Kontrollverlust

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Fuck fuck fuck. Das kann alles doch nicht wahr sein. Im gott verlassenen Hida Gebirge? Meinen Berechnungen und meinen geografischen Wissen nach liegen ungefähr 160 Meilen zwischen mir und Tokio. 160 Meilen zu Fuß.
Verletzt.
Meine innere Stimme lacht gerade lautstark über mich. Sie ist sich genauso sicher wie ich, dass ich das niemals packen werde. Das ich hier festsitze. Selbst wenn ich nochmal einen Fluchtversuch starte, wo soll ich hin? Es herrschen hier Temperaturen bis  minus vier Grad im Winter und um auf Zivilisation zu treffen dauert es auch seine Zeit. Bis dahin bin ich längst tot. Ausgemusterter jujuzist am Stiel.

Der Schnee unter meinen Knien weicht meine Hose auf und die Kälte drängt sich nur bedingt in meinen Körper. Viel tiefer trifft mich der Schock das ich hier nicht wegkomme. Das ich hierher gebracht wurde und festgehalten werde wie ein Tier. Das ich ein Schicksal bekommen habe, was ich garnicht will. Und dieser Typ versucht über mich zu herrschen, als wäre ich sein Eigentum.

Mein Herz schlägt schneller und unregelmäßiger. Mein Atmen geht stoßweise und mein rationales Denken Schaltet sich in binnen Sekunden einfach ab. Da ist nur noch Wut. Keine Ahnung woher die Kraft auf einmal kommt, aber ich stemme mich ruckartig hoch und ohne zu überlegen stürme auf Choso los. Mein gesamter Geist ertrinkt beinahe in flammender Wut und übernimmt das Handeln ganz allein.

Meine Fluchkraft die ich ohnehin kaum im griff habe, fließt in jede kleinste Pore meines Körpers, sie verglüht mich beinahe.

Ich hole zum schlag aus. Spüre wie meine Synapsen immer schneller werdende Impulse durch meinen Körper jagt.
Choso hingegen rührt keinen Muskel. Und dann geht alles so schnell. Seine Hand schnellt nach vorn und schließt sich unnachgibig um meine Kehle. Nicht einen Millimeter berührte meine Haut seine. Ein erschrockenes keuchen dringt aus meinen Hals und ich greife instinktiv nach seiner Hand. Er ist erschreckend schnell, genau wie bei dem anderen mal. Als hätte er schon eine Vorahnung gehabt.

,, Netter Versuch", spottet er und drückt fester zu, so daß seine Hand meinen gesamten Kehlkopf einengt und schwarze Flecken vor meinen Augen flimmern. Der Druck steigt mir von der Kehle über den Kopf und in meine Augen, als wollen sie jeden Moment raus ploppen. Meine Füße berühren nicht einmal mehr den Boden und er hält mich von sich weg, als wäre ich nur ein nasser Lappen.

,,Lass... Mich... Los", krächtze ich und trete mit den Füßen um mich, in der Hoffnung ich treffe zumindest die empfindlichste Stelle seines Körper und bei Gott wenn ich sie treffe und er mich los lässt, dann trenn ich ihm diese auch gleich ab und stopfe ihm die so tief in den Hals das er dran erstickt. Das er spürt wie es sich anfühlt seiner Luft beraubt zu werden.

Meine Fluchtkraft prickelt in meinem ganzen Körper. Die feinen Härchen stellen sich auf. Selbst mein Blut höre ich unter meiner Haut kochen und wenn das passiert ist das kein gutes Zeichen. Dann fehlt nicht mehr viel und ich verliere.
,, Bitte", flehe ich erneut und kneifen die Augen zu. Ich spüre wie Choso oden Druck etwas mindert und meine Füße wieder den Boden berühren, doch es ist längst zu spät.

Erinnerungsfetzen fluten meinen Kopf. Blut, abgetrennte Körperteile und in dem Gemetzel steh ich. Blutüberströmt, mit Tränen in den Augen und mit einem krotesken grinsen auf den Lippen starre ich auf die beiden Leichen. Die eine zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die andere in zwei geteilt. Ein Lachen kitzelt tief in meinem Bauch und mein Auge zuckt wild. Doch ein wimmern kommt nur empor.

,, Es war meine Schuld! ", meine Stimme überschlägt sich und wird abgetreten von einem schluchzen, was beinahe einem geschlagenen Tier gleich kommt. Schlagartig lässt mich Choso los.

Ich stürze auf den gefroren Boden, der mit einem zischen unter mir in eine moddrige lache wird und mit einem mal klingt alles ab. Meine Kraft verlässt mich schlagartig, Tränen brechen über mich herein und mein Körper quittiert mir meinen Dienst. Er zittert und zuckt unkontrolliert, als hätte ich einen Anfall. Als hätte ich die Erinnerung noch einmal erlebt. Noch einmal die Kontrolle verloren wie damals. Und noch einmal hätte ich meiner düsteren Seite die Macht gegeben.

*

Auf dem Rückweg spüre ich Choso's bohrende Blicke im Rücken. Nach dem Vorfall hat er kein Wort gesagt und ich wäre auch nicht bereit gewesen es ihm zu erklären. Zu tief sitzt das Trauma in mir. Zu tief die Schuld. Allerdings frage ich mich, ob er es auch gespürt hat, dass ich mich verändert habe. Das er meine Kraft gespürt hat und den schmerz den sie auslöst.

Den gesamten Weg starre ich zu Boden und atme so leise wie möglich, in der Hoffnung ihm falle nicht doch noch ein mich zu fragen was mit mir nicht stimmt. Es ist offensichtlich. Zumindest für jeden der darüber bescheid weiß und das sind nicht viele. Ungern möchte ich ihn mit in den kleinen geheimkreis aufnehmen.

Choso überholt mich mit Leichtigkeit und greift an die Türklinke. Er hält einen Moment inne bevor er sie wortlos mit einem knarzen öffnet. Auch ich gehe wortlos an ihm vorbei in den endlos langen Flur und nehme den Weg zurück in dieses siffige Zimmer, jedoch bleibe ich vor der Tür stehen und drehe mich zu ihm. Ich wünschte ich könnte irgendwas in seinen Augen erkennen. Keine Angst, aber vielleicht eine Ahnung. Oder zumindest Hass. Doch da ist nichts. Nur Leere und Gleichgültigkeit.

,, Was? ", zischt er
,, Ist es vielleicht möglich mich waschen zu gehen?" es ist mehr als nötig. Ich rieche mittlerweile so streng, dass ich davon Nachts sogar wach werde. Und vielleicht kann ich auch damit das von mir waschen was vorhin passiert ist. Es dauert einen Moment, ehe er den Arm nach links streckt und mir zu verstehen gibt das ich vorgehen soll. Mit langsamen Schritten folge ich seinen Anweisungen und lasse mich zu einem anderen Raum führen, wo bereits die Holztür in seine Einzelteile hängt. Dahinter ein Raum gefliest in weiß. Naja zumindest war er mal weiß. Mit runzelnder Stirn trete ich in den Raum, nachdem ich ihm nochmal einen Seiten Blick zugeworfen habe und er mir zu verstehen gegeben hat mit einem Kopfnicken das ich richtig bin, sehe ich mich um. Die Farbe blättert von den Decken ab und die Rohre an den Wänden und den Decken rosten bereits. Auf dem offensichtlich überall gegossenen Betonboden liegen vertrocknete Blätter, die durch das zerbrochene Fenster hinein Geweht wurden.

Mein Mund öffnet und schließt sich wieder. Ich kann mir wirklich schlecht vorstellen das hier fließend Wasser sein soll, geschweige denn warmes Wasser. Es scheint auch als wäre dieses Haus mal eine Herberge oder so etwas gewesen zu sein. Zumindest anhand der Zimmer und dieser hässlichen Gemeinschaftsdusche, könnte man es erahnen.
Es macht mich ehrlich gesagt  sprachlos. Alles hier.
,, Hier soll ich ernsthaft duschen? ", frage ich perplex und starre die offene Gemeinschaftsdusche an, vor der nicht einmal ein Vorhang ist.
,, Du wolltest dich waschen, also bitte", antwortet er.
Gerade als ich Luft hole erwähnt er,, Keine Sorge es gibt warm Wasser. "
Meine Brauen wandern zu meiner Stirn. Das überrascht mich dann doch, das es in dieser Bruchbude tatsächlich heiß Wasser gibt. Jedoch gibt es ein Problem.
,, Ich habe weder Handtücher noch frische Klamotten."
,, Ich werde dir was besorgen. Warte hier und Wehe du versuchst wieder abzuhauen." seine dunklen Augen fixieren mich mahnend und ich kann nicht anders als zu schnauben. Der erste Versuch ist schon gescheitert und da ich jetzt weiß wo ich bin, werde ich sicher nicht mehr in die Eiseskälte allein hinaus. Also warte ich genau hier und sehe ihm dabei zu wie er das Bad verlässt und etwa fünfzehn Minuten später mit einem Stapel auf den Armen es wieder betritt.
Er drückt mir den Stapel lieblos in die Arme und nickt ungeduldig zur Dusche. Doch ich stehe wie angenagelt einfach da. Nehme den frischen Geruch nach frischen Regen  der Wäsche war und Nur das heulen des Windes durch die kaputte Fensterscheibe ist zu hören.

,, Auf was wartest du? ", grollt er, weil ich mich nicht rühre und verschränkt die Arme vor der Brust. Heute scheint er sehr sprunghaft zu sein. Sehr schnell reizbar.
,, Das du rausgehst" sage ich entschieden und doch spüre ich wie mir die Hitze in die Wangen steigt. Was mich zugegebenermaßen verwirrt.
,, Nein. Ich bleibe genau hier und warte bis du fertig bist. Ich vertraue dir nicht "
,, Ach aber ich soll dir vertrauen,  du Perversling? " wieder überschlägt sich meine Stimme fast vor Unglauben und die Hitze kriecht mir bereits über den ganzen Körper. Da meint man eine gestandene Frau zu sein und genau solch eine lächerliche Situation wird einem peinlich.

Choso stöhnt genervt und greift sich an die Nasenwurzel ,, Ich Dreh mich um " versichert er mir. Ich bin zwar unsicher, aber für den Moment glaube ich ihm. Mehr werde ich wohl von ihm nicht kriegen und weiter stinken will ich auch nicht.

Blood is thicker than WaterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt