Bizarr

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Da liegt sie nun wie ein Engel im Schnee. Um sie herum fächert sich ihr Blut auf, als wären es ihre Flügel. In ihren langen braunen Wimpern verfangen sich die Eiskristalle und beinahe hätte ich diesen Anblick als schön empfunden. Was mich sowohl verwirrt als auch anwidert, wieso ich solch eine Made für etwas so oberflächliches bewundere. Und zugegebenermaßen der Schlag ins Genick war nicht einmal fest. Hat aber gereicht, damit sie bewusstlos wird und hilft mir dabei diesen bizarren Gedanken zu vergessen.

Mein Bruder stürzt schweratmend aus der Tür und ich wende mich ihm zu. Sein Gesicht blutverschmiert, entgleist ihm völlig als er mich neben dem Mädchen stehen sieht.
,, Du bist schon zurück? " fragt er und ich kann nicht anders als die Brauen zu heben.
,, Schon zurück? Wäre ich nicht hier, wäre sie geflohen." meine Stimme ruhig und bestimmt, aber mein Bruder versteht meinen Tonfall richtig. Ich bin wütend, mehr als wütend. Er hatte eine Aufgabe und selbst die war zu schwer für ihn. Später sollte ich ein ernstes Gespräch mit ihm führen, wenn er nicht einmal in der Lage ist, für ein paar Stunden auf ein verletztes Mädchen aufzupassen.

,, Das Miststück hat mich angegriffen. ", verteidigt er sich, doch ich höre kaum zu. Ich hocke mich nach unten und fühle ihren Puls. Sie glüht regelrecht, als meine Finger ihren Hals berühren. Als ich gestern nach ihr sah, hatte sie noch kein Fieber. Einer ihrer Wunden, die bereits wieder auf sind, muss sich entzündet haben. Aber immerhin hat sie puls.

Vorsichtig als wäre sie so zerbrechlich wie die Schneeflocken die in ihrem honigblonden Haar sich verfangen haben, hebe ich sie in meine Arme. Sie wiegt beinahe noch weniger als vor ein paar Tagen.
,, Hat sie gegessen? ", erkundige ich mich bei Eso und trete an ihm vorbei. Mein Bruder sieht mich verständnislos an,, Nein. Aber was kümmert es dich Bruder? Sie ist Abschaum"
,, Und wir sind Abschaum in ihren Augen. " erwidere ich und meine es auch genauso. Ich sehe meinem Bruder in die Augen. Ihr Blut rinnt mir an den Händen entlang und tropft in den Schnee. Dafür das sie so schwer verletzt ist, hat sie sich gut gegen Eso geschlagen. Erstaunliches Menschchen.
,, Ein Grund mehr sie verrecken zu lassen."
,, Wir brauchen sie Eso. Nur mit ihr können wir unsere anderen Brüder befreien." für etwas anderes benötige ich sie nicht.

Ich trete zurück ins Innere, da Eso schweigt und laufe den Flur entlang. Mir kräuselt sich immer die Nase, wenn ich in diesen muffigen Verschlag komme. Es stinkt. Es wimmelt nur so vor Ratten und kleineren Flüchen. Kein Wunder also das sie krank wird. Ein Wunder das ich noch nicht krank bin.

,, Und du bist dir sicher das sie uns helfen kann?" fragt mein Bruder, der zu mir aufschließt. Sein Blick scant sie skeptisch ab. Er war schon immer jemand der alles hinterfragt hat und schlecht vertrauen fassen kann.
,, Sie wird es tun. Ob sie will oder nicht"
Wieder schweigt er und folgt mir bis an das Ende des Flures.

Sachte lege ich sie auf dem Holztisch ab und betrachte sie eingehend. Sie wirkt so zerbrechlich in diesem Raum, aufgebahrt wie eine Leiche. So weit ich mit dem Bloßen Auge erkennen kann sind zwei Wunden aufgegangen. Einmal die auf ihrer rechten Flanke und dann die direkt über ihrem Schambreich sitzt.

Ich entscheide mich dazu die Wunde an ihrer Seite zuerst zu versorgen, weil sie letztendlich am tiefsten ist und greife an das dünne Oberteil, was sie seit Tag eins an ihrem Leib hat. Vorsichtig schiebe ich es hoch, reiße damit ein Stück der Kruste ab, die sich als Schutz gebildet hat und sehe die ausgefranzte Stelle, wo der Faden sauber gerissen ist und Blut schwallartig austritt.
Ihre Hand schließt sich um meine, bevor ich auch nur einen Zentimeter höher gehen kann und ich sehe auf. Sie sieht mich beinahe flehend durch ihre halb geschlossenen Lider an.
,, Bitte... Nicht... ", wispert sie. Für einen Moment sehen wir uns an, bis ich den Blick abwende und meine Hand von ihrer los reiße. Für so einen Quatsch habe ich keine Zeit. Obwohl ich gestehen muss das in ihrem Blick eine andere Angst liegt, die mir absolut fremd ist.

Blood is thicker than WaterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt