5 - Erstes Training

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Der restliche Schultag verlief ohne jegliche Zwischenfälle. Wo auch immer ich hinging, alle Schüler schienen einen großen Bogen um mich zu machen. „Kann dir nur Recht sein!" verkündete Kaira zum zehnten Mal an diesem Tag. Ist gut, ich hab's verstanden! Fuhr ich sie an. „Ich sag doch nur..." meckerte sie. Gott. Es waren gerade mal 48 Stunden vergangen, und schon stritten wir uns. Würde das jetzt immer so sein? „Ja wird es, wenn du dich aufhörst, wie eine kleine, unreife zehnjährige zu benehmen!" rief die Füchsin beleidigt. Kannst du nicht mal still sein? Oder noch besser; kann man dich wie ein Handy Stummschalten, damit ich nicht mehr mit dir reden muss? Ich hatte nicht bemerkt, dass ich meine Zähne entblößt hatte. Die anderen Schüler sahen mich entgeistert an, als ich auch noch sanft knurrte. Einige wandten sich ihren Freunden zu und begannen zu tuscheln.

„Heyyy!" jemand stoppte neben mir. Ich drehte mich um und sah - wen sonst - Kato. „Pass doch auf!" knurrte ich ihn an. Der Junge lachte und machte mit seinen Händen eine Krallenbewegung. „Meowww! Da muss wohl jemand seine Krallen wetzen." er grinste. Ergeben seufzte ich. „Was willst du.", fragte ich, als er mich misstrauisch beäugte. „Du hast Takahashi quer durch den Raum geschleudert. Wie hast du das bewerkstelligt?" wollte er wissen. Ich erstarrte. „Karate. Du machst Karate." „Ich mache Karate." wiederholte ich Kairas Worte. „Auf einem sehr hohen Level." fügte ich hinzu, damit es glaubwürdiger erschien. „Aha." kommentierte Kato meine Aussage, ging aber nicht weiter drauf ein. Er schien es zu akzeptieren. Ich wagte es nicht, erleichtert aufzuseufzen, weil ich nicht wollte, dass er mich wieder des Lügens verdächtigte.

Sosehr es mich auch wunderte, wollte ich nicht, dass dieser Junge mich verachtete.

„Und wo geht's jetzt hin?" fragte er. „In den Wald." sagte ich, ohne ihn anzuschauen. „Ich muss frische Luft holen. Alleine." Ich betonte letzteres, damit er nicht auf dumme Gedanken kam. „Keine Begleitung? Schade." er zuckte mit den breiten Schultern. Katos braune Augen blickten mich verschmitzt an, das blond gefärbte Haar fiel ihm ins Gesicht. Ich blickte ihn skeptisch an. Versuchte er, mich zu verführen? Wenn ja, funktionierte es... nicht. Hoffte ich mal. „Ja. Alleine. Und wehe du folgst mir." Ich sah ihn eiskalt an. Er hob abwehrend die Hände. „Keine Sorge, ich werde dich schon nicht stalken!"

Mit diesen Worten drehte ich mich ab und lief zum Wald. Meine Füße schlugen wie von selbst den gleichen Weg wie vor zwei Tagen ein, als hätte sich der Weg in meinem Unterbewusstsein eingeankert. „Hat er auch." antwortete Kaira, als ich ihr meinen Gedanken erzählte. „Dies ist der Ort, an dem sich deine Kräfte gebildet haben. Diesen Ort merkt sich der Körper automatisch." Ihre Aussprache war perfekt, auch wenn die ihre ein bisschen anders war, verstand man sie ohne jegliche Probleme. Ich nickte. Ahaaa... verstehe.

Ein paar Minuten später ließ ich mich neben demselben Schrein nieder, an dem ich auch meine Kräfte erhalten hatte. Ich spürte das Gras an meinen Fingern und schloss die Augen. Schule war echt anstrengend. Langsam driftete ich in den Schlaf, und mein Bewusstsein flog davon... „Hey! Nicht einschlafen!" Kairas glockenhelle Stimme ertönte laut und durchdringend in meinem Kopf. Wie ein Peitschenhieb. Au! Sei nicht so laut! Maulte ich sie an, gefolgt von noch ein paar Fluchsalven. Ich hörte Kaira nur ihr unschuldiges Lachen lachen. Ich schnaubte. Sei du mal diejenige, dessen Kopf zuerst von Schule und dann von einem blöden unschuldig wirkenden Geist, der seine Lautstärke nicht im Zaum halten kann, zerschmettert wird! Es ist nicht lustig, so viel kann ich dir versprechen.

Danach war Kaira still. Aber auch nur für kurze Zeit. Was für Hoffnungen ich mir doch schon gemacht hatte. „Alsoooooooo~ wir nochmal mit der Übung von gestern an! Beschwöre dein Katana." Ich stöhnte und legte mich flach auf das Gras. „Du kennst echt keine Gnade, oder?" fragte ich. Es war niemand um uns herum, also redete ich laut. Kaira kicherte. Läge sie mir gegenüber, hielte sie bestimmt ihre Hand vor ihren Mund. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie sie aussah, aber so wie sie sich verhielt, war sie bestimmt in einer edlen Familie aufgewachsen und achtete sehr auf ihre Körperpflege.

„Okay! Wie war das nochmal...? Stell es dir vor, genau, mach es wahr. Mach es wahr, Aki." murmelte ich mir zu. Ich stand auf und stellte mich mit einer stabilen Körperhaltung auf. Die Kitsune hatte gesagt, das sei das A und O. Ich konzentrierte mich auf das Kribbeln in meiner Magengrube, darauf, wie es sich bis in die Fingerspitzen ausbreitete und sich dort materialisierte. Das Katana formte sich in meinen Händen, so schön wie eh und je. Ich staunte, als ich es in den Händen hin und her wog. Probehalber wirbelte ich - wenn auch etwas sehr unbeholfen - es in der Hand herum. Auf der anderen Seite der Lichtung ächzte ein Baumstamm und ein Ast fiel mit einem Krachen zu Boden. Ich sah ungläubig von meinem Katana zu dem betroffenen Baum. „Was- war das ich?" Kaira lachte. „Das warst du, Koinu. Wie gesagt haben wir Kitsune neben der Kraft der Illusion auch die Kraft der Luft. Weisst du nicht mehr, was ich dir vor knapp 4 Stunden gesagt habe? Tststststs, da müssen wir aber dein Erinnerungsvermögen etwas verbessern." 

Ich hüpfte auf einem Bein. Ich hatte es nicht mal bemerkt. Erst als Kaira mich darauf hinwies, wurde ich mir dessen bewusst. Ich grinste verlegen und ich hörte sie lächeln. Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, hören ist auch das falsche Wort, aber ich spürte, wie sie lächelte. Sonst war immer ein Geräusch von ihr notwendig gewesen, aber ich konnte sie nun ohne Laute verstehen.

„Gut. Jetzt lass uns trainieren. Ich will wissen, wie ich Ruri nochmal in den Hintern treten kann." Als ich Kairas prüfenden Blick spürte, kicherte ich und fügte hinzu: „War nur ein Scherz. So etwas würde ich doch nieeeeee tun. Oder etwa schon?" Ich grinste schelmisch. Als Kaira schwieg, sagte ich: „Ach komm! Jetzt sei nicht so... Es war ein Scherz, versprochen! Bitteeeeeeeeeeee" Hörte ich mich eigentlich selbst? Ich klang wie ein Kleinkind, dass nach Süssem bettelte.

„Natürlich, kleine Aki. Grundsätzlich musst du es einfach wahr machen, das Ergebnis vor deinem inneren Auge veranschaulichen. So weit so gut, richtig?" Ich nickte. Es klang wirklich einfach. „Also geh jetzt zu dem Baum hinüber. Den, in den du auch eine Kerbe geschnitten hast." Ich befolgte ihre Anweisung. „Lass die Kerbe verschwinden." „Hä? Wie soll ich denn das machen? Ach so. Illusionen. Natürlich. Klar, was auch sonst?" Ich schnaubte und stellte mich vor den Baum, sie Hand leicht angehoben. Sanft legte ich meine Hand auf die Einkerbung und stellte mir vor, wie sie verschwand. Das Kribbeln kam wieder und floss in den Baumstamm. Als ich sie wieder öffnete, war der Teil des Baumes, den ich verändern wollte, in ein weisses Licht getaucht, dass stetig pulsierte. Wie ein Herzschlag. Fasziniert bestaunte ich das Phänomen. „Hey! Konzentrier dich gefälligst, Koinu!" Vor Schreck über die plötzliche Kontaktaufnahme zuckte ich zusammen. Wer auch nicht? Auf jeden Fall verblasste das Licht augenblicklich. „Das ist jetzt aber auch nicht meine Schuld!" rief ich. „Ich habe buchstäblich nichts gesagt. Zieh deine Krallen ein und versuche es nochmal."

Und so versuchte ich es nochmals. Und tatsächlich! Es klappte! Als das weisse licht verschwand, sah man auch keine Einkerbung mehr. Als ich die Hand danach ausstreckte, konnte ich sie aber spüren. Eine Illusion eben. „Gut gemacht, Aki! Du hättest es schon bei Versuch Nummer eins geschafft, aber naja... man kann ja nicht perfekt in allem sein, oder?" Ich schnaubte. „Sehr lustig." Als meine Konzentration schwand, erschien auch die Einkerbung wieder. „Das wird schon", munterte mich die Füchsin auf. „Bald kannst du es auch, ohne dich gross konzentrieren zu müssen! Bis dahin brauchst du einfach viel Übung."

So schloss ich meinen Training für heute ab. Kaira verkündete freudig, dass wir von nun an immer hierhin kommen würden. Jeden Tag nach der Schule. Und sie hatte mir sogar Hausaufgaben aufgebrummt! Ich musste heute vor dem Schlafengehen eine Illusion erschaffen. Ich war frei in der Wahl. Als ich nach Hause kam, war Yuto wieder in seiner Wohnung zurück und meine Eltern sahen mich mit einem Blick an, den Leute töten könnte.

Die Schule hatte angerufen.

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