Finsternis

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Herr Yager meinte einmal zu mir man könne seine Fluchtkraft permanent in sich spüren. Als wäre sie ein eigener Teil der ruhig in seinem inneren vor sich hin summt. Wie eine Einheit die miteinander verschmelzt und doch verschieden ist. Etwas was fremd und doch so vertraut ist. Aber umso angestrengter ich versuche in mich zu hören, desto weniger habe ich das Gefühl das sie überhaupt da ist, obwohl ich weiß das sie es ist. Ich höre nur leider meinen eigenen Herzschlag, der mein Blut zum rauschen bringt und nicht dieses engelsgleiche Summen, von dem er immer sprach. Dieses warme Gefühl. Da ist nichts. Nur leere und Ungewissheit.

Der Kies knirscht leise unterhalb des Schnee unter meinem Füßen und der Weg der hinunter ins Thal führt ergibt sich endlos vor mir. Mein Blick richtet sich gen Himmel. Er ist klar und keinerlei Wolken bedeckt ihn. Am Firmament erstrahlen die Sterne noch heller als sonst. Als wollen sie mir den Weg aus der Dunkelheit zeigen.
Einen Moment verfangen sich meine Augen an einem Stern. Das stetige aufblinken fesselt mich und nein es ist kein Flugzeug. Man nennt es
Szintillation. Es entsteht durch die Lichtbrechung in der Erdatmospäre und somit sieht es aus als würde der Stern blinken.
,, Wie sieht dein bescheuerter Plan überhaupt aus? ", knurre ich, wende den Blick wieder auf die Erde und trete achtsam über einen herunter gefallen Ast von einer der Bäume die diesen Weg säumen. Es ist ein alter Wanderpfad, der so wie es scheint schon eine Weile nicht mehr genutzt wird.
,, Mit deinem Zugang überquert du die Barriere und gehst dorthin, wo ihr meine Brüder festhaltet. Und alles andere ist einleuchtend denk ich." sein Blick streift nur kurz über mein Gesicht. Choso wirkt noch ruhiger als vorher, als müsse er sich auf vielmehr konzentrieren, als nur auf mich. Ich bleibe stehen. Eine Wut erfasst mich, wie schon so oft und ich schüttel verhemmt den Kopf.
,, Und dann? Wie willst du sie aus der Reichweite schaffen? Sie werden spüren das sie über die Barriere geschafft wurden. Sie wurden versiegelt du Idiot"
Choso bleibt ebenfalls stehen.
,, Das weiß ich. "
,, Freut mich das du das Weisst,aber sie sind Flüche. Die Barriere kann nicht überschritten werden, weder von innen noch von außen."
Im Glanz des Schnees leuchten Chosos Augen wie flüssiges Gold, als er mir tief entgegen blickt.
,, Du wirst den Vorhang auflösen."

Einen Moment suche ich die Beherrschung in mir und atme tief durch. Alles ist besser als gegen so jemanden wie ihn in rage zu geraten ,, Du Weisst was passiert, wenn ich ihn fallen lasse. " und ich weiß es. Sobald der Vorhang fällt ist es jedem möglich in die Akademie zu gehen. Sowohl Mensch als auch Fluch. Der Vorhang dient nicht nur dazu uns zu schützen, sondern das im innersten gefesselt zu behalten was diese Welt den Garr ausmachen würde. Er behält das Böse in sich.
,, Ja" diese kurze knappe Antwort versetzt mich in eine starre. Ihm Scheint es völlig egal zu sein. Choso sind die Konsequenzen völlig egal.
Mein Mund öffnet und schließt sich wieder weil ich nicht weiß was ich dazu sagen soll. Ich hätte die Antwort wissen müssen und doch überrascht sie mich.

,, Ach fick dich doch ", Schreie ich nur überfordert und stampfe los. 
,, Ich werde dafür sorgen das niemand hindurch kommt. Ein riss würde schon reichen.", bietet choso mir an,, Das ist alles was ich dir bieten kann. "

Einen Moment sind meine Füße wie festgefroren und meine Hände ballen sich zu Fäusten. Ich weiß nicht was ich davon halten soll, aber vermutlich werde ich nicht mehr bekommen als das.
Meine Hände entkrampfen sich und mit einem schnauben gehe ich weiter, ohne auch nur einmal danke zu sagen. Es gibt auch nichts zu danken. Ich verrate gerade alles an das ich glaube und je geglaubt habe und das nur um ihm seine Familie wieder zu beschaffen. Er sollte sich bei mir bedanken.

*

Das Gelände ist ruhig. Fast zu ruhig. Vor meinen Augen flimmert der Vorhang in einem zarten blau und mein Herz hämmert wie wild in meiner Brust. Es fühlt sich immernoch wie Zuhause an. Als wäre alles Inordnung. Doch das ist nur eine Fantasie die ich mir selbst schaffe. Es gibt in dieser Welt Vergebung und das meine Freunde auch wirklich meine Freunde sind. Niemand sieht mich als das was ich bin und getan habe.
Nur leider ist die Realität anders. Grausamer. Kälter.

Ich hebe zwei meiner Finger und schließe die Augen. Am besten ich bringe das hier schnell zu Ende. Warmer Atem streift meinen Nacken.
,, Denk dran, solltest du mich verraten, finde ich dich und töte dich"
,, jaja", antworte ich sporadisch und atme nocheinmal tief durch, auch wenn mir seine ruhige Stimme und sein Atem eine unangenehme Gänsehaut bereitet. Es reicht wenn der Vorhang nur einen kleinen riss bekommt. Für alles weitere kann ich nicht garantieren. Und das er mich töten würde, glaube ich ihm aufs Wort.

Der Vorhang flackert und es breitet sich ein Riss aus. Nur so breit das ich hinein passen könnte. Aber dennoch werden sie bemerken das ich eingedrungen bin. Denn ich bin kein Teil mehr. Ein letztes mal sehe ich zu Choso zurück, der mir zunickt und schlüpfe durch den Vorhang.

Ohne groß zu überlegen oder mich umzusehen renne ich über den Platz und nähere mich dem Eingang. Meine Schritte werden langsamer, als ich die Stufen erreiche und mein Herz schlägt noch schneller. Aufregung vermischt sich mit Angst und neben der Angst ist da noch etwas. Schmerz. Schmerz den ich mit meiner Verbannung eigentlich hier gelassen habe. Aber das habe ich nur geglaubt.

Der erste Schritt nach oben fühlt sich an als hätte ich Blei an den Füßen. Nocheinmal sehe ich zu choso, der versteckt hinter einem Baum wartet und überlege ob es wirklich das richtige ist was ich tue. Aber was ist heutzutage schon richtig oder falsch. Meine Chance habe ich schon lange verspielt. Also richte ich den Blick erneut nach vorne. Nehme eine Stufe nach der anderen, auch wenn mein Herz mir fast aus der Brust springt und meine Knie zittern. Letztendlich erreiche ich die letzte Stufe und öffne die großen verzierten Türen.

Meine Schritte hallen dumpf in der Eingangshalle. Die Grünen Jade Platten unter meinen Schuhen spiegeln meine Erscheinung wieder und der Raum wirkt noch immer so riesig wie damals. Die hohen Jadesäulen säumen einen festlichen Altar, der mit roten Grabblumen geschmückt ist. Vereinzelte Kerzen und Raucherstäbchen sind angezündet und mir wird klar das sie einen Toten betrauern. Es ist nur die Frage wen? Vielleicht der alte Rektor. Gakuganji lebt schon viel zu lange. Es wäre längst an der Zeit das er abdankt. Selbst Satoru wartet schon seit geraumer zeit darauf. Aber der Alte wird unser aller Sargnagel sein und somit verwerfe ich diese verlockende Idee. Er wird sicher nicht ins jenseits übergegangen sein. Ich hoffe nur es ist niemand der mir nahe stand...

Meinen Blick Wende ich ab und trete um den Altar. Den Flur runter und immer tiefer ins Gebäude. Vor einer einfachen Holzverkleidung bleibe ich stehen. Für andere würde es nach normalen Holz aussehen, aber ich sehe die kleine einkerbung, das Astloch und greife mit meinem Finger hinein. Ein kleines klicken verrät mir das die Tür entriegelt wurde und mit einem mal schießt Adrenalin durch meine Adern. Ein einziges mal war ich dort unten und das in Begleitung von Satoru und Suguru noch. Das ist schon lange her. Viel zu lange her. Ich sehe mich nocheinmal erneut um und lausche in die Ohrenbetäubende Stille und sammel meinen Mut zusammen nun in die Finsternis abzusteigen...

Blood is thicker than WaterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt