s e c h s

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Die Weihnachtsmusik, die aus kleinen Boxen den gesamten Raum erfüllt, passt perfekt zu den Dekorationen, die ich auf meinem Bildschirm betrachte. Lichterketten in allen Farben, Kugeln in verschiedenen Größen und Mistelzweige, die ausreichen würden, um eine komplette Stadt unter ihnen zu begraben.

Ich kritzele mir Notizen auf meinen Block, der mich Morgen durch das Gespräch mit dem Dekorationsteam führen soll und wippe mit dem Bein im Takt der Musik auf und ab. Nachdenklich schiebe ich das Ende des Kugelschreibers zwischen meine Lippen, während mein Blick über den Rand des Laptops gleitet und Corinn in meinem Blickfeld auftaucht. Sie steht neben einer jungen Auszubildenden, die erst im vergangenen September bei ihr angefangen hat, und erklärt ihr, wild gestikulierend und mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen, irgendetwas an der Kaffeemaschine. Die Blondine, die meines Wissens nach Kiara heißt, verschränkt die Arme hinter dem Rücken und nickt mehrmals hintereinander, während sie den Worten ihrer Ausbilderin lauscht.

Ich habe mitbekommen, wie lange Corinn mit sich gehadert hat, eine weitere Person einzustellen, vor allem eine, die abhängig von ihr und ihrem Wissen sein würde. Doch gleich zu Beginn habe ich es für eine großartige Idee gehalten. Nicht nur, weil Brianna, ihre beste Freundin und einzige feste Angestellte, für ein halbes Jahr in Europa ist, sondern auch, weil ich mir keine bessere Lehrerin in Sachen Backen vorstellen könnte. Corinn strotzt nur so vor Energie und Leidenschaft für ihren Beruf, die Backwaren und ihre Handwerkskunst.

Etwas bewegt sich unter dem Tisch und berührt mich am Bein, sodass ich die Augen von den beiden abwende und den Blick wieder gleiten lassen. Anouk, die Hündin meiner besten Freundin, streckt ihre Vorderpfoten von sich und sieht schwanzwedelnd zu mir auf. Ihre braunen Augen vermitteln mir ein Gefühl des Vertrauens und der Geborgenheit, sodass ich ein kleines Lächeln nicht daran hindern kann, sich auf meinen Lippen auszubreiten.

»Ana wird bestimmt nicht mehr lange weg sein, Süße.« Ich strecke die Hand nach ihr aus und streichle ihr über das Köpfchen. Genüsslich schließt sie die Augen, schmiegt sich seitlich an mich, wie eine Katze. Es ist erstaunlich, wie schnell sie nach Anas und meiner Versöhnung Vertrauen zu mir gefasst hat. Natürlich hat Ana alles dafür gegeben, uns aneinander zu gewöhnen, trotzdem hätte ich bei ihrer Vorgeschichte nicht gedacht, dass sie tatsächlich einmal mit ihr sein würde. Im Sommer war sie sogar für ein ganzes Wochenende bei mir, als Ana mit ihrem Freund Tristan dessen Familie besucht hat.

Ihre Streicheleinheiten eingefordert gibt sie ein leises Brummen von sich, ehe sie sich wieder auf den Boden gleiten lässt und den Kopf zwischen die Vorderpfoten schiebt. Ich schmunzle, greife nach meiner Kaffeetasse und nehme einen großen Schluck von der lauwarmen Flüssigkeit, der man das Aroma von Vanille deutlich entnehmen kann.

»Kann ich dir noch etwas bringen?« Corinn lässt sich gegenüber von mir auf den Stuhl gleiten, legt die Unterarme auf dem Tisch ab und umschließt ihre dampfende Tasse mit den Händen. Dunkle Strähnen haben sich aus ihrem Zopf gelöst und umrahmen ihr rundliches Gesicht, das mir inzwischen so vertraut ist.

»Ich bin noch gut versorgt, danke«, erwidere ich lächelnd und klappe den Laptop zu. Nachdem meine Eltern für diesen Nachmittag Besuch angekündigt und ich kommen gesehen habe, dass ich mich nicht konzentrieren könnte, habe ich meine sieben Sachen gepackt und mich mit Anouk auf den Weg ins Café gemacht. Zwar gehen die Leute hier auch ein und aus, die Weihnachtsmusik ist zu jedem Moment präsent und die Stimmen der Anwesenden mischen sich mit den merkwürdigen Geräuschen der Kaffeemaschine – dennoch überkommt mich bei jedem Besuch in diesem Café ein eigenartiges Gefühl der Ruhe und es fällt mir nicht schwer, mich in dem Getümmel zu konzentrieren. Anders hätte das zuhause ausgesehen, wenn meine Eltern alle fünf Minuten nach mir rufen, um mir die Wahrheit über eine Geschichte von vor zehn Jahren zu entlocken, die sie gerade ihren Bekannten erzählen möchten.

Kardamomherzen ₂₀₂₃ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt