v i e r z e h n

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Mit meiner dicksten Winterjacke und ohne meinen Rucksack laufe ich eine Stunde später durch das bereits geöffnete Tor des Weihnachtsmarktes.

Der Zwischenstopp bei meinen Eltern, die mir während dem Umziehen unbedingt von ihrem Erlebnis beim Weihnachtsshoppen erzählen wollten, hatte mich Zeit gekostet, die ich zuvor hatte einsparen wollen.

Ihrer Euphorie war es zu verdanken, dass ich mehrere Minuten in einem gefütterten Mantel, von einem flauschigen Schal umgeben und mit dunkelroter Wollmütze auf dem Kopf im Flur gestanden und ihren Ausführungen gelauscht hatte. Die Hitze ist dabei über meinen Körper hergefallen wie ein Raubtier über seine Beute. Das Haus endlich verlassen und den kalten Wind spüren zu dürfen, hat sich ironischerweise wie eine gesuchte Abkühlung angefühlt.

Nach meinem Fußmarsch zum Markt und den schwachen Schneeflocken, die allmählich vom Himmel rieseln, hat sich mein Körper wieder auf eine angenehme Temperatur heruntergekühlt.

Meine Hände sind in den Handschuhen, die meine Eltern mir letztes Jahr geschenkt hatten, wohlig warm und auch meine Füße haben noch nicht angefangen, die Kälte der Umgebung aufzunehmen.

Das Einzige, über das ich mir gerade Gedanken mache, ist die ungewohnte Aufregung, die ich in meiner Magengegend spüre.

Seit ich das Haus verlassen habe, hat sie mich nicht mehr losgelassen. Sie hat sich in meinem Inneren eingenistet und bringt mich spätestens alle zehn Minuten wieder auf den Gedanken, dass ich Gage bald über den Weg laufen werde.

Ich laufe unter dem Torbogen hindurch, der mit einer großen Lichterkette, Tannenzweigen und leuchtenden Buchstaben verziert ist, die den Namen unserer kleinen Heimatstadt buchstabieren.

Kaum habe ich das Gelände betreten, treten muntere Weihnachtslieder, ausgelassene Gespräche und der Geruch von Süßwaren in meine Wahrnehmung.

Der Himmel über uns hat sich in der vergangenen Stunde in tiefes Schwarz gefärbt, doch hier unten, zwischen den geschmückten Holzhütten, dem hellen Lachen von Kindern und den hunderten Lichterketten und Kerzen wirkt es, als wäre es Mitten am Tag. Als befänden wir uns in unserer eigenen, kleinen Welt, in der die Dunkelheit keinen Platz findet und das Licht uns bei jedem unserer Schritte begleitet.

Ich nicke einem Bekannten meines Vaters zu, den ich am Stand mit Waffeln ausmache und sehe anschließend zu, mich möglichst nahtlos in die Menge einzugliedern.

Ganz selbstverständlich werde ich von ihr aufgenommen, an den Ständen mit kreativen Weihnachtsgeschenken, ausgefallenen Spielzeugen oder Küchenzubehör aus Holz vorbeigeführt, bis ich einige Meter von mir entfernt den Glühweinstand ausmache, an dem ich mich mit Corinn und Ana verabredet habe.

Das große Holzpavillon mit der Arbeitstheke in der Mitte, mehreren Töpfen mit heißem Glühwein und einer Handvoll Personen, die in diesem den Bestellungen nachzukommen versuchen, bildet den Mittelpunkt des Marktes.

Vermutlich war es gerade um diese Uhrzeit keine gute Idee, sich diesen Platz als Treffpunkt auszusuchen. Doch als ich Anas weiße Mütze mit dem kleinen Schneemann auf ihr erkenne, mache ich mir um unseren Treffpunkt keine Sorgen mehr.

Der Weg bis zu ihr zieht sich länger als gedacht und als sie endlich in meine Reichweite kommt, schlinge ich von hinten die Arme um ihren dick eingepackten Körper.

Ein überraschter Laut entflieht ihr und ich kann beobachten, wie sich auf den Lippen ihres Freundes, der ihr gegenübersteht und gottseidank Anas Glühweinglas in der Hand hält, ein Lächeln ausbreitet.

Ich nicke Tristan zu und lasse anschließend von seiner Freundin ab, damit diese sich zu mir drehen und ebenfalls die Arme um mich schlingen kann.

»Da bist du ja«, ruft sie über die Menge hinweg.

Kardamomherzen ₂₀₂₃ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt