie ins Dunkle.
„Ich würde sagen, jederzeit wieder, aber eigentlich sollten wir das nicht wiederholen", raunte er und seine Hand streckte sich nach ihr aus, legte sich groß und warm auf ihre Wange, strich ihr Haar hinters Ohr und wanderte dann zu ihrer Hand, die über der Decke lag. Er umfasste diese, zog sie sanft zu sich und sie spürte seine Lippen auf ihren Knöcheln.
Holly schloss die Augen. Sie wollte nicht daran denken, was außerhalb dieses Zimmers war und ließ sich in den Moment fallen, rückte näher zu ihm.Er hielt sie nicht auf, als sie sich näher an ihn schob, doch er beherrschte sich, schloss sie nicht in seine Arme, drückte ihren Körper nicht an seinen. Er begnügte sich mit dem, was sie ihm gab und sein Kinn streifte ihren Kopf leicht. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und schloss die Augen, als er ihren Kopf an seiner Brust spürte.
„Schlaf noch etwas, Holly", murmelte er.
Sie seufzte leise und drückte seine Hand, die noch immer ihre hielt.„Holly, wach auf", raunte eine dunkle Stimme und Fingerspitzen fuhren federleicht über ihre Wange.
Sie öffnete die Augen und sah in sein Gesicht. „Gute Morgen", murmelte sie und ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, das er sanft erwiderte. Für einen Moment musste sie sich beherrschen, ihre Hände nicht in seinem leicht verwuschelten Haaren zu vergraben.
„Wir müssen leider aufstehen." Er ließ von ihr ab und setzte sich auf.
Im gleichen Moment vibrierte ihr Handy auf dem Nachttisch.
„Ich bin wach, du kannst zurück kommen", schrieb Am.
„Mein Weg zurück ins Zimmer ist frei", sagte sie und stand zögerlich auf, während sie sich das Haar nach hinten schob. Es musste enden, sie mussten diese kleine Blase verlassen und sich der Realität stellen.
Mr. Blair stand ebenfalls auf, fuhr sich durchs Haar.
Sie nahm ihre Sachen, zog die Schuhe an und drehte sich zu ihm. „Danke dafür, für alles."
Er lächelte sie an, griff nach ihrer Hand und sein Blick hielt ihren fest.
„Ein weiteres Geheimnis", wiederholte er ihre Worte und sie nickte.
„Warum tun Sie das alles für mich?", fragte sie plötzlich und er hätte fast gelacht.
Als wäre dies seiner Selbstlosigkeit und nicht seinem Egoismus entsprungen, ihr nahe sein zu wollen, sie beschützen zu wollen, mit ihr zu reden, sie lachen zu sehen.
„Du weißt, dass du etwas Besonderes für mich bist, Holly. Ich möchte einfach die Traurigkeit aus deinem Blick verbannen, dir helfen — weil ich es offensichtlich kann", erwiderte er bedächtig. „Jetzt geh, bevor das hier kein Geheimnis mehr ist."
Sie nickte und öffnete vorsichtig die Tür. Der Flur war leer und sie huschte zu ihrem Zimmer, wo die Tür einen Spalt offen war. Sie machte sie hinter sich zu und lehnte sich dagegen, atmete tief durch.
„Oh, Holly", begrüßte Am sie mit strahlenden Augen. „Ich sagte zwar, dass du zu ihm gehen sollst, aber dass du gleich bei ihm bleibst — verboten! Erzähl schon!" Sie war ganz zappelig.
Holly legte ihre Sachen ab und setzte sich zu ihr aufs Bett. „Wir haben geredet, dann hat er mir vorgelesen und ich bin eingeschlafen."
„Er wollte dich nicht wecken und hat sich einfach neben dich gelegt", schlussfolgerte sie und Holly nickte.
„Es fühlt sich wie ein Traum an." Sie fuhr sich durchs Gesicht. „Und ich habe so gut geschlafen", fügte sie grinsend hinzu.
„Mit so einem Kuscheltier, kein Wunder", feixte Am.
„Wir haben nicht ... gekuschelt", stellte sie klar, wobei sie das letzte Wort eher nuschelte. „Ich habe mich nicht getraut und er ... meine Güte, Am! Er ist unser Lehrer!" Holly stand entschlossen auf. „Ich geh duschen."
Nachdem sie geduscht und neu eingekleidet war, liefen ihre Gedanken in geordneteren Bahnen. Bis sie bemerkte, dass sie ihr Smartphone bei ihm vergessen hatte, doch sie wollte bis zum Frühstück abwarten.
Da klopfte es und Am war schon an der Tür.
„Guten Morgen, ihr seid schon wach", begrüßte Mr. Blair sie und Holly kam an die Tür.
Er sah sie mit einem amüsierten Funkeln in den Augen an und zog dann ihr Handy aus seiner Hosentasche, um es ihr zu geben.
„Wenigstens war es nur das Handy und nicht ihr Höschen", kicherte Am leise und beide sahen sie erschrocken an.
„Am!" — „Amanda...!", kam es zeitgleich von beiden, doch sie hob kapitulierend die Hände.
„Das war ein schlechter Scherz, tut mir leid", beschwichtigte sie die beiden und verschwand im Zimmer.
Holly stand ihm nun allein gegenüber und sie sah, dass er auch gerade duschen gewesen war, sein Haar war noch immer etwas feucht und sie würde zu gern — „Du siehst erholt aus", riss er sie aus ihren Gedanken.
Sie grinste. „Die Nacht war sehr erholsam."
Er schmunzelte. „Bis gleich." Dann ging er weiter.
Sie schloss die Tür und und Am sah sie wieder mit diesen strahlenden Augen an. „Ihr seid beide so verklemmt", kicherte sie.
„Weil ich mich nicht auf ihn gestürzt und ihm die Kleider vom Leib gerissen habe? Das wäre seltsam — er ist unser Tutor."
„Du und deine Vernunft. Lass uns zum Abschlussball noch einmal darüber reden", sagte sie amüsiert.
Sie gingen zum Frühstück und Mr. Blair nickte ihnen zu. Die Wärme war aus seinem Blick gewichen und er war der unnahbare Lehrer, alles war wie immer — außer, dass Holly nun wusste, wie seine leicht kratzige Morgenstimme klang, wie sein Haar etwas verwuschelt aussah und wie sich seine Lippen auf ihrer Stirn anfühlten.
Sie konzentrierte sich aufs Essen, um davon gedanklich Abstand zu nehmen. Schließlich war da noch immer der Sommer, der jede Art von Distanz und Grenze zwischen ihnen für einen Abend gesprengt hatte.
Bilder von ihm tauchten auf: wie er in Shorts und T-Shirt vor ihr stand, seine Hände auf ihrer Haut, seine Lippen an ihrer Schläfe, sein Auftauchen aus dem Wasser, der warme Körper unter Wasser, an den sie sich presste, seine Worte, sein Anblick in Badehose, nur ein Handtuch um den Nacken gelegt. Sie kniff die Augen zusammen und starrte dann auf ihren Teller, appellierte an ihre Vernunft.
Er war ihr Lehrer, ihr Tutor! Der Sommer war eine Sache, die außerhalb von allem stand. Eine Blase, in der sie sich für einen Moment fallen gelassen hatten, mehr nicht. Eine Blase, wie auch die letzte Nacht. Sie hatten nichts mit der Realität zu tun und sollten diese nicht beeinflussen. Das zeigte Mr. Blair ihr durch sein Verhalten deutlich und sie war ihm dankbar dafür. Mit einem tiefen Atemzug sah sie zu Am und begann mit ihr ein Gespräch, um sich davon abzulenken.
Um 9 Uhr trafen sie sich wieder am Bus und fuhren eine Schlossanlage an, die eine gute Stunde Fahrt entfernt war. Während der Fahrt holte sie das Buch heraus, blätterte dann verwirrt darin. Schließlich drehte sie sich zu Mr. Blair um und er sah sie fragend an.
„Welche Seite?", fragte sie leise und hielt ihm das Buch hin.
Er schmunzelte, nahm es und begann zu blättern. „Ich glaube, hier bist du eingeschlafen", erwiderte er so leise, dass sie es kaum verstand und schob das Lesezeichen dorthin, da er es gestern vergessen hatte. Er gab ihr das Buch zurück, ihre Finger berührten sich.
„Danke." Sie drehte sich wieder um und sah zu Am, die nur vor sich hin grinste und mit den Augenbrauen wackelte.
Wortlos begann Holly zu lesen und überbrückte die Fahrzeit damit.
Am Ziel angekommen, stand ihnen ein Fußweg zum Schloss bevor und die meisten atmeten schwer, aufgrund der stetigen Steigung. Mr. Blair hingegen hielt das offensichtlich für einen Spaziergang und trieb die letzten etwas an.
Holly und Am liefen im Mittelfeld und Am grinste schon wieder breit. „Er hat Ausdauer."
„Er macht ja auch Sport, Am", erwiderte sie resigniert und atmete die würzige Waldluft tief ein.
Oben angekommen, bekamen sie eine Führung und anschließend gab es Mittagessen, bevor sie einen Workshop machten, der sie bis zum Nachmittag beschäftigte.
Wieder im Bus, setzte sie sich auf ihren Platz und wartete, dass alle saßen und durchgezählt wurde.
„Willst du dich zu mir setzen?", fragte Mr. Blair plötzlich. Er stand neben ihr und hatte sich etwas zu ihr hinab gebeugt.
Sie nickte und er machte ihr Platz, sodass sie sich eine Reihe weiter hinten ans Fenster setzen konnte. Als der Bus losfuhr, setzte er sich neben sie und sah sie mit warmen Blick an. „Wie geht es dir?"
„Gut, denke ich. Nur erschöpft", erwiderte sie matt und sah ihn an, sah den zufriedenen Ausdruck in seinen Augen.Sie fühlte sich gut, wegen ihm, wegen seiner Nähe, seinem Rückhalt, den er ihr gab. Etwas Primitives in ihm wollte sich auf die Brust trommeln, allen zurufen, dass er es war, der ihr so half — doch er beherrschte sich, genoss lediglich das Gefühl. „Du kannst schlafen, ich wecke dich dann", sagte er, bevor er weiter darüber nachdenken konnte.
Holly blinzelte etwas verwirrt. Sie dachte, sie saß neben ihm, damit sie sich unterhalten konnten, doch sie spürte die Müdigkeit und bezweifelte, dass sie die Konzentration dazu aufbringen konnte. Daher nickte sie nur und schloss die Augen, lehnte den Kopf gegen das Fenster. Allerdings wachte sie immer wieder auf, sobald der Bus etwas ruckelte und ihr Kopf gegen das Glas schlug.
Er sollte nicht ... er sollte stattdessen — sein Arm wanderte zu ihr, zog sie vorsichtig in seine Richtung, bis ihr Kopf an seiner Schulter lag. Sie seufzte leise, erwachte aber nicht.
Im Bus war es ruhig, da alle erschöpft waren und die Lehrerin saß weiter hinten, sodass niemand mitbekam, was er hier tat. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht und er genoss diesen gestohlenen Moment, bevor er sich seinem Buch widmete.
Vor dem Hotel angekommen, strich er mit den Fingerspitzen über ihre Wange. „Holly", raunte er sanft.Sie öffnete langsam die Augen und sah zu ihm auf. Warum war er ihr so nah? Ihre Gesichter waren kaum eine handbreit voneinander entfernt und im Sonnenschein des Abends sah sie das warme Braun seiner Augen. Sie bewegte sich und stellte fest, dass seine Schulter ihr Kopfkissen gewesen war. Seine Augen sahen sie mit diesem warmen Blick an, die Lippen zu einem kleinen Lächeln verzogen.
„Wir sind da", sagte er und nahm die Hand von ihrer Wange.
Sie setzte sich auf und suchte ihre Sachen zusammen, während er sich schon erhob. Gemeinsam mit Am verließ sie den Bus. Die grinste schon wieder breit und hielt ihr das Smartphone hin. Holly nahm es und sah auf ein Foto, das sie zwischen den Sitzen gemacht hatte. Ihr Kopf lag an seiner Schulter und er sah zu ihr hinab, ein Lächeln im Gesicht.
„Das ist so süß", presste Am atemlos hervor und nahm das Handy wieder an sich, als wäre es ihr größter Schatz. „Zu eurer Hochzeit bekommst du all die geheimen Schnappschüsse", sagte sie grinsend.
Holly schüttelte amüsiert den Kopf. „Ach, Am. Er ist unser Lehrer und er hilft mir nur."
„Das werde ich alles in meine Rede einfließen lassen", sagte diese nachdenklich und nickte zufrieden, als hätte sie ihre letzten Worte gar nicht gehört.
„Am!" Holly lachte und sie stimmte mit ein.
Was für eine verrückte Idee.Im Hotel hatten sie kaum eine halbe Stunde, bevor es Abendessen gab. Holly blieb etwas länger sitzen und hielt durch, bis Amanda fertig war. Im Zimmer machten sie es sich gemütlich und statt Zimmerparty war Am heute für einen Film, den sie sich auf ihrem Tablet ansahen.
Gegen 21 Uhr klopfte es leise und Am sah sie an „Das wird für dich sein", sagte sie.
Holly erhob sich, fuhr sich durchs Haar und öffnete die Tür.
Mr. Blair stand vor ihr und sah sie an, forderte mit diesem einen Blick ihre gesamte Aufmerksamkeit. „Guten Abend, Holly. Wie geht es dir?", fragte er leise. Was er eigentlich fragte: Brauchst du mich?
„Es geht mir gut. Am schaut mit mir einen Film." Sie zögerte, sah ihn unsicher von unten herauf an. „Aber morgen Abend ... ich bin mit dem Buch fast fertig."
Er nickte und schenkte ihr ein Lächeln. „Gute Nacht."
„Gute Nacht, Mr. Blair", sagte sie leise und schloss die Tür, sobald er gegangen war.
„Hast du morgen Abend also etwas vor?", fragte Am vom Bett aus.
Holly nickte und ein Grinsen stahl sich ungewollt auf ihre Lippen.
„Du wirst ihn noch vollkommen um den Finger wickeln", prophezeite ihre Freundin enthusiastisch.
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Sound and Poetry
RomanceHolly liebte die Literatur, verlor sich allzu gern zwischen den Seiten eines Buches. Dass diese Liebe sich auch auf ihren Lehrer für Literatur ausweiten würde - damit hätte sie niemals gerechnet. Ethan hatte nicht nach Liebe gesucht. Und dann saß pl...