Morro Bay I

5 | Beflügelt

Am nächsten Morgen riss Lina schlagartig ihre Augen auf. Ihr Herz klopfte energisch gegen ihre Brust. Sie hatte intensiv geträumt. Es dauerte einen Augenblick, bis sich ihre Gedanken sortiert hatten. Fragmente ihres aufwühlenden Traumes spielten sich nochmal vor ihrem geistigen Auge ab. Sie träumte von einem emotionalen Streit mit Harvey. Er hatte sich vor ihr aufgebaut und machte ihr schreckliche Vorwürfe. Worüber sie sich so heftig stritten, konnte sie aus den Bruchstücken nicht ableiten.

Lina schloss ihre Augen und zwang sich die Erinnerungen an den unangenehmen Traum zu verdrängen. Sie wollte jetzt nicht an Harvey denken. Nachdem sie paar Mal hintereinander tief ein und ausgeatmet hatte, stand sie auf und verschwand im Bad.

Minuten später betrat sie wieder ihren Schlafraum. In ihren kuscheligen, rosaroten Bademantel gewickelt ging sie zum Fenster und öffnete die Vorhänge. Im gegenüberliegenden Fenster entdeckte sie Jax mit einer Kaffeetasse in der Hand. Er guckte zu ihr rüber und grinste von einem Ohr zum anderen. Linas Gesicht erhellte sich schlagartig. Während sie sich sekundenlang anschauten, kam ihr eine Idee. Auf ihrem Nachttisch lag ein Collegeblock mit Stift. Dort sammelte sie ihre Rezept-Ideen. Sie wandte sich kurz von Jax ab, nahm Block und Stift in die Hand und notierte etwas, während er sie dabei neugierig beobachtete. Schließlich hielt sie ihre Notiz in seine Richtung:

„Hat dich jemand erwischt?"

Jax' Lächeln wurde breiter, als er ihre Nachricht las. Er schüttelte den Kopf.

Sie machte eine weitere Notiz:

„Gut geschlafen?"

Jax nickte. Dann drehte er sich weg, stellte seine Tasse auf dem Nachttisch ab und nahm ebenfalls einen Block in die Hand. Nachdem er seine Nachricht notiert hatte, drehte er das Blatt Papier in Linas Richtung:

„Öffne deinen Bademantel."

Lina musste auf der Stelle herzhaft lachen. Währenddessen schüttelte sie den Kopf. Jax machte noch eine Notiz:

„Bitte."

Sie schrieb wieder auf ihren Block:

„Komm' her und mach' es selbst."

Angeregt hob Jax seine Augenbrauen. Dann schrieb er zurück:

„Ich darf doch nicht ..."

Lina antwortete:

„Das hat dich gestern auch nicht interessiert."

Jax grinste wie ein Honigkuchenpferd. Dann deutete er auf seine Armbanduhr und setzte eine enttäuschte Miene auf. Seine Therapie-Stunde begann leider schon in wenigen Minuten.

Lina erwiderte den enttäuschten Blick. Doch dann lächelte sie und machte einen Luftkuss. Jax wurde durch ihre liebevolle Geste ganz warm ums Herz. Er erwiderte den Luftkuss. Sie winkte ihm zum Abschied und verschwand im nächsten Augenblick wieder im Bad.

Lina nutzte den Vormittag, um weiter an ihrem Buch zu arbeiten. Da es draußen regnete, saß sie diesmal in der Kantine. Fokussiert tippte sie auf ihrer Tastatur und vergaß die Welt um sich herum.

Jax hatte einen vollen Stundenplan, nutzte jedoch eine kurze Pause zwischen Yoga und Gruppensitzung, um sich einen Kaffee in der Kantine zu holen. Auf dem Weg zur Kaffee-Bar entdeckte er Lina. Endorphine schossen durch seine Blutbahn. Allein ihr Anblick löste Glücksgefühle in ihm aus. Schnell organisierte er sich einen Kaffee und ging zu ihrem Tisch. Sie war so konzentriert auf ihre Arbeit, dass sie ihn nicht bemerkte.

„Guten Morgen", sagte er mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht.

Lina schaute zu ihm hoch und lächelte zurück: „Mr. Cole ..."