1 - Die Lichtung

29 4 2
                                    

Meine Eltern verheimlichten etwas vor mir. Das wurde mir schlagartig klar, als ich die Wohnung betrat. Meine Mutter machte dieses es-ist-alles-okay-aber-doch-nicht Gesicht, bei dem jeder wusste, dass sie einem etwas nicht erzählte. Was kann ich sagen? Sie ist eine schreckliche Lügnerin.

Tadaima, okâsan. Ich bin aus der Schule zurück." ich umarmte sie, und sie drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Ich wollte das Thema nicht ansprechen, Mutter sollte sich nicht unwohl fühlen.

Okaeri, Aki-Chan. Ich hoffe, du hattest Spass in der Schule." murmelte meine Mutter mir in meine Haare. Ihr warmer Atem fuhr über meine Kopfhaut, und ich schmiegte mich enger an sie. Ich lächelte sie an, was sie jedoch nicht erwiderte. Nicht so, wie sie es normalerweise tat. Langsam löste ich mich von ihr, und sie wollte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, doch bevor sie mich anfassen konnte, zuckte ich zurück. Ich hasste es, wen jemand meine Haare berührte.

Entschuldigend sah ich sie an, dann ging ich schnurstracks in mein Zimmer, um noch die Hausaufgaben für Morgen zu machen. Ich band mir die Haare zusammen und stülpte mir meine Kopfhörer über die Ohren. Ich lief zu meinem Schrank und zog die Schuluniform aus und ersetzte sie durch eine Trainerhose und einen gemütlichen Rollkragenpulli. Dann holte ich mein Heft hervor und begann, den Aufsatz über Jimmu, der der Legende nach der Gründer des japanischen Reiches war, zu schreiben. Ich holte meine Laptop aus meinem Rucksack hervor, öffnete Wikipedia und begann zu recherchieren.

Versteht mich nicht falsch, es war interessant, aber in Gedanken war ich nicht ganz beim Thema. Ich fragte mich immer wieder, was eine Eltern bloß vor mir verheimlichten. Ein langer Seufzer entwich meinen Lippen, und ich schüttelte den Kopf. So würde das nichts werden. Ich musste mich konzentrieren! Missmutig wandte mein Blick von meinem Fenster, das einen Ausblick auf Kyoto, meiner Heimatsstadt, warf, wieder auf mein Heft. Dann schrieb ich weiter. Zeichen um Zeichen, bis ich zwei volle Seiten geschrieben hatte. Ich schüttelte mein Handgelenk aus, um es zu lockern. Es war vom vielen Schreiben ein wenig steif.

Genau da rief mich meine Mutter mich zum Essen und ein verführerischer Duft stieg mir in die Nase. Ein sehr bekannter. Gab es wirklich Onigiri? Ich stand schnell auf un lief Geschwind ins Esszimmer. Mein Handy ließ ich auf meinem Schreibtisch liegen. Tatsächlich - auf dem Tisch standen die Reisbällchen, die ich so sehr liebte. Als Mutter eintrat, fiel ich ihr förmlich um den Hals.

„Danke, okâsan! Danke, danke, danke!" Bei uns gab es nicht so oft Onigiri, da meine Eltern es beide nicht so sehr mochten. Mutter lächelte mich an, während ich von ihr abließ und mich auf ein Kissen plumpsen ließ. Ich nahm meine Stäbchen in die Hand und angelte mir geschickt ein Reisbällchen vom Teller. Da kam auch Vater ins Zimmer und setzte sich an das Kopfende des Tisches.

„Aki-Chan." begrüßte er mich und ich lächelte ihn an.

Ich hörte wie Mutter nervös schluckte. Mein Blick wanderte zu ihr, und wieder zu Vater. „Alles gut?" fragte ich leise.

Mutter sah mich an, und öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch Vater war schneller und sagte: „Aki-Chan, wir ziehen weg."

Ich verschluckte mich an meinem Reisbällchen und hustete und röchelte. Mutter stand auf und eilte an meine Seite, um an meinen Rücken zu klopfen. Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, sah ich Vater mit einem ungläubigen, aber auch fassungslosen Blick an. „Wie bitte?" brachte ich hervor, immer noch von Hustenanfällen befallen.

„Wir ziehen weg, Aki-Chan. Wir verlassen Kyoto." Vater sagte dies mit so einer Kälte in seiner Stimme, die mir einen kalten Schauer über den Rücken fahren ließ.

Fassungslos sah ich ihn an und schaffte es gerade noch, die armseligen Überbleibsel meines Reisbällchens zu schlucken. „Wohin?"

Vater holte tief Luft, bevor er sagte: „Nach Boston." Boston? Wo war denn das? „In die USA."

KitsuneblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt