Kapitel 2: Überlebende einer sterbenden Welt

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Sie waren kaum unterwegs, als Hiro aufhorchte und die Gruppe zum Anhalten brachte. Er hob seinen Zeigefinger, verharrte einen Moment und zeigte dann grob links in die Bäume. Celeste wie auch die anderen folgten seinem ausgestreckten Finger, sahen oder hörten aber nichts. Als Celeste sich schon wieder abwenden wollte, hallte schließlich das Knacken eines Astes zu ihnen herüber. Dann raschelten Blätter und langsam lief ein großes Tier in ihr Blickfeld. Es ähnelte einem Affen mit rotem Fell, doch ihm waren verdrehte Hörner gewachsen und die Kreatue war wesentlich zu groß für einen gewöhnlichen Affen. "Ich denke, wir haben eines der mutierten Tiere gefunden." Celeste erinnerte sich an den Eintrag im Buch des Dorfes, in dem das lose Bündnis zwischen allen Waldbewohnern beschrieben wurde und entspannte sich wieder. Im Gegensatz zu Kyvn. Der Dämonenjäger sah den Affen abschätzend an und hielt sein Langschwert kampfbereit in der Hand.
Der Affe machte auf Celeste aber nicht den Eindruck, dass er sie gleich angreifen würde, im Gegenteil - der Affe wirkte fast schon traurig. Er schlich vor sich hin und blickte sie vorsichtig an. Die Gruppe machte vorsichtige Schritte auf das Tier zu und Celeste versuchte beruhigende Gesten zu machen. Der Affe wurde aufgeregt und machte zwei schnelle Schritte zurück, doch dann drang ein orangenes Licht in die Augen der Kreatur und brüllend schlug sie mit ihren Fäusten auf den Boden vor sich. Das hinterließ zwei beeindruckende Löcher, dann war der Moment der Aggression wieder vorbei. Das Licht schwand wieder aus seinen Augen und verwirrt und entsetzt kroch der rote Riesenaffe hinter einen der Bäume. "Oh nein, du armes Ding", flüsterte Celeste bestürzt. "Das richtet das Chaos also bei unschuldigen Tieren an." Hiro nickte. "Die Dunkelheit im Herzen kann nicht immer erleuchtet werden - doch die Liebe vermag es, drum suche stets nach ihr." Celeste dachte über die Worte des Mönches nach und griff schließlich in ihren Beutel. Ihre Hand kehrte mit etwas zu essen wieder heraus und vorsichtig hielt sie es dem traurigen Tier hin. "Komm mein Kleiner, wir tun dir doch nichts." Sie lächelte und das Tier schien sich ein wenig zu beruhigen. Die Blätter unter seinen Füßen raschelten, als er vorsichtig näher kam und mit seiner Pfote nach dem Essen griff. Trotz seiner Größe und seines groben Äußeren war seine Berührung unendlich leicht, als würde eine große Feder über Celestes Hand streichen und den Proviant mit sich nehmen. Nach einigen Sekunden hatte der Affe sich wieder etwas von ihnen entfernt und aß das, was Celeste ihm gegeben hatte. Seine Miene hellte sich noch etwas weiter auf und Celeste hätte schwören können, dass der Affe sie anlächelte. Dann erhob er sich auf alle Viere und verschwand wieder im Wald. Hiro nickte weise, Kyvn stecke sein Schwert weg und Celeste und Hokusai lächelten dem mutierten Wesen sanft nach.

"Na das nenne ich eine Grenze", sagte Hokusai und betrachtete den Boden vor ihnen. Und Celeste musste zustimmen - es verlief eine glatte und klare Abgrenzung zwischen dem Wald und dem kargen Ödland dahinter. Dort wo sie standen gab es noch ein paar Büsche und Bäume und zwei Schritte weiter sah es so aus, als wäre dort niemals auch nur etwas grünes in der Nähe gewesen. Kyvn stieß die beiden plötzlich an. "Duckt euch in die Büsche!", zischte er und zog sie mit sich nach unten. Hiro wartete bereits in gedruckter Haltung und schien die Entfernung abzuschätzen, die zwischen ihnen und dem lag, worauf Kyvn jetzt deutete. Über die völlig kahle Ebene konnten sie weit sehen und in nicht allzuweiter Ferne waren Wesen zu sehen, die am Himmel große Kreise über der Wüste zogen. "Und dort wollen wir hin?", fragte Hokusai mit hochgezogener Augenbraue. "Was wir wollen und was wir tun müssen, ist nicht immer das gleiche", antwortete ihr Hiro. Celeste machte sich Mut mit dem Gedanken daran, dass sie ihre Schwester bald wiedersehen würde und wollte gerade einen ersten Schritt in die Ödnis wagen, als eine unerwartete Stimme sie zurückhielt. "Ich habe schon lange keine wie euch mehr hier gesehen."
Sie zuckten alle kurz zusammen und Kyvn wirbelte mit gezücktem Schwert herum, doch verblieb er in gedruckter Haltung angesichts der Tatsache, dass niemand vor ihnen zu sehen war. Sein Blick wanderte prüfend über die Umgebung, als die Stimme erneut sprach. "So gut wie niemand kommt mehr an den Rand des Waldes. Ich hatte so lange schon kein Wesen als meine Pflanzen mehr zum reden." Der Baum direkt vor ihnen knarzte und drehte sich etwas. Überrascht blickten die vier Gefährten einander an. "Seid Ihr ein sprechender Baum?", fragte Celeste überrascht. "So gesehen ja", antwortete der Baum. "Und habt Ihr auch einen Namen?", erkundigte sich Hiro, woraufhin der Baum seine Äste nach oben reckte und ein wenig zu wachsen schien. "Mein Name ist Irminsul! Ich bin der Wächter an der Grenze zur Chaoswüste!" Die Büsche um sie herum raschelten vor Energie, bevor der Baum wieder etwas in sich zusammensank und die Natur sich wieder beruhigte. "Oh großer Wächter, hast du in letzter Zeit vielleicht Dämonen hier vorbeikommen sehen?", richtete Celeste nun erneut das Wort an den Baum und dieser knarzte etwas. "Dämonen? Hm, ja, tatsächlich. Sie sind nicht lange geblieben, kamen aus dem Wald und gingen in die Wüste. Verdammte Dämonen. Sie kommen und verbreiten die Wüste, töten die Pflanzen, töten die Bäume, töten das Leben!" Der Baum schien vor Wut zu erzittern. "Diese elenden Chaoskreaturen!" Die Äste des Gebüsches in dem sie hockten begannen sich zu bewegen, erst langsam, dann immer schneller. Beinahe peitschten sie schon gegen Arme und Beine der Gruppe. "Beruhigt Euch bitte!", rief Celeste und sprach schnell weiter. "War unter ihnen auch meine Schwester?" Die Stimme des Baumes wechselte von wütend zu nachdenklich. "Hm, ja, ich denke da war jemand der dir sehr ähnlich sah." "Und wo gingen sie hin?" "Das weiß ich nicht. Vielleicht gehen sie zurück zu ihrem schrecklichen Herrn in den Süden, zum alten Schlachtfeld. Dort, wo vor vielen, vielen Jahren die freien Völker gegen das Chaos verloren. Manche nennen sie auch die Schlacht der Herolde." "Dann werden wir wohl durch die Wüste gehen müssen", sagte Kyvn grimmig und warf wieder einen Blick auf die fernen Punkte am Himmel. "Oh nein, davon muss ich euch abraten", warf der redende Baum ungewohnt scharf ein. "Diese Wüste verschlingt alles Leben, wer sie einmal betritt kehrt nicht mehr lebend zurück - es sei denn unter der Kontrolle der Dämonen!" Kyvn kniff die Augen zusammen und schien sich in seinen Gedanken zu vertiefen, als Hiro sich räusperte, um eine seiner Weisheiten zum besten zu geben: "Eine Reise auf der Welt ist vergleichbar mit einer Reise zu sich selbst. Man muss den Weg beschreiten, um zu wissen wer man wahrlich ist." "Doch wenn der Weg nur Tod und Verderben bereithält, wie kannst du ohne die guten Aspekte des Lebens dann dein vollständiges wahres Ich finden?", entgegnete der Baum und ließ damit Hiro zum ersten Mal sprachlos zurück, seit Celeste ihn getroffen hatte.

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