22 | Kreuzung

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Jax brauchte einen starken Kaffee. Die unerholsame Nacht, die er Kate zu verdanken hatte, setzte ihm zu. Der Berufsverkehr am heutigen Morgen war immerhin gnädig mit ihm gewesen. Er war vor Beginn der Besuchszeit im Krankenhaus angekommen und beschloss, im Café am Haupteingang erstmal zu frühstücken.

Versorgt mit einem Bagel und einem großen Cappuccino, erblickte er einen freien Platz in einer ruhigen Ecke. Am Tisch daneben saß ein Mann mit einem Säugling auf dem Arm. Jax betrachtete das Baby und stellte sich im nächsten Moment vor, wie er in einigen Monaten sein eigenes Kind im Arm halten würde. Er musste bei dem Gedanken lächeln.

„Jackson?"

Sein Blick wanderte zum Vater, der ihn ganz überrascht anstrahlte. Er erkannte sein Gesicht und lächelte zurück: „Jay Taylor!"

Der blonde, kernige Mann erhob sich, legte sein frisch geborenes Baby vorsichtig in seine Trageschale und reichte Jax die Hand: „Wo hast du die letzten Jahre gesteckt, Kumpel?"

Jax erwiderte den Handschlag und grinste verschmitzt: „Ich arbeite seit längerer Zeit hauptsachlich für die Filmbranche", erklärte er.

Beide kannten sich von gemeinsamen Musikprojekten, die allerdings schon einige Jahre zurück lagen. Jay war ein hoch angesehener Songwriter und Produzent. Jax hatte seinerzeit viel von ihm gelernt und die Zusammenarbeit sehr wertgeschätzt. Es war ein Jammer, dass sie sich irgendwann aus den Augen verloren hatten.

„Verrückt, dass wir uns ausgerechnet in einem Krankenhaus wiedersehen. Meine Frau hat erst vor kurzem unseren zweiten Sohn entbunden und ist gerade bei einer Kontrolluntersuchung. Mikey und ich vertreiben uns solange hier die Zeit", erklärte Jay.

Jax schaute das Baby nochmal an. Der kleine Mann war eingeschlafen und nuckelte zufrieden an seinem Schnuller. „Mein Mädchen erwartet auch ein Kind", erzählte er.

„Bist du deswegen hier?"

Jax' Lächeln verschwand aus seinem Gesicht: „Sie hatte einen schweren Unfall und liegt im Koma."

Jay wurde ganz blass um die Nase. Mit so einer Information hatte er nicht gerechnet: „Das tut mir leid, Kumpel. Wird sie wieder gesund?"

„Es ist ungewiss. Die Ärzte wagen keine Prognosen zu machen. Aber unserem Baby geht es gut."

Jay lächelte mitfühlend. Dann deutete auf die Gitarre, die Jax in einer Tasche am Rücken trug.

„Singst du deiner Freundin vor?", fragte er neugierig.

„So ähnlich. Die Tage im Krankenhaus können ganz schön lang werden. Irgendwann brachte ich meine Gitarre mit und habe angefangen zu schreiben. Es klingt vielleicht ein wenig schräg, aber diese ungewisse Situation hat irgendetwas in mir ausgelöst. So kreativ war ich noch nie zuvor. Ich habe mittlerweile Material für ein ganzes Album zusammen."

Jay machte große Augen: „Ein ganzes Album?"

„Ja. Linas Unfall ist mittlerweile einen Monat her. Ich hatte viel Zeit."

„Verstehe. Und was willst du mit deiner Arbeit anstellen?"

Jax presste seine Lippen aufeinander und senkte leicht verlegen seinen Blick: „Das Ding ist ... diese Songs sind viel zu persönlich ... ich kann sie nicht verkaufen ..."

Jay hatte eine Vorstellung, was sein ehemaliger Kollege damit ausdrücken wollte: „Du denkst über ein Comeback nach."

Jax schaute wieder zu ihm hoch und zuckte mit den Schultern: „Ich habe mit dem Gedanken gespielt. Aber gleichzeitig bereitet es mir Angst."

„Ich verstehe", antwortete Jay. „Der Schritt ist gewagt. Aber wenn du meine ehrliche Meinung hören willst, glaube ich, es führt kein Weg daran vorbei."

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