Narben der Vergangenheit

15.3K 871 70
                                    

"Wie läuft's mit den Abschlussprüfungen ?" Mein Vater hatte mich im Anschluss zum Essen eingeladen und abwesend stocherte ich in meinen Nudeln. Er zieht wieder hier her. Mein Vater würde mir wieder ganz nah sein. Ich war so glücklich. Sasha hatte die Sache akzeptiert, Justin machte den Eindruck als würde er schön langsam hindrüber weg kommen und mein Vater würde nur ein paar Straßen entfernt wohnen. Nur Finn. Das war immer noch ein Problem. Ich nahm mir vor noch heute mit ihm zu reden. Ich wollte doch mit ihm zusammen sein, aber ich musste natürlich sicher sein er würde das auch wollen. Was war nur mit Rene ? Ein Junge, der nicht mal mehr hier lebte brachte alles durcheinander. Ich wurde aus meiner Gedankenwelt gerissen, als mein Vater mir leicht gegen das Bein trat: "Hey Kevin, erzähl doch mal." Ich schüttelte mich: "'Tschuldigung. Also ja, es läuft ganz ok. Übermorgen schreibe ich noch Kunst und dann war's das. Mathe und Englisch war nich so der Knaller, aber meine Gesamtnoten halten mich ja über Wasser, denke ich." Mein Vater nickte zufrieden.

Ich verabschiedete mich und machte mich auf zu Sashas Wohnung. Wieder dachte ich an Finn und meine Mundwinkel senkten sich. Was er jetzt wohl macht ? Mein Magen zog sich zusammen. Es tut mir so leid, Finn ! Ich zitterte und mein Herz raste als ich gegen die Klingel drückte. Ich hörte Schritte hinter der Tür und wenig später sah ich in seine Augen: "Komm rein. Dachte mir schon, dass du es bist." Ich folgte ihm stumm in sein Zimmer und schüchtern setzte ich mich auf sein Bett. Er drehte mit dem Rücken zu mir und beugte sich über den Schreibtisch. Ich streckte mich um zu erkennen was er da machte konnte aber nichts sehen. Ich nahm meinen Rucksack auf den Schoß und zog seine Zeichnung heraus: "Die hast du vergessen." Er drehte sich nicht um. Ich seufzte: "Finn ?" Er war sauer, ganz klar. Vielleicht auch verletzt oder traurig. Nervös sah ich mich in seinem Zimmer um: "Hör zu. Es tut mir leid. Ich hätte nicht so... so reinkommen sollen. Aber ich war so wütend. I-ich verstehe es immer noch nicht, aber vielleicht wenn du es mir erklärst-" "Hör zu Kevin, ich habe keine Zeit, verstehst du ?" Wieder brodelte es in mir und wütend stand ich auf: "Sag mir doch einfach was damals war ! Ich bin dein Freund, ich möchte, dass du ehrlich zu mir bist." Nun dreht auch er sich zu mir um und funkelte mich böse an: "Was gehen dich Dinge aus meiner Vergangenheit an ? Ich muss dir gar nichts erzählen."
"Es ist aber wichtig für uns ! Ich habe ein Recht darauf es zu erfahren !" Finn stürmte auf mich zu und packte meine Arme. Rücklings lag ich auf dem Bett und geschockt starrte ich ihn an. Finn drückte sein rechtes Bein zwischen meine und Tränen rannten über seine Wangen: "Hast du eine Ahnung wie lange es dauert schlimme Dinge zu verarbeiten. Ich habe versucht zu vergessen. Ich habe mich versteckt, konnte nicht mehr der sein, der ich war. Ich habe alles in mir vergraben. I-ich-" Tränen fielen auf mein Gesicht. Finn weint ! Ich konnte mich nicht bewegen, so fest drückte er meine Arme gegen das Bett.
"Du kannst mir vertrauen." sagte ich ruhig. Er nickte: "Das weiß ich doch, aber-" Er lockerte seinen Griff. Dann setzte er sich aufrecht neben mich und half mir hoch. Zitternd starrte er zu Boden. Ich nahm sein Hand:
"Finn, bitte." Er atmete tief ein und sein eiserner Blick sah mich nur flüchtig an ehe er wieder am Fußboden klebte:"Es war vor vier Jahren."

"Darf ich vorstellen. Rene, das ist mein Bruder Finn. Finn, das ist Rene mein Freund." Ich gab ihm meine Hand: "Freut mich." Er nickte grinsend und nachdem er im Wohnzimmer Platz genommen hatte, nahm mich Sasha kurz zur Seite: "Finn, wie findest du ihn bis jetzt ?" Besorgt sah ich sie an: "Er ist doch fast so alt wie ich. Wie oft ist er denn durchgefallen ?" Sasha verdrehte die Augen: "Er ist sogar älter als du. Einmal und zu früh eingeschult worden. Aber das meinte ich doch nicht." Ich starrte sie ungläubig an: "Sasha du bis gerade 15 geworden ! Das ist illegal." Sie schnalzte mit der Zunge: "Er ist 17. Nur ein paar Monate älter als du !" Genervt ging sie. Ich blickte ein weiteres mal ins Wohnzimmer. Rene winkte mir freundlich zu. Beunruhigt ging ich in mein Zimmer. Ich warf mich auf mein Bett und starrte die Decke an. Das meine kleine Schwester jetzt einen Freund hatte machte mir schon Sorgen. Sie war doch noch so klein. Mein Herz raste als ich mir vorstellte wie sie miteinander- Stopp ! Das geht dich nichts an, Finn ! Ich versuchte mich mit ein wenig Fernsehen ab zu lenken. Die ganzen Soups und Teenie-Liebesfilme bewirkten jedoch genau das Gegenteil. Ein Freund also. Naja.

"Warte nicht auf mich. Ich...ich komme heute nicht nach Hause." Fassungslos starrte ich sie an: "Heißt das etwa -?" Sie gab mir einen Kuss auf die Wange: "Danke für's fahren, Bruderherz." Es dauerte keine zehn Sekunden, da war sie schon im Haus verschwunden. Mittlerweile war ich stolze 18 Jahre alt und Sasha und Rene gut ein halbes Jahr zusammen. Ganz sicher würden sie heute miteinander schlafen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen welche Schmerzen ein Mädchen beim ersten Mal verspühren würde. Ich muss Sasha vertrauen, schließlich ist sie alt genug. Aber Rene... Ich hatte ihn nur vage kennen gelernt. Was fand Sasha nur an ihm ? Er war mir unheimlich und dazu noch einen Kopf größer als ich. Zwei Köpfe größer als Sasha. Außerdem schien es immer so als würde er mich beobachten. So auch am Freitagabend. Sasha und er saßen eng umschlungen auf der Couch während ich den Abwasch machte. Ich bermerkte Rene erst viel später. Er stand direkt hinter mir. Ich bekam eine Gänsehaut als er etwas in mein linkes Ohr flüsterte. Geschockt ließ ich einen Teller fallen. Rene grinste. Immer wieder hallten seine Worte in meinem Kopf: "Ich kenne dein Geheimnis, Finn. Ich weiß, dass du schwul bist." Ich zitterte und wurde rot vor Scham. Ich drehte mich zu ihm:
"D-das stimmt doch gar nicht..." Ich brachte kaum ein hörbares Wort heraus, so leise war meine Stimme aus Angst. Renes Grinsen wurde breiter: "Du musst mir gar nichts vormachen. Aber dein Geheimnis ist bei mir sicher, wenn du mir einen Gefallen tust." Rene trat näher an mich heran. Automatisch versuchte ich ihm auszuweichen, die Küchentheke hinter mir machte das jedoch unmöglich. Ich versuchte selbstbewusst zu wirken und sah finster zu ihm hinauf: "Ich lass mich nicht erpressen..." Rene lachte, was mich wieder verunsicherte. Er leckte mir über mein linkes Ohr. Geschock zuckte ich zusammen.Ich wusste es ja selbst schon lange, dass ich schwul war, aber für ein Outing war ich keines Falls bereit. Aber Rene erzeugte ihn mir mehr Panik als Erregung, weswegen mein Körper nicht gerade sehr auffällig reagierte. Er strich mir über die Brust und flüsterte: "Das werden wir schon noch sehen."

Großer Bruder, Große Liebe (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt