Sportunterricht

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Am Wochenende kommt die Email mit dem neuen Stundenplan. Ich öffne die Datei und schaue ungewollt direkt auf Deutsch. Wir haben das Fach jetzt montags und donnerstags. Als nächstes schaue ich auf den Mittwoch. 5. und 6. Stunde Sport. Dann springen mir zwei Buchstaben ins Auge: A.H. Wir haben Sport bei Frau Hofer?! Oh mein Gott, echt jetzt? Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Frau Hofer in Sportkleidung? Ja bitte. Aber halte ich es aus, sie noch öfter zu sehen, mit der Sehnsucht, die ich jedes Mal habe, wenn ich sie anschaue?

Die erste Sportstunde beginnt gut. Wir versammeln uns zwar in der Turnhalle, holen dann aber unsere Hoodies und gehen auf einen Sportplatz ein paar Minuten von der Schule entfernt, um dort Fußball zu spielen. Das passt richtig gut. Ich habe eh zu viel Energie, die ich mal rauslassen muss. Mit meiner alten Freundesgruppe habe ich auch gerne Fußball gespielt und kann es deshalb auch ein bisschen. Es regnet etwas, das macht mir aber nichts. Ich genieße es eher, wie die Regentropfen auf mein Gesicht fallen, während ich über den grünen Rasen laufe. Gegen Ende der Stunde ist das Gras allerdings so nass, dass es rutschig wird. Als ich also gerade wieder zum Ball rennen will, mache ich den Fehler, zu Frau Hofer zu schauen, die eine enge Sportleggings trägt und darin viel zu gut aussieht. Ich trete in eine Pfütze und rutsche aus. Dabei stütze ich mich auf meine linke Hand. Ich stehe wieder auf und merke, dass ich Schmerzen habe. "Fuck", sage ich. Frau Hofer kommt zu mir, streift ihre Hand über meinen Rücken und ruft zur Klasse: "So, wir sind dann eh fertig für heute. Wir gehen jetzt gemeinsam zurück in die Sporthalle." Sie drückt einem Klassenkameraden den Schlüssel in die Hand und sagt ihm, dass alle schon vorgehen können. Merle hilft ihr noch, die restlichen Sachen einzusammeln und dann gehen wir auch in die Umkleide. Ich halte immer noch meine schmerzende Hand und Frau Hofer bemerkt es. "Ist es so schlimm?"; fragt sie. "Naja, ein bisschen tut es schon weh.", antworte ich. Sie schaut mich besorgt an. An der Halle angekommen sagt sie zu mir, dass ich zu ihr in das Sporthallenbüro kommen soll. Mittlerweile sind alle weg und wir sind mal wieder alleine.

Sie: "Hast du ein T-Shirt drunter?"
Ich: "Ja"
Sie: "Kannst du den Pulli mal ausziehen?"
Ich: "Ja." Doch ich schaffe es nicht. Meine Hand tut zu sehr weh.
Sie: "Sicher?" Sie sieht, dass ich es nicht schaffe und hilft mir.

Jetzt zieht sie mich doch tatsächlich aus. Sie holt ein nasses Tuch und macht meinen Arm sauber, bevor sie meine Hand abtastet. "Bewegen kannst du sie?" Ich mache ein paar kreisende Bewegungen mit meiner Hand und nicke. "Das ist schonmal gut. Ich kann sie dir erstmal verbinden, aber wenn es morgen noch genauso wehtut, dann musst du zum Arzt." Wieder nicke ich.

Frau Hofer nimmt meine Hand ganz vorsichtig und fängt an, sie in den weißen Verband aus dem Erste-Hilfe-Koffer einzuwickeln. Dabei ist sie so nah, dass ich wieder diese Energie in mir spüre, die sie verursacht. Ich schaue sie an, wie sie so zart meine Hand behandelt. Dann schaut sie mir in die Augen. "Alles okay?", fragt sie, "Deine Pupillen sind so riesig..." Eine Träne sammelt sich meinem Auge an. "Jetzt bloß nicht blinzeln...", denke ich. Dann versuche ich zu reden: "...es tut mir so leid... aber... ich kann das so nicht... ich will Ihnen aber auch keine Umstände-" Wieder unterbricht sie mich: "Du machst mir keine Umstände... mir... geht es genauso..." Ich blinzel. Die Träne sucht ihren Weg über mein Gesicht. Wir schauen uns immer noch in die Augen. Die Spannung in dem kleinen Raum wird immer größer.

"Aber... das geht wirklich nicht...", sagt Frau Hofer und unterbricht diesen Moment. "Ich weiß ja. Aber... was, wenn es keiner merkt?", frage ich. "Das setzt meinen Beruf aufs Spiel. Und könnte mein gesamtes Leben beeinflussen. Ich kann das nicht riskieren.", erwidert sie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mein Blick sucht den Boden. In der Turnhalle ist niemand mehr. Das weiß Frau Hofer auch. "Wenigstens noch ein letzter Kuss?", schlage ich vor. Sie atmet tief ein und wieder aus. Dann nickt sie. "Ein letzter Kuss."

Der Kuss ist wunderschön. So wie der erste. Doch es ist nicht der erste. Es ist der letzte. Es waren nur zwei Küsse, aber ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder jemand anderen zu küssen. Wie kann ich die Zeit jetzt anhalten? Was kann ich tun, damit dieser Moment nicht vergeht? Wieso muss die Zeit immer weiter gehen? Ihre Lippen auf meinen... das fühlt sich so richtig an. Wie kann das dann falsch sein? Der Kuss ist intensiv. Man spürt die Energie, die sich die letzten Wochen angesammelt hat. Dann ist er vorbei. Das letzte Mal habe ich ihren Mund auf meinem gespührt. Das letzte Mal habe ich sie gespürt.

Forest EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt