Frei von Kälte und Einsamkeit

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Ungefähr einen Monat später ist es soweit: Ich ziehe in die neue Wohnung. Meine Eltern sind seit ein paar Tagen in Amerika. Sie kommen allerdings alle paar Wochen, um nach dem Rechten zu schauen und alles für das Business zu regeln, was noch in Deutschland läuft. Ich sitze in meinem alten Zimmer und beobachte die Umzugshelfer, wie sie meine Kartons schonmal ins Auto tragen. Gleich ist Schlüsselübergabe.

Meine Wohnung befindet sich nur eine Straße weiter. Sie ist relativ groß für eine einzelne Person und ich habe eigentlich auch ein Zimmer zu viel. Aber der Standort ist perfekt und der Preis war egal. Naja, ich werde schon eine Verwendung für den leeren Raum finden. Noch ein letztes Mal schaue ich zu Anastasias Schlfazimmerfenster. Ich muss lächeln. Vor über einem halben Jahr hat das alles angefangen. Und jetzt bin ich endlich glücklich. Es ist ein etwas in Erfüllung gegangen, von dem ich es mich niemals zu wünschen getraut hätte. Ich hoffe, ich werde jetzt auch mehr Zeit mit ihr verbringen können. Immerhin kann ich ja nicht mehr überwacht werden. Ich muss mich nicht mehr nachts rausschleichen oder heimlich wieder nach Hause laufen.

Trotzdem habe ich etwas Angst. Was, wenn das mit ihr doch nicht hält? Was, wenn sie mich hassen wird und wir in der Schule nicht mehr klarkommen? Was, wenn sie mich alleine lässt? "Stop, Lynn", sage ich mir. "Denk daran, wie sie zu dir ist. Wie sie auch schon vorher zu dir war. Sie ist kein böser Mensch. Niemals würde sie dir schaden wollen. Auch, wenn irgendetwas passieren sollte.

Mein Wecker reißt mich aus den Gedanken. 15.20 Uhr. Ich muss los, denn in zehn Minuten bekomme ich meine Schlüssel. Während ich mich auf den Weg mache, kann ich meine Vorfreude kaum noch verstecken. Gerade als ich bei Anastasia vorbeilaufe, kommt sie mit einer Gießkanne aus ihrer Haustür und zwinkert mir zu. Sie weiß genau, wie sehr ich mich freue. Irgendwie auch seltsam. Erst ein Mal habe ich diese Wohnung gesehen und trotzdem ist sie für mich jetzt schon mein neues Zuhause. Trotzdem weiß ich jetzt schon, dass ich mich darin sehr wohl fühlen werde.

"Guten Tag Frau Faber", höre ich eine ältere Dame sagen. Ich schüttel ihre Hand und lächel nett. Dann drückt sie mir den Schlüssel in die Hand. "Freuen Sie sich schon?" Was für eine Frage. "Ja, sehr", versuche ich zu sagen, ohne aus Euphorie zu platzen. "Vielen Dank." Sie lächelt zurück. Dann sagt sie noch: "Jetzt gehen sie rein, schauen sich alles an und kümmern sich um ihre Sachen. Falls später Fragen oder Probleme aufkommen, wissen sie ja, wo sie sich melden müssen." Ja, alles klar", reagiere ich und die Dame verabschiedet sich von mir.

Mein Blick fällt nun auf den Schlüssel in meiner Hand. Ich öffne die Haustür und laufe in den zweiten Stock. Dann drehe ich mich nach rechts. Diese Tür ist es. Ich schaue erneut auf den Schlüssel und schließe dann die Wohnungstür auf. Die Tür in mein erstes eigenes Zuhause, frei von Kälte und Einsamkeit.

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