z w e i u n d z w a n z i g

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Gage

Ich fühle mich furchtbar.

Kopfschmerzen sind das Resultat einer beinahe schlaflosen Nacht und der Vorwürfe, die ich mir auf Grund meines gestrigen Verhaltens pausenlos mache.

Missmutig knüpfe ich die Knöpfe an meinem schneeweißen Hemd zu, streiche mit den Händen über meine Hose und nehme anschließend die Jacke von meinem Schreibtischstuhl.

Als die Wut nach einem langen und sicherlich zu schnellen Lauf endlich versiegt war, sorgte das schlechte Gewissen für ein nagendes Loch in meinem Inneren.

Ich hatte Evette allein gelassen. War vor unserer gemeinsamen Herausforderung geflüchtet und hatte es ihr zugeschrieben, uns über die Endzeit des Wettbewerbs zu retten. In dem Wissen, dass noch einiges an Arbeit auf uns gewartet und sie eine helfende Hand gebraucht hätte.

Die Wut über meinen Vater und seine Aktionen haben in der Vergangenheit nicht nur einmal dafür gesorgt, dass ich anders handelte, als ich es eigentlich täte. Dass ich eine andere Entscheidung treffe oder jemanden vernachlässige und ihn bevorzuge.

Doch der gestrige Tag hat mir vor Augen geführt, wie sehr sich seine Entscheidungen auf meine Handlungen auswirken. Ich lasse mich von ihm beeinflussen, seine Stimmungsschwankungen färben auf mich ab und gehe Wege, die ich normalerweise nicht eingeschlagen hätte.

Spätestens nach unserem ersten Kuss wäre ich zu keinem Zeitpunkt auf die Idee gekommen, Eve allein zu lassen. Ich hatte mich an den Gedanken gewöhnt, am Wettbewerb teilzunehmen. Mit ihr gemeinsam. Und wenn ich ehrlich mit mir bin, hat es mir sogar Spaß gemacht. Zum Ende hin hat für mich nicht die Tatsache, dass mein Vater mich unterstützen würde, gezählt. Sondern nur die Zeit, die ich mit Evette verbringen konnte. Die gemeinsame Erfahrung und die Bindung, die wir zueinander aufbauen.

Das zu riskieren, ist mein Vater nicht wert. Vor allem nach den vergangenen Jahren, in denen er stets Besserung gelobt und nicht nur ein Versprochen gebrochen hatte. Mit Evette hatte ich etwas Ehrliches und Reines. Etwas, das mit meinem Vater seit einer langen Zeit nicht mehr möglich ist. Und ich habe es gefährdet, womöglich sogar zerstört, weil die Gewohnheit die Überhand gewonnen hatte.

»Gage, kann ich reinkommen?« Die Stimme meiner Mutter erklingt durch die geschlossene Holztür und ich drehe den Kopf in diese Richtung.

»Ja, ich bin aber auch fertig«, rufe ich ihr zu, lege die Jacke um die Schultern und wende mich von meinem miserabel wirkenden Spiegelbild ab.

Mom stößt die Tür auf, kommt herein und lässt die Tür wieder ins Schloss fallen.

Ich hebe eine Augenbraue und lege den Kopf schräg, als sie beginnt, die Hände vor dem Bauch miteinander zu beschäftigen und meinem Blick auszuweichen.

Ihre honigblonden Haare hat sie zu einer aufwändigen Frisur nach oben gesteckt. Zwei sanfte Locken umranden das ihr zartes Gesicht und wirken wie ein Rahmen für die hellen Augen, die rastlos durch mein Zimmer huschen, mich jedoch nicht erfassen wollen.

»Ist alles in Ordnung?«, frage ich vorsichtig. Ich mache einen Schritt auf sie zu und werfe einen erneuten Blick Richtung Tür. Weder öffnet sich diese, noch folgt ihr mein Vater in mein Zimmer. Dementsprechend gehe ich davon aus, dass ihre Unsicherheit nicht daher rührt, dass sie sich kurz vor unserem Aufbruch zum Rathaus gestritten haben.

»Natürlich, mach' die keine Sorgen, Schatz«, beeilt sie sich zu sagen. Sie schenkt mir ein wackeliges Lächeln und sieht endlich zu mir auf.

Unsicherheit spiegelt sich in seinen Augen wider und auch ihre Haltung wirkt nicht wie die der Frau des Bürgermeisters.

Kardamomherzen ₂₀₂₃ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt