Voller Gedanken

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Als ich nach Hause komme, bin ich alleine. Nala sehe ich nicht. Wahrscheinlich ist sie noch auf ihrem morgendlichen Spaziergang durch das Viertel. Schade. Ich fülle ihr trotzdem schonmal ihr Frühstück in den Napf. Dann gehe ich in mein Zimmer und lege mich auf mein Bett. Oh Mann, ich hoffe, ich habe Frau Hofer keine Umstände gemacht. Wie kann sie nur so nett sein? Ich bin ihr jedenfalls sehr dankbar. Aber jetzt weiß sie noch mehr über mich... Ich wollte doch vermeiden, dass sie noch mehr erfährt und womöglich mit meinen Eltern sprechen will. Die werden mich umbringen, wenn sie erfahren, dass ich unser schlechtes Verhältnis nicht geheimhalten konnte. Naja, jetzt sind sie ja erstmal ein paar Tage weg. Und ich sollte mich mal um die Schulaufgaben kümmern, die ich für die kommende Woche noch machen muss.

Das Wochenende vergeht leider viel zu schnell. Wie jedes Wochenende eigentlich. Doch eine Sache war anders. Ich habe sehr oft an eine Person gedacht. Eine bestimmte Person. Dafür kann ich aber nichts. Sie war immer auf einmal in meinem Kopf. Auch wenn ich abends extra nicht aus dem Fenster geschaut habe. Sogar die Deutsch Hausaufgaben habe ich nicht gemacht, um nicht an sie zu denken. Ja. Das war vielleicht ein bisschen dumm... naja. Ich versuche mich abzulenken, indem ich Youtube schaue oder mit Nala spiele.

Bald schon ist Dienstag. An diesem Tag ist normalerweise nichts besonderes, außer, dass wir Deutsch haben. Es ist das erste Mal, dass ich Frau Hofer seit der Übernachtung sehe. Wie soll ich damit umgehen? Soll ich mich nochmal bedanken, oder es eher verschweigen? Die Pause davor ist eventuell etwas zu spät, um darüber noch zu grübeln... "Na, worüber denkst du nach?", höre ich Merle fragen, "oder soll ich fragen, über WEN denkst du nach?", sie schaut mich vielwissend an. "Über niemanden. Ich weiß gar nicht, worüber du sprichst", antworte ich. Natürlich wissen wir beide, über wen ich nachdenke, wie auch immer Merle das so schnell gecheckt hat. "Oh, Frau Hofer kommt!", sagt sie schnell und ich schaue sofort mit aufgerissenen Augen zur Tür. Niemand kommt rein. Merle lacht. Ich schaue sie nur ertappt an und verdrehe meine Augen. "Ok, du hattest recht", gebe ich zu, "ich habe aber nur über eine Ausrede für die fehlenden Hausaufgaben nachgedacht!"

Plötzlich öffnet sich die Klassenraumtür und Frau Hofer kommt wirklich rein. Als ich sie sehe, läuft ein leichter Schauer über meinen Körper. Aber nicht so ein Kalter. Es fühlt sich irgendwie wärmer an, aber trotzdem auch so wie sich Angst anfühlt. Ihre Haare sind offen und sie trägt Skinnyjeans mit einer etwas geöffneten Bluse. Ihre Haut sieht irgendwie brauner aus, wodurch ihre Augen noch grüner leuchten als sonst. "Wow", denke ich und spüre auch schon Merles Blick auf mir.

Gedanken habe ich mir aber umsonst gemacht. Sie schaut mich nicht anders an oder behandelt mich seltsam. Im Gegenteil. Sie lächelt mich an. Mit ihren wunderschönen Lippen. "Langsam wird es auffällig", höre ich Merle neben mir flüstern. Das ist mein Zeichen, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Am Ende der Stunde sollen wir noch eine Partnerarbeit machen. So halb arbeite ich auch mit. Aber nebenbei muss ich einfach hin und wieder zu Frau Hofer schauen. Dann meldet sich jemand am Tisch neben uns und während sie zu diesem Tisch läuft schaut sie mich an, als wolle sie meine Aufmerksamkeit. Als sie neben mir steht und mit den anderen redet, holt sie den Fünf-Euro-Schein von Samstag aus ihrer Hosentasche und hält ihn mir unauffällig hin. Ich nehme ihn heimlich. Ganz klein darauf steht "Gerne". Als sie sich umdreht, um wieder nach vorne zu gehen, schaut sie mich an und flüstert: "Passt schon." Dabei zwinkert sie. Ich lächel zurück.

Die Woche vergeht schnell und ich versuche wirklich, mich auf die Schule zu konzentrieren. Dafür muss ich Frau Hofer echt mal ausblenden. Das funktioniert sogar ein bisschen. Eigentlich läuft die Woche gut. Sogar als meine Eltern wiederkommen, ist es nicht so schlimm wie sonst. Nächste Woche sind Herbstferien, da sehe ich Frau Hofer nicht und ein Blick auf den Vertretungsplan verrät mir, dass sie die ganze Woche danach nicht da ist. In mir steigt ein negatives Gefühl auf. Wie soll ich denn Motivation für diese Zeit bekommen, wenn ich meine Lieblingslehrerin nicht sehe? Obwohl... vielleicht ist es ja gut? Dann geht sie mir ja eventuell wieder aus dem Kopf...

Forest EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt